Die Grünen im Land haben der CDU eines voraus: Sie haben Winfried Kretschmann. Neidvoll muss die einstige selbst ernannte Baden-Württemberg-Partei seit geraumer Zeit mit ansehen, wie der grüne Ministerpräsident ihr den Rang abläuft. Gerade bei Themen, die die Christdemokraten einmal als ihre ureigenen und höchst exklusiven betrachtet haben: Heimat, Identität, Verwurzelung, Bodenständigkeit, Menschennähe.
Im neunten Jahr seiner Regierung hat Kretschmann den Politikstil des Bei-sich- und des Bei-den-Leut-Seins zur Meisterschaft entwickelt. In die Rolle des Landesvaters ist er tief hineingewachsen und geht darin auf. Drei Ereignisse aus diesen Tagen illustrieren, wie weit seine Landesvaterschaft fortgeschritten ist: Am Freitag hielt er in Göppingen auf Einladung der Kreissparkasse und des Fördervereins Schwäbischer Dialekt einen Vortrag über den „natürlichen Reichtum der Mundarten“ – ein Wort von Martin Walser, der Kretschmann schon früher als zweiten Erwin Teufel bezeichnet hat. Über Teufel selbst hatte Walser einst geschrieben, er sei der „erste Gärtner des Landes. Er kennt den Boden und pflegt ihn auf Gedeih und gegen Verderb“.
Das könnte auch in Kretschmanns Stammbuch stehen: erster Gärtner des Landes. In Göppingen hingen ihm 1000 Bürger an den Lippen, als er schwäbische Bezeichnungen für heimische Pflanzen zitierte („Märzableamle“ für „Blaustern“) und unter Beifall ausrief: „Wir müssen nicht nur die Artenvielfalt von Flora und Fauna erhalten. Der Mundartenschutz gehört genauso dazu!“ Ein ähnliches Bild am Montag, als er zusammen mit Jürgen Klinsmann die Bühne des Stuttgarter Theaterhauses betrat. Wie schon beim ersten Treffen der beiden in Kalifornien ging es um Gott – und die Welt und um die Heimat. Ein Heimspiel in jeder Hinsicht. Im selben Stil geht’s an diesem Donnerstag weiter. Im Staatsministerium wird der von Sprachforscher Hubert Klausmann mit erstellte Sprachatlas Nord-Baden-Württemberg präsentiert. Für Kretschmann, der von sich sagt, er bleibe „vorzugsweise in Reichweite meiner schwäbischen Zunge“, eine Herzensangelegenheit. Ähnlich wie die Dialekttagung im Dezember, die er einberufen hatte, um mit Mundartfreunden aus dem ganzen Land über die Förderung der Dialekte nachzudenken. Fortsetzung folgt im Frühjahr 2020 mit dann wohl verbindlichen „Handlungsanweisungen zur Dialektförderung“. Politik, sagt Kretschmann, könne Dialekt nicht verordnen, aber behilflich sein, „dass die Leute so reden können, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist“.
Die Leute mögen das, wie alles, was in diesen unübersichtlichen Zeiten Wiedererkennungswert hat. Also das Lokale, das Ortsansässige, das Vertraute. Kretschmann hat dieses Thema vollumfänglich und vor allem glaubwürdig besetzt – weniger aus Kalkül heraus. Im Hintergrund steht vielmehr etwas vermeintlich Altbackenes: Heimatliebe (nicht zu verwechseln mit Heimattümelei). Der Heimat-Ministerpräsident geht mit größter Selbstverständlichkeit und Verständlichkeit damit um. Es mag kühn sein, in dem Zusammenhang Kurt Tucholsky zu zitieren, der scharfzüngig zu vielem Nein sagte, um dann zu betonen: „Nun wollen wir auch einmal Ja sagen. Ja zu dem Land, in dem wir geboren sind und dessen Sprache wir sprechen“. Kretschmann kultiviert dieses Ja – und findet ein breites Echo.
Und was tut die CDU? Kultusministerin Susanne Eisenmann ist der nächste Gast beim Förderverein Schwäbischer Dialekt. Sie redet über „Denga, dichda, difdla – Bildung im Schwäbischen“. Ihre Premiere! Nachtigall, ick hör dir trapsen oder auf gut Schwäbisch: Nachtigall i hör di trebbla!
jan.sellner@stzn.de