Sich vom Leben überraschen lassen

Zwei Menschen, zwei ganz verschiedene Ideen von Auszeit: Der Weissacher Bildhauer Peter Haußmann und die Naturparkführerin Michaela Genthner sprechen über ganz spezielle Überzeugungen im Umgang mit sich und der Welt.

Sich vom Leben überraschen lassen

Dem Hamsterrad entkommen, das ist Naturparkführerin Michaela Genthner wichtig. Ihre eigene Umgebung wirkt wir ein bunter Markt der schönen Dinge.Fotos: A. Becher

Von Renate Schweizer

WEISSACH IM TAL. „Auszeit gibt es nicht.“ Peter Haußmann hat gründlich über die Sache nachgedacht. „Auszeit ist, wenn ich tot bin. Das Leben einzuteilen in Auszeit und – ja, was eigentlich? – hat keinen Sinn.“ Haußmann ist Künstler. Gemeinsam schauen wir uns um in seinem riesigen Atelier in der alten Spinnerei: Überall Kunstwerke, halb fertig, ganz fertig oder einfach bloß Dinge, die irgendwo übrig geblieben sind: Altes, Schönes oder einfach Interessantes, gewaltige Objekte zum Teil.

Dies probieren und jenes und dann wieder liegen lassen und irgendwann merken: So wird es „rund“, jetzt ist es gut. „Das Material zu erproben“, sagt er, „darauf kommt’s mir an. In Bewegung bleiben, damit einem Dinge und Menschen begegnen können. Sich überraschen lassen. Nichts erwarten. Sich dem stellen, was einem begegnet.“ Begegnung und Bewegung – das sind die Stichworte, die immer wieder fallen in unserem Gespräch. Begegnung und Bewegung, das ist es auch, was zwei Reisen nach Athos, der berühmten griechischen Insel mit den vielen (Männer-)Klöstern geprägt hat, von denen er dann doch gern erzählt, auch wenn er sie nicht Auszeit nennen will. Tagsüber zu Fuß in den Bergen unterwegs, abends aufgenommen werden, Essen teilen, eingeladen und willkommen sein. „Im Fremden begegnet dir Gott“, das glauben die Mönche auf Athos, „der Fremde ist heilig.“

Raus aus dem Zuvieldenken, rein in die Leichtigkeit.

„Auszeit ist wichtig.“ Auch Michaela Genthner aus Weissach im Tal hat viel darüber nachgedacht. „Auszeit, das ist: Raus aus dem Hamsterrad, im Jetzt sein. Auszeit ist: Aus-dem-Denken-raus-Zeit, ist Leichtigkeit.“ Man könnte fast sagen, die Naturparkführerin (und das ist nur einer ihrer vielen Berufe) hat Immer-wieder-Auszeit zum allgemeinen Lebensprinzip erhoben – obwohl ein so hässliches Wort wie Prinzip nicht fällt im Gespräch: Da war die große Reise mit dem R4 nach Asien, die sie mit ihrem Mann 1995 bis 1997 unternommen hat, da waren die Jahre mit den (vier) Kindern und jetzt, ja, jetzt ist sogar die Coronazeit willkommene Auszeit, Zeit zur Entschleunigung, Zeit, zur Abwechslung mal wieder eine neue Ausbildung zu machen, Zeit zum Da-Sein, Atmen, Leben. Denn auch das ist ihre Erfahrung: Auch der „alternativste“ Lebensentwurf kann zum Hamsterrad werden: Unter der Woche Montessori-Kindergruppen, am Wochenende Naturparkführungen, zwischendurch Auszeit-seminare im Kloster Lorch – alles schön für Teilnehmer- und Seminarleiterinnen und doch: Organisieren, planen, denken ist es eben doch auch.

Und dann kam Corona. Alles auf null. Auszeit. Sie hat inzwischen eine Naturcoach-Ausbildung gemacht: Rausgehen, nicht um „Strecke zu machen“, zu wandern, eigene Grenzen zu spüren und möglichst zu überschreiten, ganz im Gegenteil: Rausgehen, schlendern, lauschen, geschehen lassen, sich spüren und sich überraschen lassen. In der Natur sein, Teil der Natur sein. Auszeit beginnt an der Gartentür. „Man kann es buchen“, lacht Genthner, „so seltsam das klingt, und vielen Menschen fällt es so leichter. Es ist dann ein Event und kostet Geld, und es geschehen tatsächlich wunderbare Dinge da draußen – aber natürlich kann es auch ohne mich funktionieren. Man muss es nur tun.“ Zwei Menschen, zwei ganz verschiedene Ideen von Auszeit (gibt’s nicht/ist wichtig) – und doch, so verschieden am Ende auch wieder nicht. Beide haben Websites (www.peter-haussmann.de und www.mit-der-natur.de), da kann man spazierengucken und -lesen, sie ein wenig kennenlernen und auch Kontakt aufnehmen. Oder man lässt Bildschirm Bildschirm sein, bleibt in Bewegung und lässt sich überraschen. Man muss es nur tun.