Mit Bannern, Schildern und Flaggen machten die Demonstrierenden auf ihr Anliegen aufmerksam. Foto: A. Becher
Von Melanie Maier
BACKNANG. Mehr als 50 Frauen wurden allein in diesem Jahr in Deutschland umgebracht. In den meisten Fällen von Männern, die ihnen nahestanden: Ehemännern, Lebensgefährten, Expartnern, Vätern, Söhnen, Brüdern, Nachbarn oder Bekannten. Für jede von ihnen haben die Organisatorinnen und Teilnehmer der Kundgebung „Zusammen gegen Gewalt an Frauen – Femizide verhindern!“ auf der Treppe neben dem Brunnen am Marktplatz in Backnang am Freitagabend eine Grabkerze aufgestellt.
Die Demonstration startete um kurz nach 17.30 Uhr mit einem Hinweis zum Befolgen der geltenden Hygieneregeln. Zirka 50 Personen waren der Polizei im Vorfeld angemeldet worden. Ungefähr so viele waren tatsächlich anwesend, plus rund zehn Polizeibeamte. Ein Pavillon war aufgebaut, dazu ein Klapptisch, auf dem anfangs die Kerzen standen. Die Teilnehmenden trugen Banner vor sich, hielten rote Flaggen und Schilder mit Aussagen wie „Femizide stoppen“ oder „Frauenmorde sind politisch“ hoch.
Alle 72 Stunden wird in Deutschland eine Frau umgebracht.
Organisiert hatte die Kundgebung eine Gruppe von Frauen, die politisch aktiv sind, aber keiner bestehenden Gemeinschaft angehören. Unterstützt wurden sie von dem Aktionsbündnis 8. März, Verdi Stuttgart, dem Verdi Ortsverein Rems-Murr-Kreis und der Linksjugend Solid Rems-Murr. Am vergangenen Donnerstag hatten sie bereits Blumen vor dem Haus der getöteten jungen Frau in Backnang niedergelegt und anschließend eine Schweigeminute gehalten.
Die Veranstaltung begann mit einem Redebeitrag von Samira, 26, vom Aktionsbündnis 8. März. Sie wies darauf hin, dass jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal im Leben körperliche und / oder sexualisierte Gewalt erfährt. Alle 72 Stunden würde hierzulande ein Femizid, also ein Mord an einer Frau, begangen. Es würde keinen öffentlichen Raum geben, sagte Samira, der frei von Gewalt gegen Frauen wäre: vom Arbeitsplatz bis zu öffentlichen Verkehrsmitteln.
Die Kundgebung sollte dazu dienen, das Thema Gewalt an Frauen mehr in die Öffentlichkeit zu tragen, erklärte Christa Hourani, 65, vom Aktionsbündnis 8. März. „Die Problematik wird oft noch in die untere Schublade geschoben“, sagte sie. „Aber letztendlich ist das ein großes gesellschaftliches Problem.“ Zudem habe die Gewalt gegenüber Frauen seit Beginn der Pandemie zugenommen. Diese Entwicklung verzeichnen auch Unterstützungsangebote wie das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Die Beraterinnen der Hotline führten 2020 insgesamt 51407 Beratungen – ein Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Ein zweiter Redebeitrag folgte von der 20-jährigen Lisa aus Waiblingen, die die Kundgebung mitorganisiert hatte. Um etwas an der Situation zu ändern, sagte sie, müssten Frauen sich zusammentun, Männer ihr Verhalten überdenken. „Nur zusammen können wir etwas verändern“, stimmte ihr Tim, 23, von der Gruppe Offenes Antifaschistisches Treffen Rems-Murr-Kreis zu. Gerade als Mann wollte er sich solidarisch zeigen, ebenso wie ein weiterer Mann, der seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte. „Wer schweigt, stimmt zu“, betonte er.
Ihr sei das Thema persönlich wichtig, sagte Waltraud Scholz aus Backnang, die privat an der Demonstration teilnahm. „Als Jugendliche bin ich schon um mein Leben gerannt“, sagte die 65-Jährige.
Nach den beiden Redebeiträgen sollten Plakate mit den Namen der ermordeten Frauen mit doppelseitigem Klebeband am Rathaus befestigt werden. Doch die Polizei stellte sich zwischen die Rathauswand und die Demonstrierenden, und hängte die Plakate ab mit Verweis auf bestehende Auflagen. Daraufhin klebten die Kundgebungsteilnehmer die Plakate neben den Brunnen auf dem Marktplatz. Mit Kreidefarbe sprühten sie den Satz „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ auf den Boden. In der Hoffnung, Passanten damit zum Nachdenken zu bringen.
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet unter der kostenlosen Telefonnummer 08000/116016 deutschlandweit rund um die Uhr Hilfe an.