Zu Hause arbeiten und Geld verdienen, klingt im ersten Moment nicht schlecht. Ein Homeoffice in den eigenen vier Wänden – das wär’s doch. Aber nicht jeder Chef macht mit. Dabei gibt es viele Vorteile. Aber auch Nachteile. Tobias Wenninger aus Backnang und Regina Hönig aus Erbstetten haben jahrelange Homeoffice-Erfahrungen und berichten.
Unternehmer Tobias Wenninger aus Backnang arbeitet im Büro und in den eigenen vier Wänden.
Von Florian Muhl
BACKNANG/BURGSTETTEN. Wenn Tobias Wenninger zu Hause im Backnanger Seehofweg arbeiten möchte, geht er die Treppe hinab ins Untergeschoss durchs Kinderzimmer hindurch und gelangt dort in ein großzügiges Büro mit zwei Schreibtischen und einem wundervollen Blick in den prächtigen Garten. Oft nimmt er auch den Zugang von außen, um seine drei Kinder Joel (9 Jahre), Felix (2 Jahre) und Lilly (5 Monate) nicht zu stören. Oder der 38-Jährige schnappt sich seinen Laptop und setzt sich an den Esstisch zwischen Küche und Wohnbereich mit tollem Blick auf Backnangs Norden. Dabei hat der gebürtige Winnender immer eine Tasse Kaffee und seinen schwarzen Schäferhund Casy. Die zehnjährige Hundedame ist auch an seiner Seite, wenn Wenninger in seinem „richtigen“ Büro im Biegel arbeitet. Dort im Willy-Brandt-Platz 2 im ersten Stock befindet sich die Academy of Sports GmbH. Der gelernte Industriemechaniker und studierte Betriebswirt hat das Aus- und Weiterbildungsinstitut vor 13 Jahren gegründet, ist deren Inhaber und Geschäftsführer. So kann er die Homeoffice-Beschäftigung von zwei Seiten aus beurteilen, aus der Sicht des Chefs und auch des Arbeitnehmers.
„Mir war’s immer wichtig, die Zeit mit meinen Kindern zu verbringen. Deswegen nehme ich mir nachmittags frei“, sagt der Familienvater. Das hört sich zunächst mal toll und vorbildlich an. Das heißt aber auch, dass Wenninger ran an Tastatur und Monitor muss, wenn andere längst das zweite Feierabendbier genießen. „Ich bin jeden Tag von 7 bis 14, 15 Uhr im Büro“, sagt er und meint damit das im Biegel. „Ab etwa 19 Uhr, wenn alle Kids dann im Bett sind, gehe ich noch mal vier bis fünf Stunden ins Büro.“ Jetzt ist das Homeoffice gemeint. Wenninger schätzt, dass er etwa 50 Prozent seiner Arbeitszeit im Biegel verbringt und die andere Hälfte zu Hause.
„Es ist wichtig, dass der Chef zu 100 Prozent hinter Homeoffice steht“
Wer wann und wie die Kinder wegbringt und abholt, das spricht Wenninger jeden Morgen mit seiner Frau Simone ab, die übrigens auch bei Academy of Sports arbeitet und dort pädagogische Leiterin ist. Derzeit befindet sich die 32-jährige Diplom-Pädagogin allerdings noch in Elternzeit. Ob Homeoffice überhaupt machbar und sinnvoll ist, hänge von vielen Faktoren ab, sagt der Geschäftsführer. Beispielsweise der Aspekt Konzentration. In der Academy hat es ein Großraumbüro und er sitzt mitten drin. Von einem „Kommen und Gehen“ will Wenninger nicht sprechen, aber da ist doch irgendwie Bewegung im Büro, und auch ein bestimmter Lärmpegel. „Wenn ich mich richtig konzentrieren muss, mache ich das zu Hause.“
Es gebe Arbeiten, die lassen sich besser im Büro erledigen, andere, die man perfekt in den eigenen vier Wänden bewältigen könne. Der Academy-Chef bringt seine Marketingleiterin ins Spiel. An vier Tagen in der Woche schreibt sie beispielsweise Werbetexte und gestaltet Anzeigen. Am Bürotag werden dann ihre Kampagnen besprochen. Von den zwölf festen Mitarbeitern in Backnang nutze jeder mal die Homeoffice-Möglichkeit, der eine mehr, der andere weniger. Sobald ein Mitarbeiter komme und sage, er wolle die Heimarbeit nutzen, „dann gebe ich das frei“, so Wenninger. „Die technische Infrastruktur stellen wir komplett. Bislang waren’s aber nur zwei Mitarbeiter, die das benötigt haben.“ Die Voraussetzungen: Internet und Computer. „Man klappt seinen Laptop auf und kann sofort loslegen.“
