Dorfgasthäuser waren lange der soziale Mittelpunkt der Gemeinden. Das ist nicht mehr so. Eine Wirtschaft nach der anderen macht dicht. Immer schwieriger wird es für ältere Wirtsleute, einen Nachfolger zu finden. Die eigenen Kinder gehen einen anderen Weg und jemand von außen zu finden ist schier unmöglich. Gründe dafür sind die lange Arbeitszeit, die ausufernde Bürokratie und die Verdienstmöglichkeiten.
Die ehemaligen Scholpp-Betreiber Ursel und Ernst Kress sind zufrieden. Ihr Sohn Jochen kocht einmal pro Woche für treue Kunden. Foto: A. Becher
Von Florian Muhl
BACKNANG. An 14 aufeinanderfolgenden Samstagen, beginnend am 7. April, haben wir über Wirtshäuser geschrieben, über alte und auch über neue. Wir haben über die Geschichte der Landgasthöfe berichtet und über deren Sterben. Wir haben die herausragende Stellung der Wirte im Ort recherchiert und die Versuche von branchenfremden Investoren thematisiert, die traditionsreiche Landgasthöfe retten wollen. Wir haben gelernt, dass Stammtische längst keine Männerdomäne mehr sind und dass auch das Konzept eines veganen Restaurants auf dem Land durchaus aufgehen kann.
Nicht immer, aber meist stand das gepflegte Speisen und genussvolle Trinken im Vordergrund, die Gemütlichkeit und Geselligkeit, die man in einem Wirtshaus erleben kann und auch die traditionsreiche Geschichte, von der ein traditionsreicher Landgasthof berichten kann. Aber egal, welches Thema gerade anstand, immer wieder wurden wir mit ein und demselben Aspekt konfrontiert: Mit der Schwierigkeit, die in die Jahre gekommene Wirtsleute haben, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Dass dies ein heißes Eisen ist, haben wir bei vielen Gesprächen erfahren. Mehrere betroffene Wirtsleute scheuten sich davor, zu diesem Thema befragt zu werden. Sie wollten nichts über ihre Probleme bei der Nachfolgesuche in der Zeitung lesen müssen.
„Ich hab mich reingekniet, durch Zuschauen hab ich viel gelernt“
Aber es gibt Ausnahmen. Ursel und Ernst Kress beispielsweise. Mit Herzblut haben sie ihre Gaststätte Scholpp im Melanchthonweg in Backnang geführt. Die beiden machen keinen Hehl daraus, dass auch bei ihnen die Nachfolge nicht ganz reibungslos verlief und es viele Diskussionen gab. Der ältere Sohn Achim war raus aus dem Rennen, als es vor 20 Jahren um die Nachfolge ging. Der heute 53-Jährige hatte sich damals längst schon für die Versicherungsbranche entschieden. Dagegen hatte sein zwei Jahre jüngerer Bruder Jochen Koch gelernt. „Ohne, dass wir ihn zu diesem Entschluss gedrängt haben“, betont seine Mutter. Aber der Entschluss, die Gaststätte, die bei den Backnangern für die hervorragende, gutbürgerliche Küche geschätzt wurde und wird, von den Eltern zu übernehmen, fiel Jochen Kress nicht leicht.
