Sebastian Bauer (links) nimmt die in Kisten verpackten Hilfsgüter für die ukrainischen Flüchtlinge vor dem Dorftreff in Cottenweiler entgegen. Foto: A. Becher
Von Anja La Roche
Weissach im Tal. Laut Mediendienst Integration sind bereits mehr als 650 000 Menschen aus der Ukraine in das Nachbarland Polen geflohen. Da wehrpflichtige Männer nicht ausreisen dürfen, soll es sich vor allem um Frauen und Kinder handeln. In den vergangenen Tagen wuchs die Bereitschaft vieler europäischer Bürger enorm, die Flüchtlinge zu unterstützen. Die Nachrichten über den Einmarsch Russlands, die Gewalt und die massenhaft fliehenden Menschen mobilisieren auch hierzulande viele, sich für die Notleidenden zu engagieren. Darunter Sebastian Bauer aus Oberweissach, den die Bilder der TV-Kriegsberichterstattung schockierten. Heulend habe er davor gesessen und hilflos zu seiner Frau gesagt: „Wir vor dem Fernseher können nichts machen.“ Und gleichzeitig bemerkte er: Doch, das geht. Er beschloss, selbst aktiv zu werden. So entstand die Idee, Hilfsgüter zu sammeln und zur polnisch-ukrainischen Grenze zu fahren.
Heute um Mitternacht ging es dann los: Sebastian Bauer und elf weitere Mitstreiter machten sich auf den Weg, aufgeteilt auf vier Sprinter. Diese haben sie mit möglichst vielen Sachspenden beladen, vor allem mit Hygieneartikeln und Lebensmitteln. Mit
16 Stunden Fahrt rechnet Bauer, sodass sie heute Nachmittag in der polnischen Stadt Lublin ankommen sollten. Diese liegt in der Nähe der ukrainischen Grenze. Freiwillige des Caritasverbands würden dann die Hilfsgüter annehmen und zu den notleidenden Menschen bringen (siehe Infokasten). Wie das abläuft und wohin die Weissacher Helfer genau sollen, weiß Sebastian Bauer allerdings noch nicht, denn er erhält nur bruchstückhafte Informationen. „Da ist jetzt natürlich Chaos“, sagt er.
Der anfängliche Plan sah vor, dass Sebastian Bauer gemeinsam mit zwei Freunden und einem Fahrzeug an die Grenze fährt. Dass sich ihm noch so viele weitere Mitfahrer anschließen, hätte er nicht gedacht. Nachdem er über Whatsapp seine Bekannten um Sachspenden gebeten hatte, wurde sein Vorhaben vielfach in den Sozialem Medien geteilt. Es hätten sich sogar mehr Menschen zur Mitfahrt bereit erklärt, als in die vier Autos passen. Zusätzlich zu dem Sprinter, den Sebastian Bauer für die Hilfsaktion bei einem Autoverleiher gemietet hat, sind drei weitere hinzugekommen: ein privates Fahrzeug und zwei Sprinter, die vom Bauhof Weissach im Tal und der Firma Harro Höflinger gestellt werden.
Viele Menschen brachten Kisten mit Hilfsgütern nach Cottenweiler
Um in Kontakt zu den helfenden Menschen an der polnisch-ukrainischen Grenze zu treten, wandte sich Sebastian Bauer zunächst an die Deutsche Botschaft in Warschau. Diese verwies ihn an das Auswärtige Amt in Berlin, das ihn wiederum weiterleitete – zielführend war das nicht. Doch schließlich gelang Bauer über einen privaten Kontakt die Verbindung mit den Einsatzkräften vor Ort. Die vermittelnde Person hatte sich auf seinen Aufruf gemeldet.
Dass sein Beschluss zu helfen so große Unterstützung finden würde, hat Sebastian Bauer überrascht. Die Bereitschaft zu Spenden sei viel größer gewesen als vermutet. Es kamen nicht nur jede Menge Sachspenden zusammen. Der Oberweissacher konnte zudem in nur 48 Stunden 3 000 Euro sammeln. Obwohl er nur um kleine Beträge gebeten hatte, um die Fixkosten der Reise zu decken. Die große Resonanz und die vielen hilfsbereiten Menschen haben den 39-Jährigen in den vergangenen Tagen auf Trab gehalten. „Mein Telefon hat geglüht“, sagt Bauer, der beruflich als Krankenpfleger und Rettungssanitäter tätig ist.
Am vergangenen Mittwoch und gestern organisierte er eine Sammelstelle für die Sachspenden im Cottenweiler Dorftreff. Bauer bat dabei insbesondere um Hygieneartikel, haltbare Lebensmittel, Spielsachen und Erste-Hilfe-Sets. Ausdrücklich nicht erwünscht waren Kleiderspenden, denn davon gebe es bereits zu viele in den Grenzregionen. Auch große Hilfsorganisationen wie die Diakonie Katastrophenhilfe berichten, dass sie keine weiteren Klamotten mehr annehmen; ihre Lager seien voll.
Da die Spendenbereitschaft so hoch war, können Sebastian Bauer und seine Mitstreiter gar nicht alles transportieren. Die überschüssigen Sachspenden übergeben sie deshalb dem Verein „Solidarisch mit Herz“ aus Winnenden. Dieser Verein sammelt derzeit ebenfalls Sachspenden für die Ukraine, allerdings mit dem Fokus auf Hilfsgüter für Tiere (siehe Infokasten).
Auch das gespendete Geld wird von dem Weissacher Team nicht vollständig benötigt. Die Fixkosten der Fahrt, das sind vor allem Spritkosten, sollen mit den Spenden gedeckt werden. Das übrig gebliebene Geld will Sebastian Bauer an eine gemeinnützige Organisation spenden. Doch nun steht erst einmal eine lange Fahrt an, bis die Weissacher Hilfstruppe – läuft alles nach Plan – am Sonntag wieder zurück ist.
Caritas international Das Hilfswerk der deutschen Caritas unterstützt die Verbände vor Ort bei der Hilfe für Kriegsbetroffene und Flüchtlinge. Die Caritas der Ukraine habe sich bereits seit Wochen auf den Kriegsfall vorbereitet, wie der Dachverband berichtet. Landesweit seien rund 1 000 Caritas-Mitarbeiter und Freiwillige im Einsatz.
Neben der Katastrophenhilfe im Kriegsgebiet unterstützt die Caritas international auch die Verbände in Polen, Moldawien und Rumänien. Diese versorgen Schutz suchende Menschen mit Lebensmitteln und Trinkwasser, stellen Notunterkünfte und Waschmöglichkeiten bereit und leisten psychosoziale Betreuung für Erwachsene und Kinder. Weitere Informationen und Möglichkeiten zur Spende unter www.caritas-international.de.
Solidarisch mit Herz Der kleine Verein aus Winnenden hat sich im Zuge der Flutkatastrophe im Ahrtal gegründet und leistet dort nach wie vor Unterstützung. Neben dem Projekt Fluthilfe mit Herz hilft der Verein nun auch der Ukraine. Fokus des Vereins ist hierbei die Unterstützung von betroffenen Tierheimen in der Ukraine sowie flüchtenden Tierhaltern. Dafür hat sich der Verein dem Aktionsbündnis Tierhilfe Ukraine angeschlossen, welcher Hilfsgüter und Veterinärmediziner an die ukrainische Grenze bringen möchte. „Solidarisch mit Herz“ sammelt hierfür an bestimmten Abgabestellen Sachgüter zur Tierhilfe, darunter auch in Murrhardt, Rudersberg und Großerlach. Mehr Informationen gibt es unter www.solidarisch-mit-herz.org.