Die Aufrufe wurden über Telegram verbreitet. Symbolfoto: Thomas Ulrich/Pixabay
Von Lorena Greppo
Weissach im Tal. Ein Mann aus Niedersachsen, er wird der Reichsbürgerszene zugeordnet, bezeichnet sich selbst als „Commander“ einer angeblichen US-Militäreinheit und verbreitet selbst verfasste Todesurteile über andere – etwa Politiker oder Ärzte, welche die Coronaimpfung befürworten – über den Nachrichtendienst Telegram. Die Polizei ist ihm auf den Fersen, monatelang wird ermittelt. Er sucht Unterschlupf bei einer Anhängerin, seiner „First Lieutenant“, im Weissacher Tal. Doch die beiden fliegen auf und werden dort festgenommen. Er kommt in Untersuchungshaft in Rosdorf bei Göttingen, sie wird wieder freigelassen. Der Fall klingt beinahe zu abgedreht, um wahr zu sein, ist aber tatsächlich so passiert, die Festnahme erfolgte im Dezember 2021.
Reichsbürger wird in Klinik eingewiesen
Inzwischen hat sich in dem Fall einiges getan: Der Reichsbürger musste aufgrund seiner Taten vors Gericht, am Landgericht Oldenburg wurde er allerdings für schuldunfähig befunden und daraufhin in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Dort ist er im Frühjahr verstorben. Seine Unterstützerin wiederum musste sich jüngst vor dem Amtsgericht in Backnang verantworten. Sie wurde trotz ihrer verqueren Ansichten als schuldfähig angesehen und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Doch von vorn: Wer ist überhaupt der Kopf des Netzwerks? Der Göttinger Oberstaatsanwalt Frank-Michael Laue beschrieb den Mann als Angehörigen diverser Szenen: „Reichsbürger, Pseudomilitär, Coronaleugner und Impfgegner – das ist eine ziemliche Mischung.“ Um ihn hatte sich eine große Gefolgschaft gesammelt, seine diversen Telegram-Kanäle hatten rund 25000 Follower. Dort wetterte er gegen alles, was nicht in sein krudes Weltbild passte, allem voran die Coronamaßnahmen.
Der Mann aus Niedersachsen sah sich als Chef einer US-Militärorganisation an
An diese wie auch andere deutsche Gesetze müsse man sich nicht halten, so seine Ansicht, denn in Deutschland hätten SHAEF-Gesetze zu gelten. SHAEF steht für „Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force“, das frühere Hauptquartier der alliierten Streitkräfte in Nordwest- und Mitteleuropa, welches jedoch nach Kriegsende 1945 aufgelöst worden war. Nach Ansicht des Mannes aus Niedersachsen war SHAEF 2020 wieder eingesetzt und er von Donald Trump zu dessen Chef bestimmt worden.
In dieser „Funktion“ verhängte er gegen Hunderte Menschen „Todesurteile“ wegen Hochverrats oder ähnlicher Vorwürfe und rief seine Anhänger dazu auf, diese zuzustellen. In einem Fall forderte er gar einen Mann auf, den Bürgermeister von Bad Doberan „aufzuknüpfen“. Das Auffordern zu Straftaten und die versuchte Anstiftung zum Mord oder Totschlag wurden ihm daher vorgeworfen.
Eine Nachricht hatte sich gegen Lothar Wieler gerichtet
Die Vorwürfe gegen die 55-jährige Frau aus Weissach waren weitaus weniger schwerwiegend. Ihr wurde vorgeworfen, durch das Teilen der Botschaften ihres „Commanders“ selbst zu Straftaten aufgefordert zu haben. Unter anderem hatte sich eine Nachricht gegen den damaligen Präsidenten des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler gerichtet. Dass sie die Nachrichten geteilt hatte, gab die 55-Jährige unumwunden zu, wie die Stuttgarter Zeitung berichtete. Ihrer Ansicht nach habe es sich aber nicht um Aufrufe zu Straftaten, sondern Beurteilungen des „Commanders“ gehandelt. Zudem habe sie die Nachrichten lediglich auf ihrem privaten Kanal weitergeleitet.
Im Prozess wurde demnach schnell deutlich, dass die Frau die Vorstellungen ihres zwischenzeitlichen Weggefährten teilte. Die Bundesrepublik Deutschland erkenne sie nicht als Staat an und das Gericht sei daher auch lediglich als Unternehmen jenes Konstrukts zu sehen. Wie sie zu ihrem Rang als „First Lieutenant“ gekommen ist, konnte sie vor Gericht nicht klären. Wohl aber machte sie deutlich, dass sie ebenso wie ihr Vertrauter aus Niedersachsen keine Sympathien für die Coronamaßnahmen hegte. Ihrer Meinung nach hätten diese gegen Menschenrechte verstoßen, die Angeklagte und ihre Kinder seien gehänselt worden, weil sie eine Impfung verweigerten.
Keine Haftstrafe, nur eine Geldbuße
Staatsanwaltschaft und der Vorsitzende Richter Marco Siever waren sich laut dem Bericht der Stuttgarter Zeitung einig, dass sich die Frau durchaus des Straftatbestands des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten schuldig gemacht habe. Die Weissacherin sei „einem kranken Mann aufgesessen“, wird der Staatsanwalt zitiert. Dass sie die von ihm verfassten „Todesurteile“ nicht als solche aufgefasst habe, spreche sie nicht von der Schuld frei. Zumal man beim „Commander“ durchaus den Eindruck bekommen habe, dass dieser die Angelegenheit ernst genommen habe. „Die Sache war alles andere als ungefährlich“, wird der Richter zitiert – auch wenn im Endeffekt keines der „Todesurteile“ zur Umsetzung kam. Als Beispiel führte Siever die Reaktion eines ehemaligen Soldaten auf die Telegram-Nachrichten an: Dieser habe sich dazu bereit erklärt, „den Satanisten den Garaus zu machen“.
Zwar hatte der Staatsanwalt eine Haftstrafe für die 55-jährige Frau gefordert, das ging dem Richter dann aber wohl zu weit. Er begnügte sich damit, eine Geldbuße von 150 Tagessätzen zu je zehn Euro zu verhängen. Mit ausschlaggebend dafür war demnach, dass sich die Frau zuvor nichts hatte zuschulden kommen lassen.