Sein Vater Ernst Kress kann das bestens nachvollziehen, denn auch ihm ist es seinerzeit ähnlich ergangen. Der gelernte Schreiner, der in Pommern geboren und 1945 im Alter von fünf Jahren mit der Familie geflohen ist und zunächst im hohen Norden gelandet war, heiratete in eine Wirtshausfamilie ein. Die Eltern von Ursel Kress, Martha und Fritz Scholpp, hatten ihr Lokal im damaligen Neubaugebiet Ob der Ekertsklinge neu gebaut und an einem Samstag im November 1955 eröffnet. 1970, nach dem Tod von Fritz Scholpp, die Frage, wer macht weiter? „Ich hatte ja damals keine Ahnung vom Kochen“, sagt Ernst Kress heute. „Aber ich hab mich dann reingekniet. Durch Zuschauen hab ich viel gelernt in der Küche.“ Kress hat damals nicht nur seinen Schreinerjob an den Nagel gehängt, sondern auch seine Kickstiefel. Der ehemalige TSG-Torjäger spielte in der WFV-Auswahl und schrieb mit den Fußballern aus den Etzwiesen in den 1960er-Jahren Backnanger Sportgeschichte. „Er hat viel gemacht, alles vorbereitet“, sagt Ursel Kress voller Anerkennung, „als Hamburger hat er sogar gelernt, Spätzle und Maultaschen zu machen.“ Am Jahreswechsel 1998/99 übernahm schließlich Jochen Kress das Lokal und führte es zunächst fünf Jahre als Hauptbetrieb, reduzierte dann auf drei Öffnungstage und hat seit knapp zwei Jahren nur noch freitags geöffnet. „Das hat sich für mich einfach nicht rentiert. Die Kosten sind immens gestiegen, der Verdienst hielt sich sehr in Grenzen“, sagt Jochen Kress. Als er vor etlichen Jahren seinen heutigen Job annahm, er ist Koch in der Kantine eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens, wechselte er somit auch die Branche, von Nahrung-Genuss-Gaststätten nach Metall, und verdoppelte mit einem Schlag sein Gehalt. Ernst Kress kann seinen Sohn verstehen: „Ich tät heute keine Wirtschaft mehr machen, das macht heute keinen Spaß mehr.“
Aber Jochen Kress macht es im Scholpp noch Spaß, am Herd zu stehen. Eben nur freitags. Und nur auf Vorbestellung. Und nur ein Essen. So kann er portionsgenau einkaufen und muss nichts einfrieren oder wegwerfen. Und an der Theke und als Bedienung helfen seine Frau und seine beiden Töchter mit.
Ende April 2017 verabschiedeten sich die beiden Löwen-Wirtsleute
Auch Backnangs ehemaliger Löwen-Wirt Werner Lutz hat mit seiner Ehefrau Roswitha lange Zeit nach einem Nachfolger gesucht. Die beiden haben so viel zu erzählen. Ein ganzes Leben im Wirtshaus im Herzen der Stadt. 47 Jahre haben sie das Backnanger Traditionsgasthaus Zum Löwen, das sich seit 85 Jahren in Familienbesitz befindet, geführt. Von ihren beiden Söhnen hatte einer zeitweise zusammen mit seiner Ehefrau die Gastwirtschaft geführt. Aber das Paar hatte seine Zukunft letztlich doch nicht in Backnang gesehen. Werner Lutz suchte weiter. Betreiber von Spielhallen oder Fast-Food-Ketten hätte er schon haben können. Und ordentlich Geld hätte er auch für sein Haus bekommen. Aber das wäre kein Aushängeschild für die Stadt gewesen. Werner Lutz hat entsprechende Angebote ausgeschlagen und dabei nicht auf den eigenen Geldbeutel geschaut. Ihm war’s eben nicht egal, wer „seinen Löwen“ übernimmt.
Die weitere Löwen-Geschichte ist bekannt: Backnangs Oberbürgermeister Frank Nopper war’s eben auch nicht egal, was sich gegenüber seinem Rathaus breitmacht. Der OB hat letztlich die entscheidenden Fäden gezogen und das Brauhausprojekt an Land gezogen. Und ein Backnanger Investor, der schließlich den Löwen erwarb, ließ sich auch für diese Idee begeistern. Ende April vergangenen Jahres verabschiedeten sich die beiden Löwen-Wirtsleute Werner und Roswitha Lutz im Alter von 70 Jahren von ihrem treuen Publikum.
„Die Sinzenburg wird wohl
ein Investor übernehmen“
Armin und Renate Unkauf von der Höhengaststätte Sinzenburg oberhalb von Kleinaspach denken im Alter von 61 beziehungsweise 62 Jahren auch schon langsam ans Aufhören. „Wir wollen noch zwei, drei, vier Jahre arbeiten, dann sind wir beide im Rentenalter“, sagt Armin Unkauf. Die Eheleute, die ihr Wirtshaus seit 36 Jahren betreiben, haben drei Söhne im Alter von 30 bis 34 Jahren. „Die sind aber alle draußen im Beruf und haben Familie“, sagt der Sinzenburg-Wirt. Die hätten gesehen, dass ein Gasthof mit viel Arbeit verbunden ist. „Du stehst ständig unter Spannung, bekommst kein Personal und hängen bleibt auch nicht viel“, sagt Unkauf. Er spüre die zunehmende Konkurrenz durch Vereinsheime, Besenwirtschaften und Gemeindehäuser. Trotzdem bleiben die Wirtsleute gelassen: „Die Sinzenburg wird wohl von einem Investor übernommen, der wahrscheinlich Wohnungen daraus macht.“