Die Forscherin Lea Lochau erklärt, was Tradwifes und Alleingebärende mit Rechtsextremismus zu tun haben – und warum so viele Frauen AfD gewählt haben, obwohl diese ein antifeministisches Frauenbild propagiert.
Erlebt Anfeindungen: Lea Lochau von der Amadeu-Antonio- Stiftung.
Von Lisa Welzhofer
Jede und jeder Fünfte hat bei der Bundestagswahl im Februar für die in Teilen als rechtsextrem eingestufte AfD gestimmt. Was das für die Gleichstellungs- und Familienpolitik in Deutschland bedeuten könnte, erklärt Lea Lochau, Fachreferentin bei der Amadeu-Antonio-Stiftung.
Frau Lochau, die AfD wurde mit fast 21 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft im neuen Bundestag. Welche Folgen erwarten Sie für Politikfelder wie Gleichstellung oder Familie?
Das Erstarken rechtspopulistischer Kreise hat bereits Auswirkungen auf den öffentlichen Diskurs und Gesetzgebungsverfahren. Das haben wir zum Beispiel in der Debatte um das Gesetz zum Gewaltschutz gesehen. Am Ende wurden dabei nichtbinäre Personen ausgeschlossen. Während der CSD-Paraden im vergangenen Jahr gab es Angriffe auf Vielfalt und queeres Leben in Deutschland. Das wird vermutlich weiter zunehmen.
Für welches Familienbild steht die AfD?
Sie vertritt ein traditionelles bis völkisches Verständnis von Familie und Gesellschaft und hat klar heteronormative Rollenbilder, die von Ideen wie dem „richtigen Mann“ und der „deutschen Mutter“ geprägt sind. Laut ihrem Parteiprogramm besteht die Familie aus Mutter, Vater, Kindern. Damit werden Familienkonstruktionen, die davon abweichen, etwa gleichgeschlechtliche Partnerschaften, klar ausgeschlossen. Generell zeichnet sie das Idealbild einer ethnisch homogenen Bevölkerung und vertritt damit ein rassistisches Verständnis von Gesellschaft, sodass auch migrantische Familien ausgeschlossen werden.
Auch viele Frauen wählen diese Partei. Sie scheinen damit also einverstanden.
Tatsächlich hat der sogenannte Radical-Gender-Gap, also das Phänomen, dass Frauen weniger rechtspopulistisch bis rechtsextrem wählen, bei dieser Wahl abgenommen. Die AfD hat auch bei Frauen zehn Prozentpunkte hinzugewonnen.
Liegt das auch an der Vorsitzenden Alice Weidel? Sie lebt mit einer Partnerin zusammen, zieht mit ihr Kinder groß. Das scheint so gar nicht in das Weltbild der AfD zu passen.
Alice Weidel verhilft der AfD zu einer gewissen Normalisierung und dabei, Wählerinnen und Wähler zu erreichen, die ein Bernd Höcke allein wohl nicht erreichen würde. Sie hat immer wieder betont, dass sie der lebende Beweis sei, dass die AfD ganz „normal“ ist. Aber man muss ihre Lebensweise klar von ihrer ideologischen Einstellung trennen und davon, dass ihre Partei ein antifeministisches Programm vertritt.
Aber noch mal: Jede und jeder Fünfte in Deutschland scheint das zu unterstützen. Woran liegt das?
Es gibt in Teilen der Bevölkerung starke antifeministische Narrative und eine Retraditionalisierung der Rollen. Das kann auch eine Reaktion auf die multiplen Krisen derzeit sein, das Bedürfnis nach Sicherheit in wirtschaftlich und sozial unsicheren Zeiten. Generell gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen, was rechtsextreme oder antifeministische Einstellungen anbelangt. Am progressivsten wählen junge Frauen in der Großstadt, am konservativsten ältere Männer auf dem Land. Das ist die größte Diskrepanz, die wir momentan messen.
Hat der Feminismus einen Fehler gemacht, indem er ein einziges Rollenbild für Frauen propagierte, das der emanzipierten, arbeitenden Frau – und damit andere Lebensmodelle abwertete?
