Sie haben sich nicht unterkriegen lassen

In ihren sieben gemeinsamen Ehejahrzehnten haben Christine und Anton Schmidt vieles durchgestanden – von der Enteignung und der Internierung in Serbien bis zum Neuanfang in der Bundesrepublik Deutschland.

Sie haben sich nicht unterkriegen lassen

Am Mittwoch feierten Christine und Anton Schmidt aus Backnang ihre Gnadenhochzeit. Die beiden haben vier Töchter. Fotos: A. Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. Ende des 18. Jahrhunderts waren die Vorfahren der Schmidts von Deutschland in das Banat gezogen, genauer gesagt in die serbische Region Vojvodina. In den serbischen Dörfern Franzfeld und Jabuka, etwa neun Kilometer voneinander entfernt, wuchsen Anton Schmidt und Christine Koch auf, bis sich mit dem Zweiten Weltkrieg alles für sie änderte. Gegen Ende des Kriegs wurden die deutschstämmigen Familien der Gegend enteignet und interniert – unter sehr harten Bedingungen. „Um 9 Uhr morgens wurden wir abgeholt“, erinnert sich Anton Schmidt, damals ein Junge von elf Jahren und von jetzt auf nachher heimatlos. Seine Frau erinnert sich daran, wie damals Brennnesseln gesammelt und daraus Suppe zubereitet wurde, um überhaupt etwas Essbares zu haben.

1948 fanden Christine und Anton Schmidt zwangsweise eine neue Heimat auf einem Staatsgut in Glogonjer-Ried, wo sie sich kennenlernten. Er arbeitete als Traktorist, sie als Gärtnerin. „Das Ried wurde mit unserer Hilfe aus dem Nichts aufgebaut. Es war alles wild dort“, erzählt Anton Schmidt.

Bevor getraut wurde, musste erst einmal die Maus gefüttert werden

Doch im kommunistischen Jugoslawien wollte man nicht bleiben, man wollte nach Deutschland. Dank der Zuzugsgenehmigung von Schmidts verwitweter Mutter stand der Ausreise in die Bundesrepublik eigentlich nichts im Weg – doch Christine Koch hätte nicht mitkommen können, da sie keine Familienangehörige war. Kurzerhand entschied man sich zur Hochzeit, die an einem eiskalten Novembermorgen 1951 in Padinskaskela stattfand. Die erst 17-jährige Christine trug ihr umgenähtes Konfirmationskleid und geliehene Schuhe und fror bitterlich. Von ihrer Mutter bekam sie einen Mantel geliehen, weil sie so zitterte. Die Standesbeamtin dagegen hatte die Ruhe weg. Bevor getraut wurde, musste nämlich erst einmal ihre Maus gefüttert werden, wie Tochter Brigitte Medinger berichtet.

Und so durfte Familie Schmidt nach Deutschland ausreisen. Zunächst ging es in ein Durchgangslager im oberbayerischen Traunstein, dann für längere Zeit in ein weiteres Lager in Ulm, wo am 13. April 1957 die kirchliche Trauung stattfinden konnte. Schließlich kam die Familie Schmidt Anfang der 60er-Jahre in Backnang an und wohnte zunächst im evangelischen Lehrerseminar (heute Schickhardt-Realschule). Von der Diözese Rottenburg/Stuttgart gab es damals das Angebot, einen bestimmten Geldbetrag für ein Eigenheim anzuzahlen. Den Rest musste man innerhalb von zehn Jahren begleichen. Während der Aufenthalte in Traunstein und Ulm hatten Christine und Anton immer gearbeitet und gespart. So konnten sie ihr Eigenheim finanzieren, in dem sie heute noch wohnen.

Ein arbeitsames Leben hat die beiden Senioren geprägt. Der eigene Schulbesuch war mit der Internierung vorbei. Sie mussten sich später viel selbst aneignen. Deshalb war ihnen wichtig, dass ihre vier Töchter eine gute Ausbildung bekamen. Geschickt war es für Christine Schmidt, dass sie eine Putzstelle in der Plaisierschule bekam, denn die beiden jüngeren Töchter waren dort in Kindergarten und Grundschule. Anton Schmidt arbeitete lange Jahre für die Stadt Backnang. „Wir haben viele Oberbürgermeister mitbekommen“, lacht Tochter Brigitte. Und Anton Schmidt ergänzt: „Ich war bei Glatteis immer der Erste draußen.“

70 gemeinsame Jahre, geprägt von einer harten Anfangszeit voller Angst und Entbehrungen, mit unermüdlicher Arbeit für ein sicheres Zuhause. Das schweißt zusammen. Und was gehört noch dazu? „Sich nach einem Streit wieder versöhnen“, sagt der 88-Jährige. Und natürlich das Wohl der Kinder. Seine Mutter unterstützte dabei, sie wohnte mit im Haus. Christine Schmidt arbeitete im Schichtdienst, um für die Töchter da sein zu können. Mit ihnen waren sie auch in der alten Heimat, um ihnen ihre Wurzeln zu zeigen. Und noch über einige Jahre wurde der Kontakt zu den mittlerweile serbischen Bewohnern dort aufrechterhalten. „Es war schwierig damals, aber wir sind durchgekommen“, erinnert sich Christine Schmidt. „Wir waren gesund und konnten überleben.“ Und ihren Töchtern ein Leben in Sicherheit bieten. Dafür sind sie bis heute dankbar.

Sie haben sich nicht unterkriegen lassen

Zur Hochzeit 1951 trug Christine Schmidt, damals 17, ihr umgenähtes Konfirmationskleid.