Gudula Schult arbeitet in der Auenwald-Apotheke. Wenn der Fiebersaft aus ist, geben sie und ihre Kollegen an die Eltern des erkrankten Kindes alternative Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff aus wie zum Beispiel Zäpfchen oder Tabletten. Foto: Alexander Becher
Von Anja La Roche
Rems-Murr. In Apotheken werden nach wie vor bestimmte Rezepturen selbst hergestellt. Bei Fiebersäften ist das allerdings schon lange nicht mehr der Fall. Den erhalten die Apotheker und Apothekerinnen wie viele Arzneimittel bereits fertig produziert von Großhändlern oder direkt von industriellen Herstellern. Doch derzeit mischen wieder einige in der Branche ihre eigenen Fiebersäfte an. Denn das Mittel für Kinder ist schon seit Monaten knapp und durch die große Nachfrage infolge der vielen Infektionen in diesem Winter teilweise ausverkauft. In Backnang und der Region sind es allerdings nur wenige Apotheker, die auf die Eigenproduktion zurückgreifen.
In der Hörschbach-Apotheke in Murrhardt stehen die Substanzen bereit: Der Fiebersaft könnte dort von den Mitarbeitern selbst hergestellt werden, wenn er denn mal ausgeht. „Wir sind da jetzt vorbereitet“, sagt Inhaber Kai Hermann. Er wartet allerdings noch ab, bis klar ist, ob die Krankenkassen die zusätzlichen Kosten bezahlen, die durch den hohen Personalaufwand entstehen würden. Denn bislang ist es den Apothekern verboten, mehrere der fiebersenkenden Medikamente auf Vorrat anzumischen. „Das heißt, ich müsste für jedes Rezept einen Saft herstellen“, erklärt Hermann. Zusammen mit dem Papierkram wie beispielsweise dem Dokumentieren der verwendeten Rohstoffe rechnet der Inhaber mit 30 bis 45 Minuten, die er pro Saft beschäftigt wäre. Einige Krankenkassen hätten sich dazu bereit erklärt, die Mehrkosten zu übernehmen. Hermann hofft allerdings auf ein Signal vonseiten der Politik und will erst dann Fiebersäfte anmischen, wenn die Preisfrage eindeutig geklärt ist.
Gerade die Preisfrage ist auch in größerem Umfang die Ursache der Knappheit: Die Hersteller von Medikamenten, so auch von Fiebersäften, haben keinen lukrativen Absatzmarkt in Deutschland, weil die Krankenkassen Medikamente zu günstigsten Rabattverträgen einkaufen. Seit 2007 sind die Apotheker dazu verpflichtet, gegen ein eingereichtes Rezept genau das Präparat herauszugeben, für das die Kasse des Patienten einen Rabattvertrag abgeschlossen hat. Wählt der Kunde ein anderes Medikament, muss er die Mehrkosten selbst tragen. Durch diesen Preisdruck ist die Anzahl an Herstellern geschrumpft und die Lieferketten haben sich nach China und Indien verlagert. Die Coronapandemie offenbarte, wie fatal eine solche Abhängigkeit sein kann. Der Fiebersaftmangel wird nun durch die vielen Atemwegserkrankungen verstärkt. „Wer nur Dumpingpreise zahlt, kriegt auch nur Dumping“, resümiert Hermann.
Die Wirkstoffe sind ebenfalls rar
Gerade für die fieberkranken Kinder sind die Säfte notwendig, wenn sie in einem Alter sind, in dem sie noch keine Tabletten schlucken können. Die Süße der Mischung verdeckt zudem den bitteren Geschmack der Wirkstoffe, sodass die jungen Patienten auch gewillt sind, das Medikament zu sich zu nehmen. Um die Säfte herzustellen, brauchen die Apotheker allerdings zumindest die notwendigen Grundstoffe. Im Fall der Fiebersäfte sind das Ibuprofen oder Paracetamol. „Das Problem ist, dass auch die Substanz aus Ibuprofen nicht mehr zu bekommen ist“, sagt Hermann. Er habe sich daher mit Ibuprofen in Form von Direktgranulat eingedeckt, einem Arzneimittel, das Erwachsene als Pulver einnehmen können. Das könne er dann unter anderem mit Konservierungs- und Eindickungsmitteln entsprechend anreichern, um daraus einen Fiebersaft herzustellen. Tabletten für die Herstellung zu verwenden, sei aufgrund ihrer Schutzschicht hingegen schwierig.
In der Apotheke am Obstmarkt in Backnang wurde bereits Fiebersaft hergestellt, „im Dezember, als es so eng war“, erzählt Inhaberin Iris Lüdecke. Derzeit bekomme aber auch sie die benötigten Wirkstoffe nicht mehr. Doch sie beruhigt angesichts des Mangels, dass sie ihren Kunden dennoch ausreichend Alternativen anbieten könne. „Ich habe verschiedene Großhändler und wir werden gut versorgt“, berichtet sie.
