Opfer erinnert sich an Fußtritte ins Gesicht

20-Jähriger muss sich vor dem Landgericht verantworten – 80-Jähriger über den Täter: „Er muss ein Kampfsportler gewesen sein“

Opfer erinnert sich an Fußtritte ins Gesicht

Von Bernd S. Winckler

WEISSACH IM TAL/STUTTGART. Im Strafprozess vor dem Stuttgarter Landgericht gegen einen 20-jährigen Schüler aus Althütte, der bei Weissach einen damals 78-jährigen Radfahrer durch Schläge lebensgefährlich verletzte, hat am gestrigen zweiten Verhandlungstag das Opfer ausgesagt – und die Angaben des Angeklagten teilweise relativiert.

„Es stimmt keinesfalls, dass der 20-Jährige an jenem 23. Juni 2018 auf dem Radweg bei Unterweissach von mir zurechtgewiesen wurde“, sagt der Rentner vor der 2. Großen Jugendstrafkammer aus. Und es stimme auch nicht, dass er in provozierender Weise grinsend auf den Angeklagten zuging, bevor dieser ihn dann niederschlug und mit Fußtritten bedachte. Vielmehr habe sich der Vorfall ganz anders abgespielt, so der Zeuge gestern: Er sei mit seinem Fahrrad auf dem Radweg unterwegs gewesen, habe die Jugendgruppe gesehen, die auf dem Boden sitzend mit ihren Beinen seine Weiterfahrt erheblich behinderte. Und er habe gesehen, dass einer der Jugendlichen eine Flasche dabei hatte. Ihm habe er noch gesagt, er hoffe nicht, dass es sich um Alkohol handele. Dann sei er vom Rad gestiegen, um an den ausgestreckten Beinen das Rad schiebend vorbeizugehen.

In diesem Augenblick sei der Angeklagte aus einem Gebüsch gerannt, stellte sich kurz vor ihn hin und habe ihm dann stehend mit einem Fuß in kampfsportartiger Art ins Gesicht geschlagen: „Ich habe in diesem Augenblick nur die Sohle seines Schuhes kurz wahrgenommen, ehe ich nach hinten umfiel.“ Niedergeboxt worden sei er nicht und weist damit darauf hin, dass der Angeklagte hierzu die Unwahrheit sagt. Als er auf dem Boden lag, sei der junge Mann über ihm gewesen und trat jetzt mehrfach – „etwa sechs- bis siebenmal“ – mit den Schuhen auf den Kopf und in das Gesicht. Dabei erlitt er unter anderem einen Nasenbeinbruch und einen Bruch der Nasenscheidewand, mit der Folge, dass er bis heute keine Gerüche mehr wahrnehmen kann. Sein Geruchssinn sei jetzt vollkommen weg. Und er leide heute als Folge noch an Atembeschwerden. Danach habe ein anderer Mann, den er aber kennt, ihm geholfen, wieder aufzustehen. Es handelt sich um jenen Zeugen, der das Geschehen beobachtete und dann auch vom Tatort Fotos anfertigte, die an diesem gestrigen zweiten Prozesstag von den Richtern gesichtet wurden. Der Bekannte habe die Polizei und einen Krankenwagen alarmiert.

Rentner übergab der Polizei eine detaillierte Notiz über das Geschehenmb

Von den Vernehmungsmethoden der Polizei hingegen hält das Opfer nach eigener Angabe nicht viel: Man habe nur ganz kurz mit ihm geredet, sagt er. Danach habe er von der Polizei nichts mehr gehört. Eine detaillierte schriftliche Notiz des Geschehens, die er später anfertigte, habe er der Polizei übergeben. Dass er bei dem Vorfall einen stabilen Fahrradhelm trug, habe ihm wohl das Leben gerettet, dies hätten auch die Ärzte gesagt. Das Opfer wundert sich heute noch, wie es der 20-jährige schmächtige Angeklagte damals trotz seines angeblich hohen Alkoholspiegels geschafft habe, ohne umzukippen ihm stehend einen Fußtritt in das Gesicht zu verpassen. „Er muss ein Kampfsportler gewesen sein.“ Und der Zeuge betont, dass es nur Fußtritte und keine Faustschläge waren, die ihn so schwer verletzten. Er wisse heute noch ganz genau, wie der Ablauf war, bekräftigt er nach richterlichen Nachfragen. Er betont, dass er den jungen Mann in keiner Weise provoziert habe, wie es der Angeklagte behauptet. Bestätigt hat der Zeuge gestern auch, dass er inzwischen über den Anwalt des Täters insgesamt 3200 Euro in monatlichen 200-Euro-Raten als Schadenersatz für die Brille und als anteiliges Schmerzensgeld erhalten habe.

Am nächsten Verhandlungstag, 6. Februar, sollen die restlichen Zeugen und die psychiatrische Gutachterin gehört werden. Am 18. Februar sind die Plädoyers und die Urteilsverkündung geplant.