Die IBB-Stelle war eine der ersten im Land, die vor fast drei Jahren ihre Arbeit aufgenommen hat. IBB steht für „Information, Beratung, Beschwerdestelle“ für psychisch kranke Menschen und ihre Angehörigen im Rems-Murr-Kreis. Bei der Versorgung von psychisch Kranken gibt es eine offene Baustelle: Es fehlt eine Beratungsstelle für Senioren, die in seelische Schwierigkeiten geraten.
Die Lotsen bei psychischen Erkrankungen (von links): Doris Schäfer, Ingeborg Rettenmeier-Grein, Joachim Kirschmann und Kurt Möller. Foto: G. Schneider
Von Martin Winterling
WINNENDEN.Das Alter geht mit vielen körperlichen Gebrechen einher. Einsame Senioren geraten jedoch oft auch seelisch aus dem Tritt. Niemand fühle sich für sie zuständig, sagt Ingeborg Rettenmeier-Grein. Die IBB-Stelle sieht Handlungsbedarf des Landkreises Rems-Murr, in der Alterspsychiatrie eine ambulante Versorgung für Menschen über 65 aufzubauen.
Bei einem Pressegespräch stellte Ingeborg Rettenmeier-Grein mit ihren Mitstreitern, Doris Schäfer als Angehörigen-Vertreterin, Joachim Kirschmann als Patientenfürsprecher und Kurt Möller als Betroffener, die Arbeit der IBB-Stelle vor. Mehr als 60 Informations- und Beratungsgespräche haben die insgesamt acht ehrenamtlich tätigen IBB-Mitarbeiter im vergangenen Jahr geführt sowie eine Beschwerde behandelt.
Geschaffen wurden IBB-Stellen 2015 durch das Landespsychiatriegesetz der damaligen Sozialministerin Katrin Altpeter. Ziel war es, eine Anlaufstelle zu schaffen, an die sich Menschen in seelischer Not wenden können. Niederschwellig, wie ein unkompliziertes Angebot im Jargon heißt. Sie solle für Betroffene und Angehörige zwischen psychiatrischen Einrichtungen und Betroffenen vermitteln und darüber hinaus allgemeine Informationen über wohnortnahe Hilfs- und Unterstützungsangebote erteilen.
Die Hürde, in der Not zu einem Psychiater zu gehen oder sich an das psychiatrische Landeskrankenhaus in Winnenden zu wenden, ist hoch, sagt Ingeborg Rettenmeier-Grein. Wer nicht mehr ein noch aus weiß, findet bei der IBB-Stelle einen Ansprechpartner, der weiß, welche Angebote weiterhelfen können. Die Mitarbeiter sehen sich weniger als Berater denn als Lotsen. „Beratung ist ein großes Wort“, sagt die Fachfrau, die vor ihrem Ruhestand im sozialpsychiatrischen Dienst tätig war.
Während in den Städten der Umgang mit einer psychischen Erkrankung ungezwungen ist, gilt diese auf dem Land noch eher als Makel, sagt Doris Schäfers eigene Erfahrung. Sie gehört als Angehörigen-Vertreterin dem IBB-Team an. Nicht nur psychisch kranke Menschen, sondern auch ihre Angehörigen sind schnell stigmatisiert, sagt Rettenmeier-Grein.
Diese Ausgrenzung sei nicht immer böse gemeint, sagt Kurt Möller. Oft sei sie aus der Angst geboren, wie man sich verhalten solle. In gewisser Weise hat er als Betroffener Verständnis. Der Umgang mit einem psychisch Kranken sei nicht einfach, der sich plötzlich aus scheinbar unerfindlichen Gründen zurückziehe. Selbsthilfegruppen seien für Betroffene ein wichtiger Anlaufpunkt, sagt Möller. Sie wüssten am besten, wohin man sich wenden kann.
