Hyggelig wohnen liegt im Trend. Doch warum wünschen sich Menschen ein behagliches Heim? Und hat die Sehnsucht danach mit aktuellen politischen Krisen zu tun?
Natürliche Materialien, Retroformen und ein bisschen Altbaustuck – so sieht er aus der hyggelig-skandinavische Wohntrend, hier ein Beispiel vom dänischen Hersteller Muuto.
Von Nicole Golombek
Das Haus mit sieben Giebeln ist ein trübseliger Ort. Es knarzt und knackt, dämmrig sind die mit dunklem Holz vertäfelten Räume, staubig die Vorhänge, wacklig der uralte Teetisch. Bewohnt wird der Bau von einer trostlosen, einsamen alten Frau namens Hepzibah und ihrem Bruder Clifford. Bis Phoebe auftaucht, eine junge Verwandte mit rosigen Wangen.
Die nimmt sich gleichermaßen „sprühend, munter und wirkungsvoll“ des Hauses an, sodass sich mit einiger „häuslicher Hexerei“ alsbald die schönste Gemütlichkeit einstellt. „Behaglich“ heißt es in dem Klassiker „Das Haus mit den sieben Giebeln“, aufgeschrieben vor rund 170 Jahren von dem berühmten US-Autor Nathaniel Hawthorne.
Ein ödes Haus auffrischen
Seitenlang ist zu erfahren, wie solche Behaglichkeit hergestellt wird. Kissen aufschütteln, lüften, den Kamin lustig zum Flackern bringen, solche Sachen natürlich. Vor allem aber ist es wohl das Wesen, die lustige Heiterkeit der jungen Frau, die das öde Haus und seine gebrechlichen Bewohner auffrischt.
Man könnte auch sagen, hyggelig macht. Denn sehr eng ist dieser Gemütlichkeits-Begriff, diese aus dem Skandinavischen stammende Anleitung zum behaglichen Wohnen, mit einer Lebenshaltung verbunden.
Das ist ja das große Versprechen. Räumst du nur ordentlich auf, verwendest viel Holz, stellst Grünpflanzen (nicht zu knapp, bitte) neben Sofa und Klavier, auf Fensterbänke und in dunkle Ecken, kombinierst neutrale Grundtöne mit kräftigen Farben bei Stühlen, Kissen, Bildern, dann schlägt das aufs Gemüt. Positiv natürlich.
So hat es auch schon Phoebe in dem Sieben-Giebel-Haus gemacht. Sie „rückte ein paar Möbel ins Licht und schob andere in den Schatten; band einen Vorhang auf oder löste ihn“. Wichtig außerdem: Fenster auf! Frische Blumen auf den Tisch! Bei ihr hat’s funktioniert, die das Buch endet glücklich für die alten Leutchen und auch für Phoebe selbst.
Der Hype um Hygge
Kein „Hygge“-Ratgeber heute findet sich ohne glücklich ausschauendes Personal, das es sich mit einem hübsch die Hand wärmenden Teebecher auf dem üppig gepolsterten Vintage-Sessel oder der mit aufgerautem Stoff bezogenen Designercouch bequem macht.
So verfestigt haben sich die auch auf sozialen Medien wie Instagram millionenfach geteilten Bilder, da kann selbst ein Experte nichts zurechtrücken. Der skandinavische Alltag sehe durchaus nicht aus „wie in all den wunderbaren Coffee Table Books“, sagte Bernd Henningsen, Skandinavist und Gründungsdirektor des Nordeuropa-Instituts der Berliner Humboldt-Universität, in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. „Mord und Totschlag und Alkoholismus gibt es auch im Norden, Hygge kann auch ganz schön ungemütlich sein.“
Hinzu kommt, dass der minimalistische, optisch blässliche Einrichtungsstil ja nun auch nicht wirklich aller Welt gefällt. Manche Menschen sind nur mit Nippes und Kunstblumen glücklich oder mit Neonlicht über der Plastiktischdecke. Und immer noch gibt es Menschen, die Gelsenkirchener Barock und mächtige Schrankwände lieben.
Frage also bei einer Expertin: Was ist Behaglichkeit? „Behaglichkeit ist das Ergebnis angenehmer Wahrnehmungen“, sagt die Hamburger Diplom-Psychologin Melanie Fritze, die sich auf Architektur- und Wohnpsychologie spezialisiert hat: „Früher hatte unsere Behausung vorwiegend die Funktion, uns vor Witterung und Gefahren zu schützen. Heutzutage ist das Zuhause ein wichtiger Rückzugsort, der uns Erholung und Regenerationsmöglichkeiten geben soll.“
Abschotten von der feindlichen Außenwelt
Und da in den vergangenen Jahren bis heute – Pandemie, Inflation, Ukraine-Russland-Krieg – die Außenwelt doch recht feindselig gewirkt hat, ist das dauernde Reden von der Behaglichkeit, das Bemühen um ein möglichst störungsfreies, angenehmes Zuhause nachvollziehbar.
