Die Angst vor dem Helfen zu nehmen, das ist das Wichtigste, was der Verein vermitteln möchte. Aber das Wichtigste im Falle eines Herzinfarktes ist der Faktor Zeit. Darüber informierten Experten auf Einladung des Sportkreises Rems-Murr im Backnanger Bürgerhaus. Das Interesse an der Veranstaltung war groß und der Abend mit Übungen zum Umgang mit Defibrillatoren der erste Kontakt mit diesen Lebensrettern.
Nach der Theorie kommt die Praxis: Oberärztin Jutta Franz, Fachärztin für Innere Medizin, Notfallmedizin, Intensivmedizin und ärztliche Verantwortliche für den Rettungsdienst Rems-Murr erklärt Backnangs Oberbürgermeister Frank Nopper, wie die Herzdruckmassage richtig geht. Foto: J. Fiedler
Von Andreas Ziegele
BACKNANG. Es war der 27. September 2017, an dem der damals 45-jährige Rouven Gesierich auf dem Sportplatz des TSV Neustadt beim Ausdauerlauf zur Erlangung des Sportabzeichens nach rund 100 Metern bewusstlos zusammenbrach. Die Anwesenden reagierten sofort und begannen mit der Reanimation durch Herzdruckmassage, die dann fast eine Stunde dauerte. Seine herbeigeeilte Ehefrau, die den Vorfall beobachtet hatte, setzte dann sofort einen Notruf ab und nach rund acht Minuten war der Rettungsdienst vor Ort und leitete weitere Maßnahmen ein.
Gesierich kam ins Klinikum nach Winnenden und wurde dort sofort behandelt. Nach zwei Wochen auf der Intensivstation war er gerettet. „Auch wenn mir ein paar Rippen gebrochen wurden, bin ich dankbar, dass sofortige Hilfe geleistet wurde“, erzählt der Waiblinger den knapp 100 Zuhörern im Backnanger Bürgerhaus.
„Optimal gelaufen“, ist das knappe Fazit von Thomas Eul, Oberarzt der Kardiologie in der Rems-Murr-Klinik und Vorsitzender des Vereins „Gemeinsam gegen den Herzinfarkt“. Denn die bewegende Geschichte beinhaltet den wichtigsten Faktor bei einem Herzinfarkt: Die Zeit.
Je schneller die Behandlung beginnt, umso geringer sind die Herzschäden
Zeit, das ist auch das Schlüsselwort im Vortrag vom Backnanger Kardiologen Hans-Albrecht Scheuer. „Zeit ist Muskel“, so der Experte. Das heißt, je weniger Zeit vom Eintreten des Herzinfarktes bis zum Eintreffen im Krankenhaus vergeht, desto geringer sind die Schäden, die am Herzen bleiben. Nach den Worten Scheuers ist es nicht immer einfach, einen Infarkt des Herzens richtig zu prognostizieren. Denn zu unterschiedlich sind die Symptome: Oft strahlen die Schmerzen in der Brust in Richtung Arme, Schulter, Oberbauch, Rücken, Unterkiefer und Zähne aus. „Deshalb werden auch oft die falschen Ärzte aufgesucht“, wie Scheuer berichtet.
C2B ist hier die Zauberformel. „Das ist kein neues Medikament, sondern steht für „contact-to-balloon“, erklärt der Kardiologe. Gemeint ist hier die Zeit vom Anruf des Rettungsdienstes bis zum Einsetzen eines Ballonkatheters ist. Alles was hier unter 90 Minuten bleibt, gibt dem Betroffenen eine größere Überlebenschance. „Warum aber rufen die Patienten so spät an?“ fragt Scheuer und zählt einige Gründe auf: „Es wird schon nicht so dramatisch sein“ und „ich will niemand belästigen“ sind aus seiner Sicht Gedanken, die das frühe Herbeirufen der Rettungskräfte beeinflussen.
Wie wichtig bei Herzinfarkten die Defibrillatoren sind, ist bekannt. „Die Geräte sind so gemacht, dass auch ein Laie sie bedienen kann“, sagt der DRK-Leitstellenmitarbeiter Thomas Brucklacher. Er war es auch, der auf die Idee kam, sämtliche Geräte im Kreis auf einer Karte aufzuzeigen, in der nachgeschaut werden kann, wo und welcher Typ eines solchen Gerätes sich in der Nähe befindet. „Idealerweise stößt ein zweiter Ersthelfer dann mit dem Defibrillator als Unterstützung für die Sofortmaßnahme hinzu“, so Brucklacher.
Auch Jutta Franz, die Leiterin der Intensivstation in der Rems-Murr-Klinik hebt die Bedeutung der „Defis“ hervor. „Melden Sie Geräte an unser Netzwerk, denn Defis helfen Leben retten“, appelliert sie an die Zuhörer. Wie wichtig das schnelle Eingreifen bei Herzstillständen ist, daran lässt auch die Ärztin keinen Zweifel und geht dabei auf die Ängste von möglichen Ersthelfern ein. „Als Laie müssen sie keine Beatmung durchführen“, sagt sie und spricht damit eines von den Hemmnissen an, die Helfer oft zurückhalten, wenn es um die Reanimation geht. „Führen Sie eine Herzdruckmassage mit einer Frequenz von 100 bis 120 mal pro Minute durch“, erklärt Franz. Die Drucktiefe auf das Brustbein sollte hier 5 bis 6 Zentimeter betragen. „Das Wichtigste ist, dass Sie bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes keine Pause machen“, ergänzt sie.
Mit großem Engagement ging es zum Abschluss dann an die Übungen. Das DRK Rems-Murr hatte dazu Puppen für die Herzdruckmassage sowie verschiedene Defibrillatoren mitgebracht, an denen die Besucher unter fachkundiger Anleitung der Rettungssanitäter probieren konnten, wie einfach es ist, diese Maßnahmen durchzuführen und damit unter Umständen Leben zu retten.
Im Gespräch mit der Backnanger Kreiszeitung im Anschluss an die Veranstaltung macht der Chefarzt der Kardiologie, Andreas Jeron erneut auf den Zeitfaktor aufmerksam und sieht die Rems-Murr-Klinik in dieser Hinsicht sehr gut aufgestellt. „Unser Katheterlabor ist hier im wahrsten Sinne des Wortes das Herzstück der Kardiologie“, sagt Jeron. Eine Studie aus dem Jahr 2015 zeige das eindrucksvoll. Im Vergleich mit 52 anderen Kliniken „steht die Rems-Murr-Klinik mit durchschnittlich 76 Minuten gegenüber 90 Minuten sehr gut da“, so Jeron. Besonders schnell geht es im Bereich von „door-to-cath“, also der Zeit vom Eintreffen im Klinikum bis zum Einsetzen des Katheders: vier Minuten sind es in Winnenden, während die Vergleichskliniken im Schnitt 15 Minuten brauchen.
Weitere Infos zum Verein mit Sitz in Winnenden gibt es unter www.kardioverein.de.