Liverpool droht zu versinken

Abbrechende Steilküsten, der steigende Meeresspiegel und zunehmende Regenfälle bedrohen Tausende Gebäude und Städte in Großbritannien

Von Peter Nonnenmacher

London Zur Milleniumswende lachten die Briten noch über Mark und Louise Roberts. Das Paar, das den Belle-Tout-Leuchtturm in der südenglischen Grafschaft Sussex bewohnte, sah sich zu diesem Zeitpunkt dem Untergang buchstäblich drei Meter nah. Infolge rascher Küsten-Erosion hatte sich das Meer so dicht an den Leuchtturm herangearbeitet, dass die Robertsons beschlossen, ihr trautes Heim in Sicherheit zu bringen.

Mittels mächtiger Balken und hydraulischer Vorrichtungen verfrachteten sie das 850-Tonnen-Bauwerk auf einer Gleitschiene auf sichereres Terrain, 18 Meter weit von der abbrechenden Klippe entfernt. Die sensationelle Aktion war damals in aller Munde. Anderswo rutschten dagegen Häuser und ganze Hotels ins Meer, die niemand rechtzeitig weggeschleppt hatte.

Nach Auskunft des britischen Umweltamtes droht rund 9000 Gebäuden gegenwärtig ein ähnliches Los. Der Ausschuss für Klimawandel schätzt, dass bis zum Jahr 2080 sogar weitere 100 000 Häuser „über die Klippe“ gehen könnten, wenn, wie mittlerweile befürchtet, Sturm, Regen und Erosion dank Klimawandel zunehmen und der Meeresspiegel um einen vollen Meter steigt.

Doch auch etwas weiter weg von den bröckelnden Klippen droht Gefahr. Millionen Briten stehen wegen des sich verändernden Wetters regelmäßige oder gar permanente Überflutungen ihrer Häuser und Wohnungen bevor. Ganze Straßennetze und Eisenbahntrassen, fast hundert Bahnhöfe, aber auch zahllose Kraftwerke, Ölraffinerien, Gas-Terminals und rund tausend Lager für hochgiftige Abfälle in tiefgelegenen Landstrichen an den Küsten sind über kurz oder lang gefährdet.

Für Emma Howard Boyd, Chefin des Umweltamtes, besteht kein Zweifel mehr daran, was auf ihre Landsleute zukommt – und warum. „Überschwemmungen hat es natürlich immer gegeben“, meint sie. „Aber der Klimawandel nimmt zu und beschleunigt diese Gefahren. Und wir können einen Krieg gegen das Wasser nicht gewinnen, indem wir nur immer höhere Dämme bauen.“ Stattdessen brauche man „eine ganz andere Philosophie“. Nach all den Jahren, in denen man sich in Großbritannien mit mächtigen Hafenmauern und Betondämmen gegen die vordringenden Wassermassen zu schützen suchte, neigen Umweltamt und führende Politiker zu Verteilerkanälen fürs Wasser, zu durchlässigeren Dämmen und neuen Wald- und Heideland-Plantagen. Auch an den Bau besser gewappneter Häuser ist gedacht.

Zugleich wächst die Einsicht, dass manche Landstriche bei einem dramatischen Anstieg des Meeresspiegels und gleichzeitiger starker Zunahme von Regenfällen nicht zu retten wären. „Letztlich“, erklärt die Umweltamts-Chefin, „werden wir ganze Gemeinden in Sicherheit bringen müssen“. Fast 200 Kilometer Küste gelten als flutgefährdet. Schlimmstenfalls, warnen Experten, könnten sogar Städte wie Norwich oder Liverpool den Fluten zum Opfer fallen.

Und auch London ist in Gefahr. Schon im nächsten halben Jahrhundert, befürchten Forscher, könnten U-Bahn-Schächte und Kanalisation der Neunmillionenstadt von einer bedrohlich anschwellenden Themse überwältigt werden – wenn man nicht rasch Vorsorge treffe.