„Wie in einem zweiten Zuhause“

Mehr als 320 Babys sind seit September 2017 im Hebammenhaus in Backnang zur Welt gekommen. Für viele Gebärende bedeutet das mehr Selbstbestimmung und weniger Stress als im Krankenhaus. Die meisten Eltern sind nach der Geburt hochzufrieden.

„Wie in einem zweiten Zuhause“

Silke Latzel und Stephan Vobker sind sehr zufrieden mit der Geburt ihrer Tochter Frederike im Geburtshaus. Foto: privat

Von Uta Rohrmann

BACKNANG. Der Holzbau in der ruhigen Nebenstraße mit dem sprechenden Namen „Im Blütengarten“ zeigt sich auch von innen freundlich und einladend: hohe, helle Räume mit viel Platz für Begegnung und Beratung rund um Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit, vor allem aber zum Gebären. Auch ein geschützter Terrassenbereich, ebenfalls aus Holz, lädt dazu ein, zu entspannen oder auch nochmals zu frühstücken, bevor das Baby auf die Welt kommt.

„Ich komme jeden Morgen gerne hierher, auch dann, wenn ich die Nacht davor nicht geschlafen habe“, sagt Nicole Strobel, die Inhaberin des Geburtshauses, dessen Eröffnung im September 2017 gefeiert werden konnte. „Es ist ein Geschenk, dass wir dieses Haus hier haben.“ Oft denke sie nach einer Geburt, „jetzt ist schon wieder ein Wunder passiert“, werde von Frauen und Kindern überrascht, „wie sie das können“ – trotz Hindernissen, trotz Erschöpfung. „Ich lerne immer noch jeden Tag dazu“, sagt die Hebamme, die langjährige Erfahrung auch in der Anleitung Auszubildender ihres Berufes vorweisen kann.

Im Mai 2020 konnte die BKZ über das 200. Baby berichten, das im Backnanger Geburtshaus zur Welt kam. Inzwischen haben Nicole Strobel und ihr Team – derzeit die Hebammen Anna Schlecht, Sarah Schilmeier und Manuela Amesöder – 324 Frauen bei der Geburt begleitet. Diese Zahl wird bis zum Erscheinen dieses Textes wieder überholt sein. Und nach wie vor müssen Schwangere abgewiesen werden, etwa 20 bis 30 Prozent, die in diesem Ambiente ihr Kind zur Welt bringen wollten und könnten – wenn mehr Hebammen zur Verfügung stehen würden.

Pro Monat können 15 Schwangere in dem Geburtshaus ihr Kind zur Welt bringen.

„Was, ihr geht zur Geburt nicht ins Krankenhaus – seid ihr verrückt? Was ist, wenn du eine Bluttransfusion oder einen Notkaiserschnitt brauchst?!“ Mit solchen Anfragen werden Paare während der Schwangerschaft schon mal konfrontiert. Besonders Erstgebärende lassen sich da unter Umständen verunsichern, weiß Strobel. Sie ermutigt die jungen Frauen dann, in einer Klinik zu entbinden, wenn sie sich dort sicherer fühlten. Und eventuell bei einem zweiten Kind wieder neu zu überlegen. Wichtig ist, dass sich Gebärende in guten Händen wissen. Voraussetzung für eine Entbindung im Geburtshaus ist, dass die Frau gesund ist, die Schwangerschaft ohne besondere Komplikationen verläuft und auch eine unkomplizierte Geburt zu erwarten ist. Bei mindestens fünf bis sechs Kontakten kann sich die Schwangere samt Partner oder auch mit größeren Geschwisterkindern mit den Räumlichkeiten vertraut machen, alle Hebammen kennenlernen und ausgiebig über alle persönlichen Fragen reden.

Auch Frauen in besonderen Lebenssituationen werden unterstützt – zum Beispiel Schwangere ohne Partner oder solche, die traumatisiert sind – etwa durch eine vorangegangene Geburtserfahrung oder durch sexuellen Missbrauch. Allerdings müsse sie den Betroffenen klarmachen, dass auch bei einer außerklinischen Geburt Situationen entstehen können, die eine Retraumatisierung auslösen.

