Der Angeklagte sei mit einem blauen Auge davongekommen, sagte der Richter. Symbolbild: okanakdeniz - stock.adobe.com
Von Heike Rommel
Weinstadt. Im Fall der Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung in Weinstadt ist vor dem Stuttgarter Landgericht nur die Körperverletzung übrig geblieben, und auch für diese gab es keinen Schuldspruch. Das Verfahren wurde nun gegen Zahlung von 3000 Euro an die Bewährungshilfe Stuttgart eingestellt. Für die 7. Große Strafkammer ließ sich keine Vergewaltigung einer 22-jährigen Waiblingerin durch einen 32-Jährigen in dessen Wohnung in Weinstadt (wir berichteten) nachweisen.
Ein wichtiger Grund dafür war ein Ermittlungsfehler: Das mutmaßliche Opfer hatte den Chatverlauf vor der angeblichen Tat am 14. Dezember 2019 bereits gelöscht. Wie sich die beiden über ein Datingportal gefunden und verbal und mittels Fotos über ihr einziges Thema, nämlich Sex, ausgetauscht hatten, kam aus dem Handy des Beschuldigten erst in die Akte, als die Anklage der Stuttgarter Staatsanwaltschaft schon stand. Den Anstoß zur Einstellung des Strafverfahrens wegen Körperverletzung gab der Vorsitzende Richter Rainer Skujat. Der Beschuldigte hatte der 22-Jährigen beim Sex Schläge aufs Gesäß gegeben, die Hämatome hinterließen. Da die Verletzungen nicht erheblich waren und die junge Frau die von ihr empfundene Grenzüberschreitung gut überwunden habe, halte er die Verfahrenseinstellung für vertretbar, meinte Skujat. Er sprach von „Fehlvorstellungen“ beider Beteiligten, die immer nur ein Thema hatten: Sex. So wurden Vorlieben digital ausgetauscht und so lief die digitale Leitung heiß. Auf die Idee, ein Stoppsignal auszumachen, das ausgesprochen wird, wenn für einen von beiden die Grenze erreicht ist, sind der Weinstädter und die Waiblingerin demnach nicht gekommen.
Hätte der Mann merken und wissen müssen, dass die Frau mit seinem sexuellen Handeln nicht einverstanden ist? Dem Ergebnis der Beweisaufnahme nach eher nicht. „Wenn beim Sex gewisse Gewaltfantasien eine Rolle spielen, kann es Missverständnisse geben“, erklärte der Richter diesen aus seiner Sicht „schwierigen Fall“. Beide Beteiligten hatten zuvor über Gewalterfahrungen mit jeweils anderen Sexualpartnern gesprochen und das Gericht musste auch über die durch Social Media verstärkte Eigendynamik befinden, die sich dabei entwickelte. „Sie sind mit einem blauen Auge davongekommen“, wandte sich Richter Skujat an den 32-Jährigen aus Weinstadt-Beutelsbach, der im Falle einer Verurteilung wegen Vergewaltigung über zwei Jahre Gefängnis kassiert hätte.
„Für Sie soll das Verfahren eine Warnung sein“, so Skujat. Er riet auch der 22-Jährigen aus Waiblingen, ihre Lebenshaltung zu ändern. Die Mutter und der beste Freund der jungen Frau, denen sie sich anvertraut hatte, mussten nicht mehr in den Zeugenstand, weil von ihnen kaum noch Neues gekommen wäre. Bei der Zeugenvernehmung der 22-Jährigen aus Waiblingen-Hegnach achtete das Gericht besonders auf die Konstanz der Aussage und damit auf die Glaubwürdigkeit. Dabei fiel auf, dass die junge Frau bei der Polizei etwas anderes gesagt hatte als vor Gericht. Vom Datingportal über den Hardcoresex zum Landgericht hätte die ganze Geschichte nicht führen müssen, wenn die Grenzen zwischen dem Dominanten und der Unterwürfigen nicht so verschwommen gewesen wären.