Pirat oder Prinzessin, Cowboy oder Clown, Robin Hood oder Hexe: Ob ein Kind die große Bühne mag oder nicht, ist Typsache. Andere Rollen zu verkörpern ist auch dann möglich, wenn Faschingsevents wie hier in Auenwald in diesem Jahr nicht stattfinden. Foto: A. Becher
Von Nicola Scharpf
BACKNANG/MURRHARDT. Ich bin der Dieb und du bist der Polizist. Ich bin die Mutter, du bist der Vater, du das Kind. Ich bin der Hund und du bist der Besitzer. In Rollen zu schlüpfen, das ist in einem bestimmten Alter ständiger Begleiter von Kindern. Als Leiterin eines Aspacher Kindergartens weiß Stephanie Mayer, wovon sie spricht: „Verkleiden gehört zum Rollenspielverhalten. Im Kindergarten sind Kostüme ständig Thema.“ Mayer ist beim Backnanger Karnevals-Club (BKC) außerdem Trainerin und Mitverantwortliche für die Ausrichtung des Kinderfaschings, der normalerweise an Rosenmontag in der Backnanger Stadthalle mit rund 300 Kindern samt Anhang gefeiert wird. Auch wenn Faschingsevents wie dieses heuer nicht stattfinden, bleibt Verkleiden für die Kleinen ein Highlight – und das ist auch gut so. Vom Verkleiden „profitieren die Kinder absolut“, sagt Mayer. „Es regt die Fantasie an. Das Kostüm gibt nur die Rolle vor, aber mehr nicht. Was ich daraus mache, ist meiner eigenen Kreativität überlassen.“
Im Fasching wollen Kinder im Alter vom Kindergarten bis zur Grundschule oft jemanden darstellen, der für sie ein Idol ist: Feuerwehrmann Sam beispielsweise aus der gleichnamigen Zeichentrickserie oder die Eiskönigin Elsa oder eine der Zeichentrickfiguren der Serien „Paw Patrol“ und „Superhelden“. Bei älteren Kindern, so die Beobachtung von Stephanie Mayer, bilden sich dann Gruppen. „Wenn einer Vampir cool findet, schließen sich andere an.“ Gegen Ende der Grundschulzeit kippe die Haltung: „Dann wird Verkleiden megapeinlich. Erst später wird es wieder interessant.“ Aus kleinen Verkleidungsfans werden große Faschingsnarren.
„Kinder trauen sich verkleidet viel mehr, das sehe ich an meinen eigenen.“
Carola Lutz ist beim Sulzbacher Carnevalsverein Trainerin für die Jugend und auch in die Organisation des dortigen Kinderfaschings involviert. Einen Anreiz für die Kinder, sich zu verkleiden, macht sie darin aus, dass die Kleinen sich ausprobieren können und sonst gültige Regeln brechen dürfen. „Als Dieb darf man auch mal böse sein“, führt sie ein Beispiel an. „Ein Kind, das sonst schüchtern ist, darf der Bestimmer sein. Kinder trauen sich verkleidet viel mehr, das sehe ich an meinen eigenen.“
Theaterpädagogin Elke Schuler, die in Murrhardt das VHS-Jugendtheater leitet, findet es genial, dass Kinder das Potenzial haben, sich eine eigene, eine neue Realität zu schaffen. „Sie können sich in eine andere Welt hineinträumen. Sie können jedem Gegenstand – Bäumen, Steinen, Tieren – eine Seele geben. Kinder beleben ihre Umwelt. Alles erwacht durch ihre Fantasie.“ Seien es Prinzen, Götter oder Superhelden, dem Schlüpfen in Rollen wohne eine große Ernsthaftigkeit inne. „Wir sind beschränkt durch das, was wir sind“, erklärt Schuler. „In einer Rolle werden Kinder etwas, was sie gerne werden wollen.“
Ein Kostüm habe etwas mit Wünschen und Sehnsüchten zu tun und der Frage: Wie möchte ich selbstwirksam sein? „Kostüme machen etwas mit einem. Man hat eine andere Wirkung auf die Außenwelt.“ Das Kostüm ziehe in die Rolle hinein. Ein Kostüm könne die eigenen Charaktereigenschaften entweder unterstützen oder aber komplementär dazu stehen. „Ich kann mich hinter einem Kostüm verstecken, aber es sagt auch etwas über mich.“ Ob sich jemand gern oder weniger gern verkleidet, sei Typsache. Kostümiert trete man aus dem eigenen kleinen Kreis heraus. Es erfordere Mut, in eine andere Situation hineinzugehen. „Nicht jeder ist der Typ für eine große Bühne.“
Von daher kommt es manchem Kind eventuell sogar entgegen, dass der Vorhang für die großen Faschingsbühnen dieses Jahr geschlossen bleibt. „Oft muss es gar nicht das Riesenbrimborium sein“, findet Stephanie Mayer vom BKC. Wenn Eltern ihren Kindern zu Hause eine Kiste mit alten Schuhen und Kostümen anbieten und kleine Mädels geschminkt werden, so schön wie die Mama, dann „ist das für die Kinder auch ein Highlight“. Jeder könne sich daheim Gedanken machen, ob er seinem Kind das Verkleiden anbiete; und ob er Musik oder Instrumente zur Verfügung stelle, um die Verknüpfung zum Faschingsumzug herzustellen. Ob Narrenbaum oder Faschingsfenster oder drei Tage Verkleidung für zu Hause: „Hey, man kann trotzdem Spaß haben“, sagt Mayer motivierend. „Es ist eine Frage, was man draus macht.“