Viereinhalb Jahre Haft für Messerstiche

Fellbacher wird für gefährliche Körperverletzung, nicht aber wegen versuchten Totschlags verurteilt.

Viereinhalb Jahre Haft für Messerstiche

Wegen einer Provision für die Vermittlung eines Zimmers in einer Fellbacher Männerwohngemeinschaft gab es Streit. Symbolfoto: Erwin Wodicka

Von Heike Rommel

Fellbach. Das Stuttgarter Landgericht hat den 29-jährigen Fellbacher, der seinen Mitbewohner mit lebensgefährlichen Messerstichen verletzt hat, zu vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Der Schuldspruch erging wegen gefährlicher Körperverletzung und nicht wegen versuchten Totschlags, da die Schwurgerichtskammer einen Rücktritt vom Tötungsvorsatz gegeben sah.

Die Plädoyers in diesem Fall gingen sehr weit auseinander: Während die Staatsanwältin Collmer vom versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ausging und sechs Jahre und zehn Monate Haft forderte, wollte der Verteidiger Thomas Raich „nur für gefährliche Körperverletzung“ eine bewährungsfähige Strafe.

„Er hätte tot sein können“, erinnerte die Staatsanwältin daran, wie sich der schwer verletzte 28-jährige Mitbewohner – vom Täter seinem Schicksal überlassen – gerade noch auf den Gehweg vor dem Haus schleppen konnte, wo ihm Passanten halfen. Sein Mandant sei zwar gegangen, habe aber immerhin seinen Chef angerufen und gesagt, in der Wohnung läge einer, von dem er nicht wisse, ob er noch lebt, sagte der Verteidiger Thomas Raich. Damit habe der 29-Jährige die Verantwortung für seine Tat übernommen. Das Gericht ging bei der Urteilsfindung zugunsten des Täters davon aus, dass dieser vom Tötungsvorsatz zurückgetreten war.

Im Streit um eine Provision für die Vermittlung des Zimmers in der Fellbacher Männerwohngemeinschaft, so der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen, sei es am Abend des 11. Dezember vergangenen Jahres zunächst zu einer „heftigen körperlichen Auseinandersetzung“ gekommen, die Spuren stumpfer Gewalt in den Gesichtern beider Männer hinterlassen habe. Mit dem Weggang des 28-jährigen Opfers hätte die Sache eigentlich beendet sein können, wenn der Verurteilte nicht in die Küche gegangen wäre und ein 30 Zentimeter langes Messer mit einer 18 Zentimeter langen Klinge geholt hätte. Der erste Stich, so Richter Holzhausen noch einmal zum Tathergang, kam von hinten in den Kopf. Der 28-Jährige blutete sofort und drehte sich um. Von vorne stach ihm der Täter in den Oberarm, in den Bauch und in die Flanke. Dann rief der 29-Jährige Iraner seinen Chef an, erzählte, was passiert war, und bat ihn, die Polizei zu verständigen. „Du wirst verrecken, heut Nacht wirst du sterben“, gab er seinem Landsmann noch mit, bevor er sich zur Bushaltestelle des F3-Freizeitbads verabschiedete, wo er sich widerstandslos festnehmen ließ.

Am Ende der Beweisaufnahme befand die Kammer das Opfer „wesentlich authentischer und glaubhafter“ als den Täter. Eine Notwehrlage, in welcher sich der Täter befunden haben wollte, schloss sie aus. Dessen Einlassung, das Opfer habe ihn zuerst mit einem Multifunktionsmesser angegriffen, wertete sie als Schutzbehauptung. Denn es wurde in der ganzen Fellbacher Wohnung kein solches Messer gefunden. Ein Teppichmesser, welches der Notarzt in der Hosentasche des lebensgefährlich Verletzten fand, wies keinerlei Spuren auf.

1,4 Promille Alkohol im Blut gaben dem Gerichtspsychiater Wolfgang Wagner keinen Anlass, an der Schuldfähigkeit des Fellbachers zu zweifeln. Seinem Gutachten zufolge lag bei dem 29-Jährigen zur Tatzeit weder eine Suchterkrankung noch eine psychische Erkrankung vor. „Sie wussten, wie schwer Sie ihn verletzt haben“, wandte sich Richter Holzhausen an den Verurteilten, der bis zum Prozess keine Gewaltbiografie aufwies. Warum er ihm seine angeblichen Erinnerungslücken immer da, wo es ans Eingemachte ging, nicht abkaufte, erklärte er dem Fellbacher mit einer kleinen Lektion in Sachen Aussagepsychologie.