Die Quagga-Muschel, die im Aralsee und im Schwarzmeerraum heimisch ist, hat mittlerweile den Bodensee vollständig durchseucht. Jetzt gibt es Hoffnung im Kampf gegen den ungebetenen Eindringling.
Das will keiner sehen: Auf dem Rumpf der „Hohentwiel“, des letzten Schaufelraddampfers auf dem Bodensee, haften bei seiner Auswasserung 2021 zentimeterdick Quagga-Muscheln.
Von Hildegard Nagler
Hat sie sich einmal niedergelassen, kann man sie nur mit roher Gewalt wieder entfernen: die bis zu 3,2 Zentimeter große Quagga-Muschel. Sie ist dunkelbraun mit hellbraunen Streifen oder aber sehr dunkel beziehungsweise fast weiß, also sehr anpassungsfähig. Das ganze Jahr über produziert sie Nachkommen – pro Muschel sind das in ihrem drei- bis fünfjährigen Leben eine Million. Die Larven der Quagga-Muschel sind klein, messen je nach Entwicklung etwa 0,1 Millimeter. Sie schwimmen frei im Wasser, womit sie sich sehr effizient im Gewässer verteilen – und auch sehr leicht verschleppt werden.
Als die Quagga-Muschel 2016 erstmals im Bodensee entdeckt wurde, war das Entsetzen bei Wissenschaftlern groß – von den Seen in Nordamerika, die zuvor von dieser Muschel besiedelt worden waren, wusste man: Das unerwünschte Kommen dieser Tiere würde nichts Gutes bedeuten, zumal sie auch beispielsweise dem ohnehin bedrohten Felchen, dem Brotfisch im Bodensee, das Futter wegfressen, indem sie Plankton aus dem Wasser filtern und für sich verbrauchen. Vermutlich hafteten sie an einem Schiff, einer Angel- beziehungsweise Taucherausrüstung oder wurden über Wasservögel eingeschleppt.
Quagga-Muscheln an Entnahmestellen
Besiedeln kann die Quagga-Muschel im Gegensatz zu anderen Muscheln, beispielsweise zur Dreikant-Muschel, die eine feste Unterlage braucht, auch weiches Sediment. Dabei hält sie sich mit Hilfe von so genannten Byssusfäden fest. „Diese Fäden sind relativ haltbar und bleiben auch bestehen, wenn die Muscheln schon lange ausgetrocknet und abgestorben sind“, hatte Thorsten Rennebarth vom Institut für Seenforschung in Langenargen erklärt.
Seit Jahren kämpft die Bodensee-Wasserversorgung gegen den Eindringling, der nach der mittlerweile fast ausgestorbenen Zebra-Form Equus quagga quagga bezeichnet wird und sich in Rohren und auf Sieben niederlässt. Einmal im Jahr werden die Entnahmestellen der Bodensee-Wasserversorgung geprüft und gereinigt. Dabei werden auch Quagga-Muscheln entfernt, die sich in den vergangenen Jahren vermehrt an den Entnahmestellen festgesetzt haben. „Obwohl spezielle Geräte wie Hochdruckreiniger diese Aufgabe erleichtern können, müssen die Muscheln oft händisch entfernt werden. Die Arbeiten beanspruchen in der Regel einige Tage“, heißt es bei der Bodensee-Wasserversorgung. Um die Mikrosiebe, die erste Aufbereitungsstufe, von der Quagga-Muschel zu reinigen, wurden vier Mitarbeitende zusätzlich eingestellt. Die Quagga-Muschel stellt laut Bodensee-Wasserversorgung „eine der größten Herausforderungen für die Trinkwasserversorger am Bodensee dar“.
Auch auf Schiffsrümpfen sorgt die Quagga-Muschel für großen Unmut. „Es ist in der Tat so, dass durch Muschelbesatz am Unterwasserschiff eine erhebliche Geschwindigkeitsreduzierung durch Reibungsverlust stattfindet“, sagt Reinhard E. Kloser, Sachverständiger für Schifffahrt und Seniorkapitän der „Hohentwiel“, des letzten Schaufelraddampfers auf dem Bodensee. Als die Hohentwiel 2021 zur Generalrevision auf die Werft kam, war der Schiffsrumpf auf einer Fläche von circa 200 Quadratmetern zentimeterdick mit Quagga-Muscheln besetzt. Rund 3000 Kilogramm Quagga-Muscheln hatte die Hohentwiel beim Verlassen der Werft „abgespeckt“.
