„Richter ist der beste Job, den ich erreichen konnte“

Nach 17 Jahren am Amtsgericht Backnang geht Michael Lehmann heute in den Ruhestand. Das Jahr 2020 hatte der 66-jährige Amtsgerichtsdirektor „noch freiwillig drangehängt“, wie er sagt. Als er diese Entscheidung Mitte 2019 getroffen hatte, dachte noch niemand an eine Pandemie mit solchen immensen Auswirkungen.

„Richter ist der beste Job, den ich erreichen konnte“

Michael Lehmann war mit Herzblut Richter und genoss besonders seine 35 Jahre an den Amtsgerichten Ludwigsburg und Backnang, freut sich aber genauso auch auf den Ruhestand. Foto: J. Fiedler

Von Florian Muhl

BACKNANG. „Ich kam 2003 hierher und bin 17 Jahre lang geblieben. Das ist eine verhältnismäßig lange Zeit in einer solchen Position“, sagt Michael Lehmann rückblickend auf die Zeit in Backnang. Allein schon sein strahlendes Gesicht, in das man bei diesen Worten blicken darf, verrät, dass die 17 Jahre eine sehr schöne Zeit für ihn gewesen sein müssen. Stimmt. Der 66-Jährige sagt es dann auch sehr deutlich, mit einer großen, inneren Zufriedenheit: „Ich hab hier in Backnang die besten Jahre meines Berufslebens verbracht; wobei die fast 20 Jahre zuvor am Amtsgericht Ludwigsburg auch schon nicht schlecht waren.“ Es sei ein Traumjob gewesen, eine wunderbare Arbeitsstätte auf dem Stiftshof. „Das Miteinander hier am Amtsgericht hat familiäre Züge, wir alle haben hier intern ein sehr gutes Verhältnis.“

So war es für Lehmann ein Glücksgriff, als er zu jener Zeit in Ludwigsburg, in der er sich verändern wollte und nach einer Leitungsfunktion Ausschau hielt, die Stellenausschreibung für den Direktor des Amtsgerichts Backnang entdeckte. „Ich hab mich beworben und den Zuschlag bekommen.“ Im September 2003 ist er zum Direktor ernannt worden. Lehmann erinnert sich an die ersten Wochen: „Die Direktorenstelle stand einige Monate leer und es gab sehr viel Arbeit.“

„So ein Direktor, der leitet halt und macht Bürokratie. Dem ist nicht so.“

Um nicht erst falsche Vorstellungen aufkommen zu lassen, erläutert er seinen Aufgabenbereich. Man könnte ja denken: „So ein Direktor, der leitet halt und macht Bürokratie. Dem ist aber nicht so.“ Das Backnanger Justizgebäude mit sechs Richterstellen sei ein verhältnismäßig kleines beziehungsweise nicht ganz großes Amtsgericht. „Da ist der Direktor zu 75 Prozent normaler Amtsrichter und nur zu 25 Prozent Direktor.“ Er habe also nur zu einem Viertel seiner Arbeitskraft die Position inne, in der er sich mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt und die Leitungsfunktion übernimmt. Als Richter war er für Familien- und Betreuungssachen zuständig. Am 9. Dezember hat er seine letzte Scheidung ausgesprochen.

Stets war es sein Bestreben, insbesondere als Familienrichter bei Scheidungsverfahren, den Menschen für ihre Zukunft eine Grundlage, eine neue Basis mit auf ihren weiteren Lebensweg zu geben. Er versuchte, dass beide Seiten, nachdem man die Streitpunkte der Vergangenheit abgearbeitet hat, den Eindruck bekommen, dass das einigermaßen gerecht geschehen ist. Dass die Streitenden eine Einigung finden können, die für beide Parteien passend ist und auch für die Personen passend ist, die nichts dafür können, für die Kinder, lag Lehmann ganz besonders am Herzen. „Wenn sich die beiden Kontrahenten am Ende noch die Hand gegeben haben, dann ist das für einen Familienrichter die Krönung.“

