Unter anderem am Grab der Judinta erzählt Stadtführerin Judit Riedel-Orlai (rechts) von der Bedeutung, die Frauen in der Geschichte Backnangs zukommt. Foto: A. Becher
Von Simone Schneider-Seebeck
Backnang. Betritt man die Krypta in der Backnanger Stiftskirche, fällt der große steinerne Sarkophag in der Mitte, umrahmt von Säulen, ins Auge. Sehr gut erhalten ist die Steinplatte, das fein ausgearbeitete Lamm Gottes und das schmale Kreuz wirken fast wie neu. Dabei ist diese Platte über 850 Jahre alt. So exponiert in der Mitte, in dieser Grabstätte muss eine beachtenswerte Persönlichkeit ihre letzte Ruhe gefunden haben. Ein bedeutender Markgraf womöglich? Mitnichten. Es ist die Ruhestätte der Judinta, Tochter eines badischen Markgrafen. 1162 verstarb sie recht jung, hatte sich aber bereits den Ruf einer Heiligen erworben. Das ist nur eine der Frauen, die die Teilnehmerinnen am Weltfrauentag im Rahmen einer Stadtführung über bedeutende Backnangerinnen kennenlernen durften. Dieses Beispiel zeigt, dass Backnang insbesondere im Mittelalter den Damen des badischen Hochadels viel zu verdanken hatte.
Stadtführerin Judit Riedel-Orlai stellt in gut eineinhalb Stunden beispielhaft Frauen vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert vor, die nicht nur für Backnang, sondern sogar deutschlandweit gewirkt hatten.
Ohne Irmengards Geld hätte es keine Erhebung Backnangs zur Stadt gegeben
Aus aktuellem Anlass startete die Reise in die Vergangenheit mit einem Zitat von Bertha von Suttner, wenn auch keine Backnangerin, die bereits vor über 100 Jahren feststellte: „Wir sind im Besitz von so gewaltigen Vernichtungskräften, dass jeder von zwei Gegnern geführte Kampf nur Doppelselbstmord wäre.“
Die Hessonen und später die badischen Markgrafen nutzten andere Wege, um ihre Territorien zu vergrößern – Heiratspolitik. Im 11. Jahrhundert gelangte Backnang so in ihren Besitz, als Mitgift von Gisela, die den Grafen Hesso im Sülchgau und Murrgau ehelichte. Vermutlich entstammte sie einem wohlhabenden Adelsgeschlecht, welches genau, das ist zweifelsfrei nicht mehr festzustellen, die Quellenlage dazu ist dünn. Sie brachte große Ländereien mit in die Ehe ein, darunter auch Backnang. Eine Nachfahrin ist Judith, die den badischen Markgrafen Hermann ehelichte: „Die Badener Markgrafen haben immer gut geheiratet“, so Riedel-Orlai. Weitsicht zeigte ebenso Markgraf Hermann V. Durch seine Ehe mit der Welfin Irmengard von Braunschweig im 13. Jahrhundert gelangten umfangreiche Gebiete in seinen Besitz. „Die Dame hat mehr als einen Bausparvertrag mit in die Ehe eingebracht“, kommentiert die Stadtführerin trocken. Ohne die finanziellen Mittel Irmengards wären weder die Erhebung Backnangs zur Stadt noch der Ausbau derselben möglich gewesen.
Um das Jahr 1300 herum wurde Backnang schließlich württembergisch, durch die Heirat von Hermanns Enkelin Irmengard mit Graf Eberhard I. der Erlauchte von Württemberg. Und Teil ihrer Mitgift war das aufstrebende Backnang.
Ein Zeitsprung in das Jahr 1530. Untervogt Michael Fickler und seine Frau Benigna, eine geborene Münsinger von Frundeck, kommen von Weil der Stadt nach Backnang. Bemerkenswert ist das Paar einerseits aus kulturhistorischer Sicht. Denn ihr Doppelporträt, das sich aktuell in Budapest befindet, ist das erste Porträt, das Backnanger Bürger zeigt. Für Stadtführerin Riedel-Orlai ist Benigna Fickler die Verkörperung der „neuen Frau“. Sie stammt aus einer wohlhabenden und gebildeten Familie, spricht Latein, spielt mehrere Instrumente, diskutiert sogar mit Theologen, wie man durch Erinnerungen ihres Sohnes weiß. „Sie war hungrig nach Kultur und Wissen.“
Weiter erinnert Riedel-Orlai an tapfere Frauen zur Zeit des Gänsekriegs, die sich 1610 für ihre Gänse eingesetzt hatten, und auch an Maria Adolff, Gattin des Backnanger Unternehmers Eugen Adolff, der zu Ehren das Wohnheim, in dem auswärtige Arbeiterinnen untergebracht wurden, Marienheim genannt wurde. Mit Felicitas Zeller ist man im frühen 20. Jahrhundert angelangt. Sie ist die erste und zunächst einzige Gemeinderätin Backnangs und zieht 1919 für die DDP in den Rat ein. In einer Zeit, die von den Nachwehen des Ersten Weltkriegs geprägt war, engagiert sie sich sozial und unterstützt ihren Mann in seiner Arztpraxis. Drei Jahre gehört sie dem Rat an, in den folgenden über 40 Jahren ist dann keine Frau mehr dort vertreten.
Besonders fasziniert zeigt sich Stadtführerin Riedel-Orlai von der letzten Frau, die an diesem Abend vorgestellt wird: Anna Haag. Geboren in Althütte, verbrachte sie ihre Schulzeit in Backnang, lebte unter anderem in Bukarest und schließlich in Stuttgart. Zeitlebens setzte sie, die beide Weltkriege er- und überlebt hatte, sich für den Frieden ein. 1946 wird sie als Abgeordnete der SPD in den Landtag von Württemberg-Baden gewählt und bringt ein Jahr später einen Initiativgesetzentwurf zur Kriegsdienstverweigerung ein. Ein wenig erweitert wird dieser in Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes verankert: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Und so schließt Riedel-Orlai die Führung mit den Worten: „Was würden Anna Haag und Bertha von Suttner heute sagen?“