Ebenso macht sich der Eindringling auf Wracks, die im Bodensee liegen, breit. Wäre Teil einer Lösung, die Muscheln gezielt für die Gastronomie zu fangen beziehungsweise zu „ernten“? Markus Philippi, Sternekoch im „Casala“ in Meersburg, winkt ab. Schon vor Jahren befand der Spitzenkoch: „Für die Gastronomie ist sie uninteressant. Sie hat eine zu geringe Ausbeute.“
Fischer sind nicht erfreut
Auch Berufsfischern ist sie ein Dorn im Auge. Die Quagga-Muschel, klagen sie, beeinflusse die Fischerei, indem sie sich in den Netzen verfange und diese somit beschädige. Die sogenannte Fängigkeit der Netze lasse schneller nach, sie müssten durch neue Netze ersetzt werden. Das seien zusätzliche Kosten. Zudem erhöhten die Muscheln den Arbeitsaufwand, weil sie aus dem Netz entfernt werden müssen.
Da kommt die Beobachtung eines Berufsfischers mehr als nur einem Hoffnungsschimmer gleich: Beim Ökologieforum des Fördervereins Seenforschung Bodensee schilderte Stefan Riebel, Vorstand im Fischereiverein Untersee und Rhein, dass „Rotfeder, Karpfen, Schleie und Rotaugen anfangen, Muscheln, die sie noch knacken können, zu fressen“. Eine Beobachtung, die Alexander Brinker von der Fischereiforschungsstelle Langenargen bestätigt. „Im Bodensee leben Fische, die sogenannte Schlundzähne besitzen. Dadurch können diese die Muschelschale wie ein ‚Nussknacker‘ zerbrechen, die unverdaulichen Bestandteile ausspucken und die nahrhaften Weichteile aufnehmen. Hierbei handelt es sich um Cypriniden, Weißfische, zu denen auch die Rotaugen gehören“, erklärt Alexander Brinker. „Auch Karpfen und beispielsweise Hasel gehen so vor.“ Leider, so der Experte, gebe es aber keine quantitativen Daten, wie hoch der geschätzte Bestand an Rotaugen im Bodensee ist – das sei auch bei anderen Fischen, die der Quagga-Muschel nachstellen, so.
Rotaugen als natürliche Fressfeinde?
Würde es aus Alexander Brinkers Sicht Sinn ergeben, beispielsweise Rotaugen besser zu schützen oder sogar vermehrt im See einzusetzen, um gegen die Quagga-Muschel vorzugehen? „Die muschelfressenden Fische sind das einzig denkbare Regulativ, das mir bekannt ist und das ohne Kollateralschäden theoretisch die Muscheln begrenzen könnte.“ Zwar fräßen auch andere Tiere wie Wasservögel Quaggas. Alexander Brinker: „Diese fressen aber nicht in großer Tiefe und die Muschel besiedelt den gesamten Seeboden. Es besteht also eine grundsätzliche Möglichkeit, dass die Fische hier das ökologische Gleichgewicht wieder in die richtige Richtung bringen könnten. Allerdings wissen wir im Augenblick zu wenig, um die Frage abschließend beantworten zu können.“ Besteht die Gefahr, dass die Quagga-Muschel Strategien dagegen entwickelt? „Gegen Fischfraß durch Fische mit Schlundzähnen kann die Muschel wenig ausrichten“, sagt Alexander Brinker.
Berufsfischer Riebel prophezeit: „ Es wird so kommen, da bin ich davon überzeugt, dass sich der Bestand der Quagga-Muschel in einem gewissen Grad einpendelt. Irgendwann gehört das zum Naturkreislauf dazu als Nahrungsgrundlage, als Lebewesen. Die Quagga-Muschel wird nie mehr verschwinden, aber das Ganze wird sich irgendwie einordnen.“