An der Hochschule haben Algorithmen-Tüftler aus der Regelungstechnik einen autonomen E-Scooter entwickelt. Wird daraus ein ganz großes Ding?
Der autonom fahrende „Geister-Scooter“ mit viel Hightech an Bord zieht an der Universität in Stuttgart-Vaihingen die Blicke der Passanten auf sich. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko
Von Andreas Geldner
Stuttgart - Die Schulkinder, die auf ihrem Klassenausflug am Unicampus in Stuttgart-Vaihingen von der nahen S-Bahn-Station herschlendern, können sich am Anblick nicht satt sehen. „Ey cool!“ – so raunt es vielstimmig aus der Schülergruppe.
Völlig allein und ohne Fahrer kurvt ein Elektroroller über den Vorplatz am Institut für Systemtheorie und Regelungstechnik. Er stoppt kurz, von unsichtbarer Hand im Gleichgewicht gehalten. Dann fährt er wieder los. Auch einige Studenten machen im Vorbeigehen Fotos. „Wenn wir mit den Rollern rausgehen, ist das immer ein großer Publikumserfolg“, sagt Institutsleiter Frank Allgöwer, der seit dem Jahr 2018 das Projekt mit seinen Doktoranden vorantreibt.
In einer Trommel vor der Lenkstange sieht man hinter einem Plastikfenster eine Metallscheibe, die einen Durchmesser von 20 Zentimeter hat. Sie dreht sich einmal schneller, einmal langsamer, um den Roller zu balancieren. Auch eine Kamera und Entfernungssensoren sind vorne montiert. Aber sonst sind es normale E-Scooter, wie sie auch in Stuttgart zum Stadtbild gehören – oft nicht zur Freude von Passanten.
Umso mehr leuchtet die Idee hinter dem Forschungsprojekt ein. Stuttgart zum Beispiel macht inzwischen Scooter-Betreibern strenge Auflagen. Sie müssen wild herumliegende Roller zügig aus dem Weg schaffen und dafür sorgen, dass die maximal erlaubte Anzahl in der Innenstadt nicht überschritten wird. Ständig müssen also Einsammler, die sogenannten Juicer, unterwegs sein. Das kostet ordentlich Geld.
Ein autonomer Roller, der sich am Ende einer Fahrt selber zur Ladestation lenkt oder umgekehrt mit dem Smartphone per App vom Nutzer an den Startpunkt beordert werden kann, würde das Problem zumindest wirtschaftlich lösen. „Die Balance ist der kniffligste Aspekt“, sagt Allgöwer. Denn balancieren muss bislang noch kein autonomes Fahrzeug. Die rotierende Metallscheibe, Reaktionsrad genannt, muss dafür präzise gesteuert werden. Dahinter steckt komplexe Mathematik, etwa wenn der Scooter sich in die Kurve neigt oder stehend im Gleichgewicht bleiben soll. „Wenn Sie das als Mensch probieren, dann merken Sie, dass das nicht trivial ist“, sagt der Regelungsexperte Allgöwer.
Die Entwicklung bedeutete echte Grundlagenforschung. Gerade hat das Team dafür einen renommierten europäischen Preis für Robotik erhalten. Das Projekt wird unter anderem vom Land Baden-Württemberg über das „Mobility Living Lab“ der Universität Stuttgart gefördert.
„Wir hatten auf dem Roller weniger Platz und mussten auch günstigere Hardware verwenden“, sagt Robin Strässer, einer der am Projekt beteiligten Doktoranden. Nur vier Kilogramm wiegen insgesamt die Extraelemente für den autonomen Betrieb. Der zusätzliche Batterieverbrauch für den Rechner, das Balancerad und den Elektromotor am Lenker fällt ebenfalls kaum ins Gewicht. Die räumliche Orientierung und die Hinderniserkennung funktionieren nicht anders als bei anderen autonomen Vehikeln. Dass der Roller nur in Schrittgeschwindigkeit unterwegs ist, macht es leichter: „Sie müssen nicht so viele Daten verarbeiten wie ein autonomes Auto, das auf der Autobahn unterwegs ist“, sagt Institutsleiter Allgöwer.
Dafür braucht es andere Sicherheitsmechanismen. Technisch wäre es möglich, dass sich ein umgekippter Roller von selber wieder aufrichtet – aber wegen des notwendigen Schwungs könnte er einem Menschen dabei mit dem Lenker einen kräftigen Kinnhaken verpassen. Ob und wann man die Scooter einmal im Alltagsbetrieb erleben kann, darüber kann Professor Allgöwer keine Prognose abgeben: „Das Ganze ist noch nicht ausgereift.“ Aktuell arbeitet man daran, dass sich die Scooter präzise auf berührungslosen Ladestationen einparken können.
Noch gibt es weder konkrete Kooperationen mit Scooter-Herstellern und Betreibern noch einem Start-up, das einen autonomen E-Roller zur Serienreife bringen könnte. „Man müsste sich etwa mit der Frage beschäftigen, ob man das Ganze noch kompakter bauen kann“, sagt David Meister, ein weiterer an dem Projekt beteiligter Doktorand. „Wir haben aber gezeigt, dass es geht“, ergänzt Allgöwer. Man prüfe gerade unterschiedliche Optionen, wie es mit dem Projekt weitergeht.
Das Gefährt müsste nicht gleich auf öffentliche Straßen, wofür es eine aufwendige Zulassung bräuchte. Dort müssten die Scooter etwa wissen, wie sie sich an einer Ampel verhalten sollen. „Ein Unternehmen könnte aber die Roller auf seinem Werksgelände einsetzen“, sagt Allgöwer. Auch der weitläufige Unicampus in Stuttgart-Vaihingen wäre ein gutes Testgelände für einen größeren Probelauf – zumal Studentinnen und Studenten garantiert als Nutzer zu begeistern sind. Doch noch gibt es dafür keine spruchreifen Pläne. Man müsse noch daran arbeiten, wie sich eine Flotte von Scootern in einem solchen Gebiet autonom steuern könne, sagt Allgöwer.