Selbst Merkel-Kritiker loben neue Offenheit

CDU betreibt Vergangenheitsbewältigung wegen Flüchtlingskrise – Wissenschaftler nennen Fehler

Von ChristopHer Ziedler

Berlin Es ist der erste große bundespolitische CDU-Termin seit vielen Jahren gewesen, zu dem Angela Merkel nicht eingeladen war. Ausdrücklich ohne die Kanzlerin, die die Flüchtlingspolitik der letzten Jahre so maßgeblich beeinflusst hat, wollte die neue Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer das für die CDU so heikle Thema bei einem „Werkstattgespräch“ diskutieren lassen. Tatsächlich führte die Abwesenheit der Hauptdarstellerin am Sonntag und Montag dazu, dass unbefangener debattiert wurde. „Das tat allen gut“, befand der Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann.

„Ein guter Neuanfang“, lobte auch Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann. Sogar Alexander Mitsch, Bundesvorsitzender der Merkel gegenüber kritischen Werteunion, zollte der neuen Chefin Re­s­pekt: „Dass im Werkstattgespräch eine offene Diskussion in der Partei zugelassen wurde, das war ein wichtiger, erster Schritt.“

Den Ton gesetzt hatten am Vorabend vier Wissenschaftler, die die Versäumnisse der Migrationspolitik benannten. Einig war man sich etwa darüber, dass es nicht gelungen sei, die seit 2015 ohne Schutzanspruch eingereisten Menschen wieder in ihre Heimat zu bringen. „Die sind alle noch hier“, sagte der Migrationsforscher Gerald Knaus, der das EU-Türkei-Abkommen von 2016 mitentwickelt hat. Solange es die berechtigte Erwartung gebe, so der Rechtswissenschaftler Christian Hillgruber, „egal, ob schutzbedürftig oder nicht, dauerhaft in Deutschland bleiben zu können“, werde ein großer „Pullfaktor“ bestehen und die Bundesrepublik für Flüchtlinge attraktiv bleiben. Einen „Abbau von Illusionen“ empfahl der Politologe Egbert Jahn, da sich die Union so viel von der Bekämpfung der Fluchtursachen verspricht: Kriege und Katastrophen ließen sich nicht einfach beseitigen.

Kaum eine Rolle spielte bei der christdemokratischen Vergangenheitsbewältigung dagegen Merkels Entscheidung im Herbst 2015, die Grenzen für in Ungarn gestrandete Flüchtlinge nicht zu schließen und auch eine Zeit lang offen zu halten. Das Thema tauchte nur insofern auf, als dass der Konstanzer Verfassungsjurist Daniel Thym zwar „einen teilweisen Kontrollverlust“ feststellte, aber der Regierung insgesamt bescheinigte, die Balance wiederherstellen zu wollen.

Die CDU will ohnehin lieber nach vorne schauen, weshalb ein Drittel der 120 Teilnehmer Praktiker waren – Landräte, Grenzbeamte oder Integrationsexperten – , die der CDU Anregungen und Impulse für die tägliche Arbeit mit auf den Weg gaben. „Das Werkstattgespräch ist eine sehr gute Chance“, meinte Bundesvize Thomas Strobl: „Es darf aber nicht nur Vergangenheitsbewältigung sein. Wir müssen in die Zukunft gerichtet diskutieren, das ist gelungen.“ Mit den Erkenntnissen aus vier Arbeitsgruppen zum europäischen Außengrenzschutz, der Migrationssteuerung, Sicherheit und Abschiebepraxis habe die CDU nun „einen Plan, wie wir die Aufgaben lösen“, sagte Strobl.