Moderne und alte Sorten verschmelzen

Familie Adrion züchtet neue Birnen- und Apfelsorten

Elstar, Gala oder Braeburn? Im Supermarkt gibt’s selten mehr Auswahl im Apfelregal. Am Biolandhof der Familie Adrion in Mittelschöntal tut sich was: Sie züchten neue Birnen- und Apfelsorten. Dazu gehören Mut, Zeit, Geduld und Fingerspitzengefühl.

Moderne und alte Sorten verschmelzen

Der Pinsel muss vor dem Bestäuben immer sauber sein, damit das Ergebnis nicht verfälscht wird.

Von Sarah Schwellinger

BACKNANG. Das Aussehen einer rotbäckigen Thimo sowie deren voller Geschmack gepaart mit dem der Conference. Der richtige Geschmack, den richtigen Biss, die richtige Größe und Farbe und eine gute Lagerfähigkeit sind nur wenige der vielen Eigenschaften, die einen guten Apfel oder eine gute Birne ausmachen.

Auf dem Biolandhof der Familie Adrion in Schöntal entsteht Neues. Die Birnenblüten standen vergangene Woche in voller Pracht, rund acht Tage früher als üblich. Da musste sich Matthias Ristel vom Verein Apfel:gut, einem Förderverein zur Entwicklung und Durchführung ökologischer Obstzüchtung, ganz schon beeilen. Er pflückte sich noch ein paar Ballonblüten der Thimo ab, trocknete sie und machte sich auf den Weg nach Mittelschöntal. Dort wartete Lukas Adrion schon auf den Mann aus dem Norden Deutschlands, der gemeinsam mit der Familie neue Birnen- und Apfelsorten kreieren will. Und das auf eine Weise, die mit den ökologischen Grundprinzipien des Landbaus vereinbar ist. „Die Blüten werden nicht von den Bienen, sondern von Hand bestäubt“, erklärt Ristel. Er ist mobiler Züchter und hilft auf Bioland-Betrieben, neue Obstsorten zu erzeugen. Und zwar mit der Kreuzung anderer Sorten.

„Viele fragen nach den sogenannten alten Sorten“, so Ristel, „damit meinen sie aber häufig nicht die spezielle Sorte, sondern die Eigenschaften, die diese alten Sorten mitbringen.“ Die haben oft eine rauere, rostige Schale und einen herb-säuerlichen Geschmack. Auch Lukas Adrion bestätigt: „Oft nehmen die Kunden aber die Sorte, die sie schon kennen. Das ist in den meisten Fällen Elstar.“ Nun werden die Karten neu gemischt: Es sollen alte mit modernen Sorten gekreuzt werden. Besondere Eigenschaften sollen zu einer Sorte zusammenwachsen. Dafür braucht man vor allem Zeit und Geduld. Denn bis so eine Sorte dann endlich angemeldet und auf den Markt gebracht werden kann, dauert es vom Kreuzungsplan bis in den Handel rund 20 Jahre.

Auf dem Land der Familie Adrion stehen gut 1000 Obstbäume, die aus alten und modernen Sorten gekreuzt wurden – und keiner gleicht dem anderen. „So wie auch kein Mensch das genaue Ebenbild seiner Eltern ist, so ist es auch bei den Bäumen hier“, so Ristel. In langen, unzähligen Reihen stehen die blühenden Birnen- und Apfelbäume, manche Äste sind verhüllt unter einem Vlies. Damit wird verhindert, dass Bienen die Blüten bestäuben und somit der Kreuzung zuvorkommen. Lukas Adrion und Matthias Ristel entfernen vorsichtig den Stoff vom Ast eines Birnbaums.

In einem Schraubglas bewahrt Ristel die getrockneten Blüten auf, die er aus dem Norden mitgebracht hat. Er schüttelt das Glas kräftig, öffnet den Deckel und nimmt mit einem Pinsel die Pollen auf. Mit dem gelben Staub am Pinsel geht er nun an die Blütenstempel. Er als „Hilfsbiene“, wie er sich selbst bezeichnet, kreuzt in dem Moment die Conference-Birne mit der Thimo.

Dabei muss einiges gegeben sein: „Der Zeitpunkt muss stimmen“, sagt der studierte Biolandwirt. Sind die Blüten zu jung oder zu alt, stehen die Chancen schlecht. Perfekt sei es, wenn man den Staub auf den klebrigen Nektar des Stempels pinseln könnte. Auch wenn wie vor zwei Jahren Kälteperioden einsetzen, könnte die Arbeit umsonst gewesen sein. „Wenn die Bienen und Hummeln fliegen, ist der richtige Zeitpunkt für uns.“ Nach der Bestäubung von Hand kommt das Vlies wieder über den Zweig – bis er Früchte trägt.

Nur die gesunden und kräftigen Bäume bleiben

Von den 120 Blüten, die dieser eine Ast trägt, werden wohl schätzungsweise fünf bis sechs Früchte wachsen, die zur weiteren Arbeit brauchbar sind.

Nach der Ernte im Spätsommer und Herbst folgt dann der nächste Schritt: Die Kerne der Kreuzungsfrüchte werden ausgesät, bis etwa März wachsen sie zu Keimlingen voran. Im Mai wandern die in den Zuchtgarten, wo nun die Selektion beginnt. Auch bei Familie Adrion gibt es den. Da stehen sie, in verschiedenen Größen, Stärken, mit nur wenig Blättern und nur die wenigsten tragen Blüten. Fünf bis sechs Jahre dauert es, bis der Sämling rund zwei Meter groß ist und zahlreiche Blüten trägt. In der Zeit wird aussortiert: Nur Bäume, die gesund sind, werden umgepflanzt, um Früchte zu tragen. Und dann wird probiert. Bäume, deren Früchte dem Experten schmecken, werden unter Anbaubedingungen des Öko-Erwerbsobstbaus getestet.

Fünf Jahre dauert diese Prüfung mindestens. Sind da Sorten dabei, können die angemeldet und in den Handel gebracht werden.

Viel Arbeit, viel Geduld und jede Menge Zeit steckt im Vorhaben, neue Apfel- und Birnensorten zu züchten. Von den rund 1000 Bäumen, die bei Adrions als neue Kreuzungen stehen, werden etwa fünf bis sechs davon hochgezüchtet, schätzt Ristel. Voraussehen kann das keiner, das bleibt der Kreuzung und der Natur überlassen.