Singen deckt das Urbedürfnis nach Geborgenheit

Sich in den Arm nehmen, etwas vorsingen oder summen, das sind uralte Rituale, um zur Ruhe zu kommen. Die Backnanger Gesangslehrerin Catrin Müller preist die vielen Vorteile, mit Kindern zu singen. Dabei kommt es auf die Qualität der Stimme gar nicht an.

Singen deckt das Urbedürfnis nach Geborgenheit

Wer für ein Kind singt, kommt nach Ansicht von Catrin Müller auch selbst in den Ruhemodus. Foto: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. Es ist solch ein rührendes und schönes Bild – wenn Heinz Rühmann auf dem Glockenspiel die Melodie zu „La Le Lu“ erklingen lässt und der kleine Ulli ihm gebannt an den Lippen hängt, bis er von Müdigkeit übermannt ins Kopfkissen sinkt. Für unzählige Kinder gehört dieses Musikstück zum festen Einschlafritual dazu. Doch was macht ein Schlaf- oder Wiegenlied aus? Warum singt man dem Sprössling vor und führt ihn oder sie musikalisch ins Reich der Träume?

Bereits im Mutterleib sind wir von Geräuschen aller Art umgeben. Und so wird vermutet, dass einfach nur durch das mütterliche Summen einer Tonfolge der Säugling beruhigt und so die Bindung zueinander gefestigt wird, und dass dies schon so war, bevor an Sprache oder gar Gesang bei der menschlichen Spezies überhaupt zu denken war. Wiegenlieder gehören zu den ältesten schriftlich festgehaltenen Werken, aufgefunden beispielsweise in Mesopotamien. Ein ungefähr 4000 Jahre altes Wiegenlied ist von hier erhalten, das vermutlich einem Sohn des Musik liebenden Königs Sulgi gewidmet wurde. Doch das Lied dient hier nicht nur zur Beruhigung, es soll auch das Böse abwenden und das Kind beschützen.

Für viele Familien gehörtdas Vorsingen zum Abendritual

Wiegenlieder sind auf der ganzen Welt bekannt, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Und dazu gehört nicht nur der Gesang oder das Summen, sondern auch das Wiegen an sich. Ebenso wie im Mutterleib schaukelt die Sängerin oder der Sänger das Kleine sanft hin und her. Es ist ein Instinkt, einen weinenden oder sich unwohl fühlenden Menschen sanft zu wiegen, bis er sich beruhigt hat, egal wie alt derjenige ist. Für viele Familien gehört das Vorsingen vor dem Einschlafen zum Abendritual dazu. „Das Kind hört dann auf zu plappern und kommt zur Ruhe“, so berichtet eine junge Mutter von ihren Erfahrungen.

„In diesem jungen Alter sind Kinder sehr empfänglich“, weiß Catrin Müller. Die Gesangslehrerin an der Backnanger Jugendmusik- und Kunstschule sieht in der Musik „ein Medium, um sich nahe zu sein. Wenn man mit dem Kinde singt, dann geht das über das Taktile hinaus.“ Und nicht nur aufs Kinder wirkt sich das Gesangsritual aus: „Wenn man für das Kind singt, kommt man selbst in den Ruhemodus.“ Welches Lied man wähle, sei eigentlich nicht wichtig, wesentlich sei vielmehr, sich damit wohlzufühlen. „Egal, wie gut jemand singt, Hauptsache man singt mit dem Kind“, betont sie dabei, es gehe auch darum, Sprache zu vermitteln. Müller ist überzeugt davon, dass es sich auf die Sprachfähigkeit kleiner Kinder sehr positiv auswirkt, wenn man von Anfang an „normal“ mit ihnen spricht, mit ihnen Kindergedichte liest und Liedtexte singt. „Der Umgang mit der Sprache ist sehr wichtig“, sagt die Expertin.

Es geht um die gemeinsameZeit von Eltern und Kindern

Was den beruhigenden Effekt eines Wiegenliedes ausmacht? Das verdeutlicht sie am Klassiker „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“. Die Melodie ist langsam und eingängig, es finden sich schöne Bilder darin, es wiederholt sich viel, die Strophen sind nach einem bestimmten Muster aufgebaut. „Im Grunde geht es darum, ein Ritual daraus zu machen“, sagt Müller. Es geht um gemeinsame Zeit von Eltern und Kindern und darum, gemeinsam den Tag ausklingen zu lassen und Geborgenheit und Ruhe zu schenken. Dabei ist sie überzeugt – es gibt keine schlechten Stimmen: „Ich habe noch nie eine Stimme unschön gefunden.“ Also, vertrauen wir der Expertin und ran an das Liedgut! Schöne Momente mit dem Nachwuchs werden es danken.

Workshop Schlaflieder

Die „Sing!Werkstatt“ der Jugendmusik- und Kunstschule Backnang bietet am Samstag, 14. Mai, von 10 bis 12 Uhr einen Workshop zum Thema Schlaflieder mit Gesangspädagogin Catrin Müller für angehende und junge Eltern, Großeltern und alle Interessierten an. Anmeldung und weitere Infos zum Unterrichtsangebot gibt es im Schulsekretariat unter Telefon 07191/894-460 oder per Mail unter jugendmusikschule@backnang.de.