Roadshow macht Flucht erlebbar

Interaktive Lesung heißt jetzt „angekommen – angenommen“ – Verein Kubus sucht Gebäude im Raum Backnang

Die interaktive Lesung „Roadshow – Flucht erlebbar machen“, die seit zwei Jahren in Backnang und landesweit aus dem Leben von Geflüchteten berichtet, wird in geänderter Form weitere zwei Jahre fortgeführt. Das Projekt trägt jetzt den Namen „angekommen – angenommen“. Es baut auf den Erfahrungen der Roadshow auf und reagiert gleichzeitig auf die veränderten Verhältnisse. Schließlich leben viele der Flüchtlinge schon viele Monate in Deutschland.

Roadshow macht Flucht erlebbar

„Deutsche haben von den Flüchtlingen gelernt und umgekehrt. Da ist viel anEmpathie gewachsen.“Jochen SchneiderKubus e.V.

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Das Projekt Roadshow des Vereins Kubus war ein großer Erfolg. Zwei Jahre lang konnten Hunderte interessierte Schüler, Jugendliche und Erwachsene mit allen Sinnen und geradezu hautnah erahnen, wie es Asylbewerbern auf der Flucht erging. In einem engen Seecontainer, der von mehreren Mitarbeitern und Flüchtlingen über mehrere Wochen zu einem Erfahrungsraum umgebaut worden war, ging es um Eindrücke wie Dunkelheit, plötzliche Lärmattacken oder beängstigende Enge. In einem überfüllten Schlauchboot neben dem Container konnten die Zustände auf hoher See trotz instabilem Untergrund zwar nicht ansatzweise nachempfunden werden, aber zumindest ein beklemmendes Gefühl und eine Ahnung der Hilflosigkeit stellte sich bei den meisten Bootsinsassen ein. In einem heruntergekommenen Kellerraum, der vermutlich einigen Unterkünften während der Flucht ähnelte, wurden Fluchtgeschichten von Jugendlichen in Arabisch oder Persisch vorgetragen, gleichaltrige Deutsche lasen im Wechsel die Übersetzung vor. Geschichten, die unter die Haut gingen. Die Hauptförderung des Projekts stammte von der Stiftung SWR-Herzenssache.

Nach etlichen Lesungen in Backnang ging die Roadshow auch ein Jahr lang landesweit auf Tournee. Parallel bot die Firma Riva an, den Container im Backnanger Kaelble-Areal aufzustellen und die Lesung in einem benachbarten Altbau zu halten. Die Nutzung des Altbaus wurde unlängst jedoch zurückgezogen.

Jetzt ereilte Jochen Schneider, der bei Kubus das Projekt betreut, frohe Kunde. Eine neue Förderzusage aus Mitteln des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (Amif) ermöglicht für zwei Jahre ein neues Projekt, das an die Erfahrungen der Roadshow anknüpft. Das Projekt heißt „angekommen – angenommen“ und ist eine Weiterentwicklung, denn ein „einfach weiter so“ war für Jochen Schneider kein Thema.

Nun also soll das Konzept in Kooperation mit der Theatergruppe „Lokstoff!“ verändert und weiterentwickelt werden. Es setzt sich aus drei Elementen zusammen. Beim ersten, dem stationären Baustein, dreht sich alles wieder in einem Gebäude um das Thema Flucht. Dieses Mal wird jedoch der Ausstellungscharakter mit integriert. Die Besucher erhalten Informationen über Bildschirme und an Stellwänden. Genutzt werden multimediale Möglichkeiten, eventuell erhalten alle Besucher einen Kopfhörer verpasst, damit die Soundeffekte auch punktgenau sitzen.

„Wir haben jetzt zehn Monate Zeit, das Projekt zu konzipieren, zu entwickeln und zu produzieren“, kündigt Schneider an. Dazu sucht das Team interessierte Jugendliche als Helfer und Akteure für die Lesung, für handwerkliche Tätigkeiten, für die Tontechnik oder als Schauspieler. Die Jugendlichen werden dabei von professionellen Mitarbeitern des Projekts angeleitet und begleitet und können auch einiges an Know-how lernen. Die vergangenen zwei Jahre waren etwa 30 Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren aus acht Ländern im Einsatz. Doch viele Flüchtlinge aus dieser Crew sind jetzt in Ausbildung und können aus zeitlichen Gründen nicht mehr mithelfen. Ebenso die deutschen Jugendlichen, die nun, das Abitur vor der Brust, zeitlich eher im schulischen Bereich eingespannt sind. Schneider wirbt auch deshalb bei den Jugendlichen, sich in dem Projekt zu engagieren, da viel mit ihnen unternommen wird. So geht die Gruppe beispielsweise gemeinsam schwimmen, klettern oder zum VfB.

Gesucht wird aber auch ein passendes Gebäude, am besten ein leer stehendes. Ideal wäre ferner ein angrenzendes Grundstück, da Schneider dort wieder das berühmte Schlauchboot zum Einsatz bringen, den Container abstellen oder ein altes Auto parken möchte. Bei Letzterem könnten Besucher am eigenen Körper nachempfinden, wie es sich anfühlt, im Kofferraum eines Fluchtwagens zu kauern. Der Standort des Gebäudes sollte mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. Schneider hofft, dass auch Verantwortliche einer Gemeinde ihm ein Objekt zur Verfügung stellen, denn „für die Kommune ist das eine kostenlose Erweiterung der Jugendarbeit“.

Der zweite Baustein steht unterm Stichwort Roadshow mobil. Die aktuelle Idee lautet, einen alten Bus zu mieten und mit einem Teil der Ausstellung auf Tour zu gehen und Schulen zu besuchen. Kooperationspartner vor Ort wie etwa ein Stadtjugendring oder eine SMV sollen als Multiplikatoren dienen. Der Bus wird abgedunkelte Scheiben haben und über Bildschirme verfügen, so Schneiders Plan. Auch die Roadshow-Lesung mit den Fluchtgeschichten könnte im Bus gehalten werden, verknüpft mit plötzlichen Stopps, an denen die Gruppe aussteigen muss, um mit verschiedenen Situationen konfrontiert zu werden.

Der dritte Baustein ist die virtuelle Aufbereitung der Aktionen. Schneider denkt dabei an einen Zeichentrickfilm oder Online-Präsentationen.

Von dem Projekt profitieren alle, so Schneider: „Einmal diejenigen, die mitgearbeitet haben. Unter ihnen sind Freundschaften entstanden. Deutsche haben von den Flüchtlingen gelernt und umgekehrt. Sie haben viel voneinander erfahren, da ist ein Haufen an Empathie gewachsen. Viele deutsche Jugendliche haben Patenschaften für Flüchtlingskinder übernommen.“ Aber auch von den Schülern, die die Roadshow besucht haben, hat Schneider durchweg positive Rückmeldungen bekommen. Er erinnert sich besonders an eine Vorstellung in Holzgerlingen, als eine Schülerin hinter die Bühne kam und alle Beteiligten in den Arm genommen hat.

Roadshow macht Flucht erlebbar

Die Besucher der Roadshow, die im überfüllten Schlauchboot Platz nehmen, überkommt ein beklemmendes Gefühl und eine Ahnung der Hilflosigkeit, die alle Bootsinsassen empfinden. Foto: E. Layher