Die Innenarchitekturbranche und auch Designer hatten jedenfalls ordentlich zu tun seit 2020. Das bestätigt der aus Bad Mergentheim stammende, international gefragte Gestalter Sebastian Herkner: „Wir leben in einer als unsicher empfundenen Welt.“ Auch die Zukunft sehe nicht eben gut aus. „Hinzu kommt die zunehmende Digitalisierung und in der Arbeitswelt ein gewisses Nomadentum, wenn Menschen nicht einmal einen festen Arbeitsplatz haben. Daraus entwickelt sich ein Wunsch nach etwas Fassbarem.“
Traditionelle Formen sind beliebt
Gerade bei Möbeln seien handwerklich gut gemachte Produkte und traditionelle Formen – Ohrensessel etwa – beliebt. Sessel, Sofas seien gefragt, die mit natürlichen Materialien, Schaffell zum Beispiel oder Bouclé, gepolstert seien. Lauter teddybärknuddeliges Material also, das regressive Sehnsüchte nach einem kindlich sorgenfreien Geborgenheitsgefühl bedient.
Ob mit fotogenen Monstera-Zimmerpflanzen oder mit Kunstblumen bestückt, ob in einem roten Holzhaus oder einer nackten Sichtbetonvilla, Behaglichkeit stellt sich offenbar nicht ohne Geborgenheit ein. Und die, das sieht Designer Sebastian Herkner genauso wie die Heldinnen von Autor Nathaniel Hawthorne, besteht vor allem auch darin, „sich mit Menschen zu umgeben, die man mag“.
Hyggelig: Organische Formen, von der Natur inspiriert: „Pelican Chair“ (li.) und das „Poet Sofa“ von dem dänischen Gestalter Finn Juhl 1940 entworfen, Neuauflage war 2001.
Noch ein Beispiel für dänische Gemütlichkeit: Ohrensessel von Arne Jacobsen. Der Sessel aus den 1950er Jahren ist ein Designklassiker.
Auch umgeben von schlicht und hellen, geometrisch klaren Linien können sich Menschen wohlfühlen, hier ein Beispiel mit einem Sesselklassiker von dem dänischen Gestalter Poul Kjearholm, neu aufgelegt vom Hersteller Fritz Hansen.
Der aus Baden-Württemberg stammende Designer Sebastian Herkner hat sein Studio in Offenbach, hier entwirft er für internationale Firmen Möbel wie . . .
. . . diese rundlichen Sessel „Moro“ für La Manufacture in Frankreich.
Der Sessel „Moro“ von Sebastian Herkner ist in teddybärhaft weichem Stoff besonders beliebt. In Zeiten, in denen vieles nur noch online stattfindet, schätzt der Mensch, Dinge, die sich gut anfühlen und gut in den Händen liegen.
Kuschelige Polster auch bei dem Sessel „Nana“, entworfen von Designerin Hanne Willmann für Freifrau.
Sessel mit überlappendem Bezug von Muuto: „Wrap Lounge Chair“ in gräulichem und sandfarbenen Versionen, ein kleiner Couple Coffee Table Tisch aus Eiche und ein terrakottafarbener Teppich namens „Ply“.
Noch ein Beispiel von Muuto – Sofa mit rundlicher Form, fest auf dem Boden aufsetzend und so sichere Behaglichkeit ausstrahlend.
Auch der dänische Hersteller Hay setzt auf mollig runde Formen bei der Wohnzimmereinrichtung – siehe das Sofa „Quilton“.
Auch beliebt, bei allen, die vom Süden träumen: Mediterraner Wohnstil mit hellen Stoffen, Rattan, Korb-Leuchten.
Die Natur ist Teil der wohnlichen Inszenierung – Wohnbeispiel von Muuto mit großzügigem 4-Sitzer Hallingdal.
Naturverbunden leben, ein skandinavisch-japanisch inspiriertes, minimalistisches Wohngefühl liegt im Trend, doch . . .
. . . manche mögen es etwas opulenter mit prasselndem Kamin, Teppich auf dem Boden, vielen altertümlichen Möbeln und Ohrensessel.
Haptisch angenehme Stoffe wie Samt dienen der Gemütlichkeit, wer mutig ist, kombiniert starke Farben mit als entspannend geltendem Grün.
Lichtquellen in Ecken und indirektes Licht schaffen Behaglichkeit.
Wohnen umgeben von Naturmaterialien – Holz wird eine beruhigende Wirkung zugeschrieben.
Gepolsterte Esstischstühle für ein besonders bequemes Feierabend-Dinner , entworfen von Markus Jehs+Jürgen Laub aus Stuttgart für COR.
Manche haben es auch gern sehr clean in Beige und Grau mit ein bisschen Schwarz. Sofa „Mell“ von COR, entworfen von Jehs +Laub aus Stuttgart.
Alles komplett in hartem Weiß – das ist dann aber vielleicht doch etwas für extreme Minimalisten.
Die Hamburger Diplompsychologin Melanie Fritze sagt, das Wohnen ist nicht mehr nur Schutz vor Kälte und Wärme, sondern auch als Rückzugsort vorm Alltag wichtig, und den möchten sich Menschen so angenehm wie möglich gestalten.