Von Hans-Christoph Werner
BACKNANG. Vor dem Backnanger Schöffengericht hat sich ein 32-jähriger Sulzbacher zu verantworten. Die Anklageschrift, die der Staatsanwalt vorträgt, listet 34 Fälle auf, in denen der Angeklagte gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen hat. Das heißt, er hat Marihuana verkauft. Die Richterin belehrt den Angeklagten. Er hat das Recht zu schweigen. Er darf aber auch zur Sache und zur Person aussagen. Wie er es denn halten wolle. Zur Sache, so der Verteidiger, werde er im Namen seines Mandanten eine Erklärung abgeben. Zur Person wird er selbst reden.
Und dann die Überraschung: In die Tatvorwürfe Nummer 1 bis 30 ist der Bruder des Angeklagten mitverwickelt. Bei den Ermittlungen wurde die Belehrung bezüglich seines Zeugnisverweigerungsrechts unterlassen. Somit sind diese Vorwürfe vor Gericht nicht verwertbar. Bleiben also nur noch vier Verdachtsmomente. Zwei Drogenverkäufe werden eingestanden. Bei einem weiteren Fall habe es sich nicht um Drogenverkauf, so der Verteidiger, sondern um Rückgabe geliehenen Geldes gehandelt. Und die Kleinmenge von knapp drei Gramm im vierten Fall diente dem Eigenkonsum.
Die Zeugenbefragung konzentriert sich somit auf die vier verbleibenden Tatvorwürfe. Eine 35-jährige Kirchbergerin soll bei dem Angeklagten vor zwei Jahren eingekauft haben. Sie hatte damals Albträume gehabt, einen Suizidversuch unternommen, versucht, Marihuana auf Rezept zu bekommen. Die Mutter zweier Kinder erinnert sich weder an Menge noch Kosten des Marihuanas, das sie eingekauft haben soll. Ein weiterer Zeuge ist unentschuldigt ferngeblieben. Gegen ihn wird ein Ordnungsgeld von 300 Euro verhängt.
Chatverläufe sprechen für gewerbsmäßigen Drogenverkauf
Der dritte Zeuge, ein 22-jähriger Gärtner, bestreitet, beim Angeklagten irgendetwas eingekauft zu haben. Die Richterin lockt. Wegen des eigenen Drogenbesitzes bereits verurteilt komme auf ihn kein neues Verfahren hinzu, wenn er jetzt den Einkauf zugibt. Der Staatsanwalt ringt mit sich selbst. Der Zeuge sei verpflichtet, vor Gericht die Wahrheit zu sagen. Das lässt den Gärtner unbeeindruckt. Er bleibt dabei, er habe nichts gekauft.
Ein Polizeibeamter berichtet. Mit einem Vollstreckungshaftbefehl sei man in der Wohnung des Angeklagten erschienen. Dabei fanden die Beamten zwei Marihuanatütchen. Ein kurzfristig erwirkter Durchsuchungsbeschluss förderte Verpackungsmaterial, zwei Feinwaagen und einen Crusher zutage. Auch das Handy des Festgenommenen wird beschlagnahmt und ausgewertet. Immer wieder gibt die Richterin Kostproben aus den sogenannten Chatverläufen. „Hey, kannst du mich heute versorgen?“ „Günter kommt nur, wenn du kommst.“ „Bring vier CDs mit.“ „Was geht?“ „Klein.“ „Ne, will groß.“ „Geht klar.“ „Easy.“ „Bin bei dem hässlichen grünen Auto.“ „Bin gleich da.“ Oder auch: „Hey, was geht?“ „Green.“ „Brauch ich.“ Der Polizist klärt auf: „Günter“ wie auch „CD“ seien Codewörter für Marihuana. Immer wieder macht der Angerufene, der Angeklagte, strikte Zeitvorgaben. Er „will nicht in BK rumrennen“. Bei offensichtlichen Lieferschwierigkeiten heißt es: „Muss gleich erst holen.“
Nach dem Hauptschulabschluss, so gibt der Angeklagte an, habe er gleich gearbeitet, ohne eine Ausbildung zu machen. Eben ist er in einer Firma bei der Qualitätsprüfung beschäftigt. Er ist ledig und ohne Kinder, habe aber einen Hund. Und der fresse so viel. So muss er mit seinem Verdienst gut haushalten. Mit 16 Jahren habe er zum ersten Mal Marihuana konsumiert. Später seien es zwei bis drei Gramm gewesen, die er pro Tag gebraucht habe. Seit seinem Gefängnisaufenthalt sei aber damit Schluss. An die Stelle der Rauchware, so deutet sich an, ist offenbar der Alkohol getreten.
Der Staatsanwalt ist sich in seinem Schlussplädoyer sicher. Die ausschnittsweise vorgetragenen Telefongespräche belegen das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Marihuana, auch wenn von den ursprünglichen Tatvorwürfen nur vier übrig geblieben sind. Ein Eigenkonsum von zwei bis drei Gramm täglich sei nur über Drogenverkauf finanzierbar. Auch die mehr als 300 aufgefundenen Druckverschlusstütchen sprächen für Drogenhandel. Er will die Vergehen mit 16 Monaten auf Bewährung abgehen lassen. Das gewerbsmäßige Handeltreiben weist der Verteidiger hingegen für seinen Mandanten strikt zurück. Die Indizien für Gewerbsmäßigkeit seien nicht gegeben. Es habe sich nur um Verkäufe von Kleinmengen gehandelt. Er plädiert für eine Geldstrafe.
Das Schöffengericht urteilt: ein Jahr auf Bewährung. Die eingezogenen Dealer-Utensilien und insbesondere die Telefongespräche sprächen für gewerbsmäßiges Handeltreiben. Insbesondere die in den Telefongesprächen genannten Zeitangaben sprächen dafür, dass der Angeklagte seine Geschäfte straff und effektiv organisierte. Das spreche gegen gelegentliche Verkäufe. Und weil sich das Suchtverhalten des Angeklagten unter Umständen auf den Alkohol verlagert haben könnte, kommen als Auflage fünf Gespräche bei Suchtberatung hinzu.