15 Anmeldungen zur Geburt werden in Strobels Haus pro Monat angenommen. Wobei sich diese Zahl erfahrungsgemäß auf zehn bis zwölf reduziert – wegen Komplikationen wie Frühgeburten, für die die Versorgung in einer dafür ausgestatteten Klinik notwendig ist. Oder auch, weil sich die Frau doch noch anders entscheidet. Wer sein Kind im Geburtshaus zur Welt bringt, genießt das Vorrecht, dass eine Hebamme von Anfang an bis zur Entlassung von Mutter und Kind, drei bis vier Stunden nach der Geburt, da ist – in der Regel in einer Eins-zu-eins-Betreuung. „Etwa viermal im Jahr kommt es vor, dass Geburten parallel laufen“, erzählt Nicole Strobel. Dies sei aber gut zu bewältigen. Happiger werde es, wenn mehrere Frauen direkt hintereinander zur Geburt kämen. Doch bisher habe sie in all der Zeit nur einmal sagen müssen: „Ich kann jetzt nicht mehr. Bitte gehen Sie in eine Klinik.“

Dass im Laufe der Geburt doch noch Komplikationen entstehen, die eine Verlegung ins Krankenhaus notwendig machen, kommt vor – mit etwa 18 bis 20 Prozent sei zu rechnen, sagt Strobel. 2021 waren es aber bisher weniger als zwölf Prozent der Gebärenden, die aus dem Blütengarten in Ruhe in ein Krankenhaus transportiert wurden.

„Die Kooperation zwischen den Ärzten und uns hat sich teilweise verbessert“, sagt die erfahrene Hebamme und Geburtshausleiterin. Es sei aber noch Luft nach oben. Sowohl Frauenärztinnen und Kinderärzte als auch Hebammen seien hoch qualifiziert und könnten mit ihrem je eigenen Blick auf die Geburtshilfe einander gut ergänzen. „Ich könnte mir einen Hebammen-Arzt-Stammtisch online gut vorstellen“, so Nicole Strobel. Gleichzeitig räumt sie ein, dass dies aus Zeitgründen für beide Berufsgruppen nicht ohne Weiteres umsetzbar ist.

Sechs bis zwölf Wochen nach der Entbindung laden die Hebammen die frischgebackenen Eltern zu einem Nachgespräch ein, in dem die Geburt noch einmal reflektiert wird. „Ich fühle mich hier wie in einem zweiten Zuhause“, hört Strobel dann immer wieder. 98 Prozent würden zu einer weiteren Entbindung wieder das Geburtshaus aufsuchen, zwei Prozent könnten sich eine Hausgeburt vorstellen. Nur eine von 324 Frauen äußerte, sie werde beim nächsten Mal ein Krankenhaus bevorzugen.

Zu den höchst zufriedenen Eltern gehören auch Silke Latzel und Stephan Vobker, deren Tochter Frederike Mitte Juni zur Welt gekommen ist. „Grundsätzlich hätte ich mir keine schönere Geburt vorstellen können – es war ganz intim und entspannt, genau so, wie wir es uns vorgestellt hatten“, sagt die ehemalige BKZ-Redakteurin. Ihr Mann und sie hätten sich mit verschiedenen Geburtsorten auseinandergesetzt und waren nach dem Infoabend im Geburtshaus überzeugt, den richtigen Ort gefunden zu haben: „Wir hatten einen tollen Eindruck von Frau Strobel und waren von der angenehmen Atmosphäre angetan. Auch das Konzept einer selbstbestimmten Geburt, in die auch der Mann intensiv mit eingebunden ist, überzeugte uns.“ Zur Geburt bezog Stephan Vobker das Bett mit Bettwäsche von daheim, reichte seiner Frau in den Wehenpausen Tee und nahm gemeinsam mit ihr Positionen ein, die entlasten und die Geburt voranbringen. „Das Team – Frau Strobel, ihre Kollegin und eine Hebammenschülerin – hat mir die ganze Zeit viel Mut gemacht, mich darin bestärkt, dass ich die Kraft habe, das so zu schaffen. Gemeinsam haben wir auch überlegt, welche Position gerade passt.“ Auch nach der Geburt sei die Betreuung sehr gut gewesen. Nicole Strobel habe den Kontakt zur nachsorgenden Hebamme gehalten und die junge Familie sogar selbst zu Hause besucht.

„Wie in einem zweiten Zuhause“

Das Geburtshaus „Im Blütengarten“ befindet sich in der gleichnamigen Straße. Foto: A. Becher