Viele Apotheken sind aufgrund des Wirkstoffmangels gar nicht erst dazu gekommen, den Saft selbst herzustellen. So auch die Auenwald-Apotheke, wie die pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA) Gudula Schult berichtet. Jeden Tag würden sie und ihre Kollegen aber am Computer hängen, um nach neuen Angeboten für Fiebersäfte zu schauen. Manchmal klappt das besser und manchmal schlechter: Vor Kurzem hätten sie zum Beispiel fast eine Woche lang keine Vorräte mehr gehabt. Ab und zu würden dann wieder ein paar der begehrten Artikel ankommen. Dann wieder seien es gleich 30 Packungen Fiebersaft auf einmal, die die Apotheke einkaufen kann. „Im Moment sieht es bei Fiebersäften wieder ganz gut aus“, sagt Schult. So stressig die Situation für sie und ihre Kollegen auch ist, generell sei bisher alles ganz glimpflich verlaufen. Zudem könne sie am Computer einsehen, ob bei den drei Partnerapotheken in der Nähe noch etwas vorrätig ist, das im eigenen Geschäft fehlt – und die Kunden im Zweifelsfall dann dorthin schicken.
Die Lieferungen sind unzuverlässig
In der Löwenapotheke in Sulzbach an der Murr ist nichts mehr von dem knappen Kinderarzneimittel vorrätig, und das bereits seit zwei Wochen, erzählt die Inhaberin Diane Weyrich. Sie könne statt Fiebersaft den Kunden andere Einnahmeformen wie Zäpfchen verkaufen, aber auch die seien knapp. „Wir tun schon alles dafür, dass wir es bekommen“, sagt die Apothekerin. Immer mal wieder würden kleinere Mengen Saft geliefert. „Für Kunden mit Säugling halten wir dann Notreserven zurück.“ Das trinkbare Arzneimittel selbst herstellen könne ihre Apotheke allerdings nicht. „Wir haben Personalmangel und keine Zeit dafür“, erklärt sie. Sie musste bislang jedoch noch keine Kunden ohne eine Alternative wegschicken.
Hans-Volker Müller ist Inhaber der Raphael- und der Schiller-Apotheke in Backnang. Er berichtet von einer entspannteren Lage in seinen Filialen. „Bei uns war das Ganze weniger knapp.“ Er kaufe die Fiebersäfte direkt bei den Herstellern statt bei den Großhändlern und hätte hierbei ein gutes Netzwerk. „Wir konnten immer auf die Produkte anderer Firmen ausweichen“, erklärt Müller. Lediglich eine kurze Zeit lang habe er keinen Saft mehr vorrätig gehabt und deshalb den Eltern Tabletten und Zäpfchen als Alternative verkaufen müssen. Einem Kind ein Zäpfchen einzuführen sei in seinen Augen auch gar kein Problem. „Da gibt es schon junge Mütter, die damit nicht zurechtkommen.“
„Da hätte man schon vor zehn Jahren drauf kommen können“
Die Apotheker gehen unterschiedlich mit der Knappheit um. Den befragten Personen ist aber eines gemein: Sie verurteilen die Politik der übermäßigen Ökonomisierung auf dem Arzneimittelmarkt. 330 Artikel seien für die Hörschbach-Apotheke derzeit nicht lieferbar, erzählt Hermann; ein Rekord. Vor drei Jahren seien es vielleicht mal maximal 100 fehlende Artikel gewesen.
Nun hoffen die Apotheker und Mitarbeiter, dass sich die Lage mit den Vorhaben von Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (siehe Infotext) bald bessert. „Es ist immer sicherer, wenn man im eigenen Land oder der EU produziert“, sagt Gudula Schult. Frustrierend ist für sie jedoch, dass die Politiker nicht früher reagiert haben. „Da hätte man schon vor zehn Jahren drauf kommen können“, sagt auch Kai Hermann.
Eckpunktepapier Das Bundesgesundheitsministerium hat vor etwa zwei Wochen ein Eckpunktepapier als Grundlage für ein Gesetzespaket vorgelegt, mit dem die Arzneimittelengpässe künftig verhindert werden sollen. Zunächst liegt der Fokus insbesondere auf Arzneimitteln für Kinder.
Ziel Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagt: „Wir werden die Rahmenbedingungen für den patentfreien Arzneimittelmarkt ändern. Wir lockern Rabatt- sowie Festbetragsregeln und sorgen dafür, dass zuverlässige europäische Hersteller bei Vertragsabschluss bevorzugt werden.“