Mädchen stirbt: Wurde es geschüttelt?

Syrerin soll Tod der zweijährigen Nichte ihres Mannes verursacht haben – Angeklagte weist vor dem Landgericht Vorwürfe zurück

Mädchen stirbt: Wurde es geschüttelt?

Das Landgericht Stuttgart ist mit einem Fall konfrontiert, bei dem es um eine Zweijährige geht, die plötzlich gestorben ist. Symbolfoto: Bilderbox/E. Wodicka

Von Andrea Wüstholz

STUTTGART/FELLBACH. Eine 25-jährige Syrerin soll in Fellbach die Nichte ihres Mannes heftig geschüttelt haben. Das zweijährige Mädchen starb. Seit Montag muss sich die junge Mutter vor dem Landgericht in Stuttgart verantworten. Die Frau schildert die Geschehnisse ganz anders als die Anklage: Sie habe das Kind nicht geschüttelt. Es sei zuvor schon krank gewesen und dann plötzlich ohnmächtig geworden.

Die Angeklagte und ihr Mann, beide Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Eltern eines dreijährigen Sohnes, hatten das kleine Mädchen im September 2018 in ihre Familie aufgenommen. Weder bei der eigenen Mutter noch beim Vater, ebenfalls Syrern, hatte das Mädchen bleiben können. Deren Lebensumstände waren extrem schwierig, während die Angeklagte und ihr Mann bereits seit 2015 in Deutschland lebten und in Fellbach zusammen eine Wohnung hatten. Also bot die Angeklagte an, die Tochter ihres Schwagers großzuziehen. „Ich habe versucht, für sie als Ersatzmutter da zu sein“, so übersetzte der Dolmetscher die Worte der Frau.

Das Kind, für das die Ersatzeltern keine Papiere hatten und das sie nach Deutschland eingeschleust hatten, litt natürlich sehr unter der Trennung von seinen leiblichen Eltern. Die junge Angeklagte beschrieb vor Gericht verschiedene Verhaltensauffälligkeiten und gesundheitliche Einschränkungen des Mädchens. Die Kleine habe öfter aus Wut den Kopf gegen den Boden geschlagen. Ihr Gang sei auffällig schwankend gewesen. Sie habe ungewöhnlich viel gegessen und sei trotzdem Haut und Knochen gewesen. Der Kopfumfang war ungewöhnlich groß, so schilderte es die Angeklagte. In der Türkei, wo das Kind zuletzt mit seinen leiblichen Eltern gelebt hatte, wurde offenbar eine Veränderung im Hirn (subdurales Hygrom) diagnostiziert. Am Tag vor dem Geschehnis sei das Kind apathisch herumgesessen.

Das Kind starb an inneren Kopfverletzungen

Aus Sicht der Anklage hat die 25-Jährige am 11. Dezember 2018 das Mädchen in der Fellbacher Wohnung der Familie heftig geschüttelt, „vermutlich, weil das Kind geschrien hatte“, wie der Staatsanwalt bei der Gerichtsverhandlung in Stuttgart sagte. Wenige Tage später starb das Mädchen in einem Stuttgarter Krankenhaus an inneren Kopfverletzungen. „Nein“, antwortete die Frau auf die Frage des Vorsitzenden Richters Christian Klotz, ob sie das Kind geschüttelt habe. Als das Kind an jenem Dienstag im Dezember mittags aufwachte, habe sie die Windel des Mädchens gewechselt und dessen Haare gekämmt. Als sie die Utensilien wegräumte, habe sie wahrgenommen, dass das Mädchen aufgestanden sei – und dann sei es plötzlich am Boden gelegen, offensichtlich ohnmächtig. Sie habe den Namen des Kindes gerufen, eine Mund-zu-Mund-Beatmung versucht, ihm die Wangen getätschelt, um es ins Bewusstsein zurückzuholen – doch vergebens. Nun rannte die Frau schreiend mit dem Kind auf dem Arm zu einer befreundeten Nachbarin.

Die Nachbarin und deren Mann wie auch der Ehemann der Angeklagten sagten am Montag als Zeugen aus. Sie berichteten übereinstimmend, dass das Kind an jenem Tag schwer geatmet habe, aber nicht bei Bewusstsein gewesen sei. Der Ehemann der Angeklagten und der Nachbar fuhren los, um das Mädchen ins Krankenhaus zu bringen. Ein Notruf sei nicht möglich gewesen, weil die Deutschkenntnisse dazu nicht ausgereicht hätten.

Der Ehemann sei viel zu aufgeregt gewesen, um selbst zu fahren. Deshalb sei man zuerst noch zum Arbeitgeber des Mannes gefahren, einer Autowerkstatt in der Nähe, um dort einen Kollegen als Fahrer zu engagieren. Im Winnender Krankenhaus angekommen, fragte eine Ärztin nach der ersten Untersuchung: Wurde das Kind geschüttelt?

Der Ehemann der Angeklagten sagte im Zeugenstand, er selbst habe das Kind geschüttelt – aber nur in einem Ausmaß, wie das jeder tun würde, der ein bewusstloses Kind auf dem Arm hat und es zu einem Lebenszeichen bewegen will, so hieß es sinngemäß.

Immer wieder wies der Vorsitzende Richter die Zeugen und auch die Angeklagte auf Widersprüche und Unstimmigkeiten hin: Von einigen Details, die jetzt vor Gericht zur Sprache gekommen waren, hatten die Beteiligten bei ihrer Vernehmung seinerzeit bei der Polizei nichts gesagt. Nach Angaben der Angeklagten hatten sich Aussagen bei der Polizei als schwierig gestaltet, weil kein Dolmetscher dabei war.

Gegen die 25-Jährige liegt ein Haftbefehl vor, der allerdings gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt worden ist. Im weiteren Verlauf des Prozesses wird auch ein medizinischer Sachverständiger zu Wort kommen, der die Verletzungen des toten Mädchens beurteilen wird.