„Das ist nicht die Art und Weise, wie ich arbeiten möchte.“

Selbst ist Lehmann in zweiter Ehe verheiratet. Schmunzelnd sagt er: „Ich hab als Familienrichter gedacht, ich muss mir das auch mal anschauen, wie das mit der Scheidung funktioniert. Die hab ich dann auch 2007 hinter mich gebracht.“ Aus erster Ehe hat er eine Tochter, die in Sachsen lebt. Die 31-Jährige ist in die Fußstapfen ihres Vaters getreten und studierte Jura. Heute ist sie Richterin am Verwaltungsgericht Leipzig. Sie ist glücklich damit und auch der Vater, Michael Lehmann, sagt: „Richter ist der beste Job, den ich erreichen konnte.“

Als eine der größten Herausforderungen während seiner Zeit in Backnang nennt Lehmann die Notariatsreform. „Jetzt, nach drei Jahren, sage ich: Wir haben’s geschafft.“ Dabei betont er das „Wir“, es sei kein Werk des Direktors. Eine allerdings noch größere Herausforderung sei die Reform des Vormundschaftsrechts in diesem Jahr gewesen. „Das hat sich in den zurückliegenden zwölf Monaten nachhaltig verändert.“ Die Betreuten seien meist kranke Menschen, die oft in Pflegeheimen untergebracht seien. „Es war für mich immer ein Anliegen, mit diesen Menschen würdevoll umzugehen.“ Dazu gehöre, beispielsweise einen Bettlägerigen auch mal zu berühren, die Hand zu geben, zu umarmen, irgendetwas Menschliches. „All das geht jetzt nicht mehr. Das ist nicht mehr die Art und Weise, wie ich arbeiten möchte.“.“

Vergangenes Jahr im Dezember hätte sich Lehmann schon in den Ruhestand verabschieden können. Aber er hat freiwillig ein Jahr verlängert. Als er diese Entscheidung traf, war noch keine Spur von Corona. Im Jahr der Pandemie musste auch das Amtsgericht schließen beziehungsweise scharfe Sicherheitsregeln einführen. „Überall geschlossene Türen – das ist nicht mehr meine Justiz“, sagt Lehmann mit Verdruss. Der Spaß am Beruf ist ihm in diesem Jahr verloren gegangen. Jetzt freut er sich auf die Zeit, die er haben wird. Auch deswegen, weil einer von den beiden Söhnen, die seine zweite Frau hat, im Juli Vater einer Tochter geworden ist. „Ich bin ein begeisterter Großvater“, bekennt er strahlend und präzisiert: „Auch wenn ich nur ein Stiefgroßvater bin.“ Er und seine Frau verbringen so viel Zeit wie möglich mit der Enkelin. „Wir freuen uns sehr, dass die Eltern des Kindes, die auch in Sechselberg wohnen, ein Stück weit loslassen können. Da sind wir sehr dankbar dafür und können so sehr nahe an der Entwicklung des Kindes teilhaben.“

Zur Person

Michael Lehmann wurde 1954 in Wolfach im Schwarzwald geboren, ist dort aufgewachsen und hat im benachbarten Hausach sein Abitur abgelegt.

Nach seiner zweijährigen Bundeswehrzeit als Zeitsoldat in Albstadt sowie in Kaiserslautern bei einer Nato-Einheit begann er sein Jurastudium in Konstanz, das er nach nur sechs Jahren mit dem zweiten Staatsexamen abschloss.

Im November 1981 begann Lehmann seine dreijährige Assessorenzeit, eine Art Probezeit. Für jeweils ein Jahr war er bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart, Abteilung Gewaltverbrechen, bei der Großen Strafkammer beim Landgericht Stuttgart und am Amtsgericht Waiblingen. Anschließend wurde Lehmann 1985 an das Amtsgericht Ludwigsburg versetzt und dort zeitnah zum Richter auf Lebenszeit ernannt.

Im Jahr 2003 hatte er den Wunsch, sich zu verändern. Im September wurde er zum Direktor des Amtsgerichts Backnang ernannt.

Michael Lehmann war von 1985 bis 2007 in erster Ehe verheiratet und hat eine heute 31 Jahre alte Tochter. 2006 zog Lehmann von Ludwigsburg nach Backnang. Mit seiner zweiten Frau, die Lehmann 2009 geheiratet hat und die zwei erwachsene Söhne hat, lebt er heute im eigenen Haus in Althütte-Sechselberg.