Revolution vs Restauration

Links – Rechts – Mitte: Wo stehen Sie?

Ist der Mensch von Natur aus konservativ oder progressiv? Ein Bilderstürmer oder ein Bewahrer? Man wird nicht als Linker oder Rechter geboren, sondern dazu gemacht.

Links – Rechts – Mitte: Wo stehen Sie?

Geschichte ist keine Zugfahrt, die man einfach beschleunigen (progressiv), anhalten (konservativ) oder umkehren (reaktionär) kann. Sie ist ein Prozess, in dem man das Zusammenleben mit anderen durch Interaktion mit seiner sozialen und natürlichen Umwelt erlernt.

Von Markus Brauer

Der Mensch hegt und pflegt seine Traditionen und strebt zugleich nach revolutionären Umwälzungen. Sein Leben entfaltet sich im Spannungsfeld von Kontinuität und Fortschritt, Identität und Bilderstürmerei.

Utopie und Realität

Das kommunistische Paradies, von dem Karl Marx (1818-1883) einst träumte, ist hierfür das beste Beispiel. Da sich die Utopie der klassenlosen Gesellschaft in Russland nicht auf friedlichem Wege verwirklichen ließ, griffen die Bolschewiki unter Führung von Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924) zur Gewalt.

Das führte zu einer dramatischen Verschlechterung der Lebensverhältnisse und zu noch mehr Gewalt, um den Widerstand in der Bevölkerung zu brechen. Aus Revolutionären wurden linke Reaktionäre, die mit allen Mitteln versuchten das Eroberte zu bewahren und gegen jede Veränderung zu verteidigen.

Zivilisation und Urzustand

Die Frage, ob der Mensch von Natur aus konservativ ist, setzt voraus, dass es einen Naturzustand gibt. In der Philosophiegeschichte hat man darüber immer wieder nachgedacht.

Leben und Lernen

Dieser Zustand, der am Anfang der Menschheitsgeschichte steht, ist jedoch genauso Fiktion wie eine lineare geschichtliche Entwicklung. Die Zukunft ist keine verlängerte Gegenwart. Was geschehen wird, ist weder vorhersehbar oder logisch zu ergründen, noch kann es aus der Historie erschlossen werden.

Geschichte ist keine Zugfahrt, die man einfach beschleunigen (progressiv), anhalten (konservativ) oder umkehren (reaktionär) kann. Sie ist ein Prozess, in dem man das Zusammenleben mit anderen durch Interaktion mit seiner sozialen und natürlichen Umwelt erlernt.

Bewahren und Entdecken

Der Begriff konservativ kommt vom Lateinischen „conservare“ (erhalten, bewahren). Wäre der Mensch von Natur aus konservativ, würde ihn dies hindern, die Welt zu entdecken und von ihr zu lernen.

Der Mensch ist von Natur aus beides: konservativer Rebell und revolutionärer Konservativer. Konservativ und progressiv, rechts und links sind reziproke Begriffe und bedingen sich wechselseitig. Der Mensch befindet sich in einem lebenslangen Lernprozess mit der ihn umgebenden Gesellschaft – von der er selbst ein Teil ist – , die ihn prägt und die er prägt.

Links und Rechts

Was Menschen voneinander unterscheidet, ist der Grad der Bereitschaft, sich auf Veränderungen einzulassen:

Welcher Typ man ist, hängt ab von der genetischen Disposition und Persönlichkeitsentwicklung, dem sozialen Umfeld, Intelligenzgrad oder Bildungsniveau. Ob der Einzelne eine Abneigung gegenüber Revolutionen hegt oder alles radikal zum Besseren wenden will, wird ihm nicht in die Wiege gelegt. Seine Haltung und Einstellung entwickeln und verändern sich, werden erlernt und erprobt, überprüft und verworfen. Sobald er seine Ziele erreicht hat, wird er versuchen das Erworbene abzusichern.

Egal, ob er sich das Etikett Linker oder Rechter zulegt. „Der radikalste Revolutionär“, sagt die Philosophin Hannah Arendt (1906–1975), „wird ein Konservativer am Tag nach der Revolution.“