Die IBB-Stelle will bekannter werden. Die Flyer der IBB-Stelle mit den übereinandergelegten Händen liegen bei Selbsthilfegruppen als auch bei Krankenkassen, Ärzten oder Apotheken aus. Viele der 61 Anliegen im vergangenen Jahr waren mit einem Anruf erledigt, indem beispielsweise ein Kontakt zu einer Angehörigen-Selbsthilfegruppe vermittelt wurde. In einigen Fällen waren mehrere, oft auch persönliche Gespräche notwendig.
Zu wenig Therapeuten
und Psychiater im Kreis
Nicht helfen können die IBB-Mitarbeiter bei einem Dauerproblem: dem Mangel an Therapeuten und Psychiatern im Rems-Murr-Kreis. Doris Schäfer weiß, was es für einen seelisch Kranken bedeutet, wochenlang auf einen Termin warten zu müssen und das, nachdem er sich endlich überwunden habe, Hilfe zu suchen. Und wenn das Erstgespräch hopplahopp über die Bühne geht, dann ginge das letzte Quäntchen Mut flöten.
Frust? Ja, sagt Ingeborg Rettenmeier-Grein. In solchen Fällen müssen der sozialpsychiatrische Dienst oder Selbsthilfegruppen die Menschen unterstützen, durchzuhalten. Eng ist die Zusammenarbeit der IBB-Stelle mit dem Krisen-, Klärungs- und Vermittlungsdienst (KKV) für psychisch kranke Menschen im Rems-Murr-Kreis. Der KKV ist für absolute Notfälle da. Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, von sich aus Hilfe zu holen, zum Arzt zu gehen oder ein Krankenhaus aufzusuchen.
Insgesamt wertet die IBB-Stelle die sozialpsychiatrische Landschaft als nicht ausreichend. Für Joachim Kirschmann, Patientenfürsprecher für psychisch kranke Menschen im Landkreis, spiegelt sich die Sparpolitik im Gesundheitswesen gerade bei der Behandlung von seelischen Krankheiten wider. Sie werden zu früh aus den psychiatrischen Krankenhäusern entlassen und nur unzureichend aufgeklärt, wie es nach einem stationären Aufenthalt weitergeht. Kirschmann ist Insider und hat selbst viele Jahre im ZfP in Winnenden gearbeitet und kennt Ärzte und das Pflegepersonal. Er weiß, dass gerade Menschen mit einer Psychose ganz schwer wieder in der Arbeit Fuß fassen können. Wer im Geschäft sofort von null auf hundert Gas geben muss, sei prädestiniert für einen Rückfall. Spricht man im Krankenhaus von „blutiger Entlassung“, gehe es in der psychiatrischen Einrichtung zwar nicht blutig zu, doch werden die Patienten nur unzureichend vorbereitet.
Mit Beschwerden hatte die IBB-Stelle 2017 nur in einem einzigen Fall zu tun. „Wir dürfen nicht für jemand Beschwerde führen“, weist Ingeborg Rettenmeier-Grein auf die gesetzlichen Aufgaben hin. Das Team könnte allenfalls als Mediator mitwirken. Bei Beschwerden ist Joachim Kirschmann als Patientenfürsprecher gefragt. Viele Klienten klagen über ihren gesetzlichen Betreuer, weil er sich zu wenig um sie kümmere und nicht für ihre Belange einsetze. Als Beispiel erzählt Kirschmann den Fall eines über 80-Jährigen, der nach einem ZfP-Aufenthalt in einem Pflegeheim landetet, obwohl er mit ambulanter Hilfe durchaus weiterhin zu Hause hätte leben können. „Die Strukturen wurden eingerissen.“
Alte Menschen rutschen in Depressionen, bedingt durch Krankheit oder Einsamkeit. Kirschmann spricht lächelnd von einer „Feld-Wald-Wiesen-Depression“, ohne das Leiden damit herunterzuspielen. Mit Blick in die Zukunft forderte die IBB-Stelle in ihrem Jahresbericht 2017 den Landkreis auf, sich um die ambulante Versorgung in der Alterspsychiatrie zu kümmern.