Die Flexibilität hat Vorteile. Wenninger listet auf: „Wer zu Hause konzentrierter arbeiten kann, wenn mal ein Kind krank wird oder sich ein Handwerker ansagt, immer dann, wenn man üblicherweise einen halben Tag freinehmen müsste, kann man so einfach mal daheimbleiben.“ So verlockend und erstrebenswert es ist, seine Arbeitszeit flexibel gestalten zu können – „das ist nicht jedermanns Sache“, weiß der Unternehmer aus Erfahrung. Beispielsweise dann, wenn es einem schwerfällt, sich selbst zu organisieren. Auch Menschen, die Selbstdisziplin nicht gerade zu ihren Stärken zählen, sollten die Finger vom Homeoffice lassen. „Es gibt Leute, die brauchen im Büro ihre festen Strukturen, die wollen zu Hause raus, die brauchen eine klare Trennung zwischen Heim und Arbeit“, so Wenninger. Über sich selbst sagt er: „Ich bin Vollblut-Selbstständiger. Für mich ists ganz klar und normal, dass sich diese Bereiche vermischen.“
Dann nennt Wenninger noch einen Aspekt, der ihn als Arbeitgeber selbst wundert und überrascht: „Die Arbeitsleistung eines Kollegen, der Homeoffice nutzt, wird viel kritischer beurteilt und eher hinterfragt, als die eines Kollegen, der im Büro arbeitet. Der ist einfach da, sichtbar für den Chef.“ Das ist sehr subjektiv, dessen sei er sich bewusst. „Bei größeren Unternehmen könnte es zu Problemen führen, wenn die Arbeitsleistung unterschiedlich bewertet wird. Deswegen ist es wichtig, dass der Chef zu 100 Prozent hinter Homeoffice steht.“
Genauso lange wie Tobias Wenninger, nämlich 13 Jahre, arbeitet auch Regina Hönig im Homeoffice. Aber, und das ist der Unterschied zum 38-jährigen Backnanger, die 37-Jährige aus Erbstetten ist ausschließlich von zu Hause aus für ein großes Versicherungsunternehmen tätig. 1997 hatte die gebürtige Winnenderin ihre Lehre zur Versicherungskauffrau Sachschaden in Stuttgart begonnen, hatte dann bis zum Jahr 2005 im Schadeninnendienst als Sachbearbeiterin gearbeitet und war dann von ihrem Arbeitgeber gefragt worden, ob sie sich vorstellen könne, sich umzuorientieren; in der Schadensregulierung sei eine Stelle frei geworden. Hönig zögerte nicht lang und sagte zu. „Das war damals noch eine reine Männerdomäne. Und ich als erst 25 Jahre junge Frau hab mir gar nicht vorstellen können, dass ich so einen Job bekommen würde“, erinnert sich die 37-Jährige. Seitdem habe sich aber viel geändert. Mittlerweile sind Frauen, auch junge Frauen, etwas ganz Normales in der Schadensregulierung.
„Ich arbeite wie eine Selbstständige, organisiere mich komplett selbst“
„Ich arbeite hier zu Hause wie eine Selbstständige, organisiere mich komplett selbst. Ich erhalte die Schadensfälle, die meist im Kreisgebiet zu besichtigen sind und mache Besichtigungstermine aus.“ In der Zentrale sei sie nur, wenn es Besprechungen oder Schulungen gebe. Einmal pro Woche sei in der Abteilung eine Telefonkonferenz angesagt, bei der der Chef alle Mitarbeiter auf dem Laufenden halte.
Keine Frage, die Arbeit macht ihr Spaß. „Jeder, der bei der Schadensregulierung war, will nicht mehr zurück in den Innendienst“, sagt Hönig. Es sei auch ein schönes Gefühl, zum Kunden zu kommen, für beide Seiten. Für den Kunden, weil er sich freut, im Schadensfall begleitet zu werden und später auch Geld zu bekommen, und für Hönig, weil sie es in der Regel mit zufriedenen, gut gelaunten Menschen zu tun hat.
Aber es hat sich doch etwas geändert, seitdem sie Mutter einer fast zwei Jahre alten Tochter ist. „Früher konnte ich anfangen und aufhören, wann ich wollte. Aber jetzt, wo Marie auf der Welt ist, muss ich mich an bestimmte Zeiten halten.“ Die Tochter geht gegen 7.30, 8 Uhr in den Kindergarten und wird an zwei Tagen in der Woche um 12.30, an drei Tagen um 15.30 Uhr abgeholt. „Seitdem ich Mutter bin, weiß ich die Flexibilität noch mehr zu schätzen“, sagt Hönig. Auch deshalb, weil ihr Ehemann Steffen ebenfalls als Selbstständiger arbeitet.
Ein zweiter Homeoffice-Vorteil, den sie nennt, sei der nicht existierende Weg ins Büro. „Das spart Zeit, Geld und Nerven.“ Und Nachteile? „Man ist halt Einzelkämpfer. Soziale Kontakte zu Kollegen sind minimiert.“ Zudem das Thema Work-Life-Balance: Arbeit und Privatleben seien viel schwerer zu trennen. Kollegen könnten beim Verlassen des Büros die Tür schließen und sofort abschalten.
Für Regina Hönig aus Erbstetten ist Homeoffice seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit. Sie arbeitet zu 100 Prozent zu Hause. Fotos: A. Becher