Ballermann und Ballermänner

Von Jürgen Frey

Ballermann und Ballermänner

Köln Wer zu den fast 20 000 Menschen gehörte, die am Samstag in der Kölner Arena saßen und mehr als nur einen Blick auf Christian Prokop werfen konnten, für den wirkte der Bundestrainer ein bisschen, als fühle er sich angesichts der schwarz-rot-goldenen Partyfeierlichkeiten wie in einem Traum. Prokop spricht denn auch von Glücksmomenten, von der beruflich schönsten Zeit seines Lebens. Und er sagt all das mit glasigen Augen. Sie sind feucht vor Freude.

Es ist aber auch eine Wahnsinnsgeschichte, die in diesen Tagen erzählt wird. Die Welle der Euphorie schwappt von Berlin nach Köln – und der Handball surft munter drauf herum. Erst 13 500 Zuschauer, jetzt sogar 19 250 Besucher. Aus den Lautsprechern dröhnt: „Sold out“. Ausverkauft! Und was besonders auffällt: Die Stimmung auf den Tribünen oder in den Fanzonen ist nicht nur ausgelassen wie am Ballermann auf Mallorca, sondern immer auch friedlich und fair. Die Körper der Spieler krachen wüst aufeinander oder prallen ungefedert auf den Hallenboden – aber die Fans dieser faszinierenden Hochgeschwindigkeitssportart belassen es dabei, die Handgreiflichkeiten lediglich zu bestaunen. Was beim Fußball bekanntlich nicht immer der Fall ist.

Überhaupt genießt es der Handball in diesen Feier-Tagen, etwas aus dem Schatten des großen Bruders herauszutreten. Wahrscheinlich wird sich Bob Hanning – Sie wissen schon: der medienaffine Macher des deutschen Handballs mit den schrillen Pullis – die TV-Quoten übers Bett hängen: Das WM-Spiel gegen Island lockte mehr Sportfans vor den Fernseher als am Tag zuvor der Fußballrückrundenauftakt zwischen 1899 Hoffenheim und dem großen FC Bayern.

Das verdient Respekt und zeigt, welch großes Potenzial der Handball hat. Die Euphorie, die verbreitet wird, ist schön und gut und durchaus angebracht, doch wer den Jubel-Arien und Schwärmereien bei den Fernsehübertragungen lauscht, dem drängt sich der Eindruck auf: Alles einen touch to much. Alles ein bisschen zu viel, alles einen Tick zu marktschreierisch. Wenn zum Beispiel die Moderatoren-Kollegen Alexander Bommes und Dominik Klein davon sprechen, dass die Halbfinalteilnahme für das deutsche Team praktisch gebongt ist, dann ist das zwar gut für das eigene Produkt, das sich die TV-Macher einige Millionen Euro haben kosten lassen, einen Gefallen tut man dem Handball, der deutschen Mannschaft, aber auch dem staunenden Zuschauer mit ziemlicher Sicherheit nicht.

Denn fest steht: Die dicksten Brocken in der Hauptrunde kommen erst noch. „Feiert nicht zu früh!“, mag man den Superoptimisten vor den wegweisenden Härtetests gegen Kroatien an diesem Montag und gegen Spanien am Mittwoch zurufen. Denn noch ist nichts gewonnen – auch wenn sich die Ausgangslage nach der überraschenden Niederlage Kroatiens am Sonntag gegen Brasilien extrem verbessert hat. Noch aber ist der Sprung ins Halbfinale nach Hamburg ein schweres Stück Arbeit. Noch ist die Fallhöhe groß. Und würde die laut Bob Hanning „unverhandelbare Mission Medaille“ doch nicht erfolgreich ausgeführt, wäre plötzlich sogar der Bundestrainer nicht mehr zu halten. Die Schnelllebigkeit im Profisport ist ein bekanntes Phänomen.

Also gilt für die Handballer: dranbleiben! Damit am Ende der große Wurf gelingt. Denn dann wären schöne Aussichten und ein anhaltender Boom gar nicht mal so realitätsfern. Warum? Weil der Verband viel professionellere Strukturen aufweist als beim Wintermärchen 2007 und in den vergangenen Jahren sein verstaubtes Image zu einem großen Teil ablegte. Nicht nur wegen der Pullis von Bob Hanning.