Natürlich kann die Vielfalt an Themen und Möglichkeiten Menschen auch überfordern. Wir sehen aber ganz klar eine Kulturkampfstrategie von rechtskonservativen bis rechtsextremen Kreisen. Das Wort Genderstudies, also Forschung, die sich mit der Bedeutung für Geschlecht in Politik und Gesellschaft beschäftigt, ist mittlerweile sehr negativ konnotiert. Viele nehmen dem gegenüber eine ablehnende Haltung ein, ohne sich damit auseinander gesetzt zu haben.
Erleben Sie Anfeindungen?
Definitiv. Zum einen wird unserer Stiftung unterstellt, dass wir ideologisch handeln. Außerdem wird die Gemeinnützigkeit in Frage gestellt. Es gibt auch im Netz Verschwörungserzählungen, dass eine Translobby und Gelder aus Amerika hinter uns stecken. Das ist Bestandteil unseres beruflichen Alltags, aber glücklicherweise noch nicht bis an meine Haustür vorgedrungen.
Sie forschen auch dazu, wie rechte Kreise im Netz für ihren Frauen- und Familienbegriff Propaganda machen. Wie funktioniert das?
Ideologie wird hier oft durch eine Verharmlosung weitergegeben. Das funktioniert sehr gut über soziale Medien wie Instagram und Tiktok und mit Themen, die erst einmal unpolitisch scheinen. Vor allem Frauen übernehmen im Netz die Aufgabe, Ideologie zu streuen. Das sehen wir beispielsweise an den sogenannten Tradwifes.
Also Frauen, die sich als traditionelle Hausfrau und Mutter inszenieren und teils große Reichweiten haben. Kann man ihnen allen eine politische Agenda unterstellen?
Nein, aber ihre Lebensweise ist sehr gut anschlussfähig an völkische Gruppen, die sie mit anderen Bausteinen ihrer Ideologie verknüpfen. Ich habe mich zum Beispiel mit dem Thema Alleingeburten beschäftigt, also wenn Frauen ihre Kinder ohne jede Hilfe zur Welt bringen. Es gibt Frauen, mit vielen Followern, die dieses Thema propagieren. Einige gehören zu völkischen Kreisen, haben Anschluss an die Reichsbürgerszene. Erst einmal geht es nur um das Thema Alleingeburt, aber dann werden zum Beispiel Wissenschaftsfeindlichkeit oder Ideen aus dem Querdenkertum damit verknüpft. Der Grad zwischen naturnaher Lebensweise und Rechtsesoterik ist mitunter schmal.
Auch andere Themen wie Gewalt gegen Frauen oder Sexismus laufen Gefahr instrumentalisiert zu werden, sagen Sie.
Solche vermeintlichen Frauenthemen werden in den Programmen rechtspopulistischer Parteien aufgenommen, aber fast ausschließlich mit dem Thema Zuwanderung verknüpft. Es werden Ängste geschürt. Oft treten dann Frauen als Kronzeuginnen auf.
Sehen Sie Deutschland bei der Gleichstellung in der Rückwärtsbewegung?
Im neuen Bundestag werden weniger Frauen sitzen als im aktuellen. In der CDU/CSU-Fraktion gehört nur jedes fünfte Mandat, in der AfD jedes zehnte Mandat einer Frau. In den kommenden Jahren werden vor allem ältere männliche Juristen die Politik maßgeblich mitbestimmen und entscheiden, wohin Gelder fließen. Das könnte Nachteile für Projekte der Gleichstellungspolitik oder vielfaltsorientierte Demokratiearbeit haben. In Berlin hat der Senat einen Tag nach der Wahl angekündigt, dass viele wichtige Projekte, zum Beispiel zur queeren Bildung in Schulen, nicht weiter finanziert werden.
Interviewpartnerin
Lea Lochau (34) ist Sozialwissenschaftlerin und Fachreferentin für Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung. Sie lebt in Berlin.
Die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) ist eine als gemeinnützig anerkannte deutsche Stiftung mit dem Ziel, die deutsche Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu stärken. Die Stiftung hat ihren Hauptsitz in Heidelberg und ihre Geschäftsstelle in Berlin und wurde 1998 auf Initiative der Publizistin Anetta Kahane gegründet und nach Amadeu Antonio benannt, einem der ersten Todesopfer rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland seit der Wiedervereinigung 1990. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/