Besser als nix

Besser als nix

Mal angenommen, ich wäre in Frankfurt geboren worden. Das ist zum Glück nicht so, aber mal angenommen – dann hätte ich an der Fußball-Bundesliga wahrscheinlich meine Freude. Vermutlich mehr als am ganzen Alltagsrest. Mein Leben dagegen ist wunderbar. Ich bin in Stuttgart geboren und immer noch hier. Es geht mir gut. Aber die Fußball-Bundesliga: nicht auszuhalten.

Selber schuld, wenn du dir hier die volle Dröhnung schon mit der Muttermilch reinpressen lässt. Du wächst auf mit diesem Club, und als Jugendlicher stehst du irgendwo in der Cannstatter Kurve und behauptest lauthals die abstrusesten Sachen („Rot wie Blut und Weiß wie Schnee, so sind die Fans vom VfB“), der Verein sitzt als Familienmitglied am Mittagstisch. Auch wenn das Familienmitglied mal Schwierigkeiten macht, du stehst dazu, clanmäßig wie Pate Don Vito Corleone.

Aber eines Tages stellst du fest, dass die Schwierigkeiten zum Programm geworden sind, ohne jeden ersichtlichen Grund. Es ist nicht mehr zu begreifen, nicht mehr zu verstehen. Du ertappst dich dabei, dass du gar nicht mehr weißt, zu was und wem du ­ei­gent­lich stehst. Man sitzt weiterhin gemeinsam am Tisch, es herrscht eisiges Schweigen. Du weißt nicht mehr, was du reden sollst. Um eine gemeinsame Basis zu schaffen, schraubst du deine Erwartungshaltung so weit nach unten, dass du dich dafür schämst. Ein Punktgewinn im hohen Norden, denkst du dir, ist schon besser als nix.

Der Blues wurde vielleicht in Chicago geboren, aber eingenistet hat er sich hier. Liebesentzug, Zuneigung und Anteilnahme stehen in keinem Verhältnis mehr zu dem, was du zurückbekommst. Du fühlst dich wie Florian Silbereisen. Er hat von seiner (Ex-)Helene künftig so wenig zu erwarten wie Christian Heidel von Schalke 04. Heidel ist einer von uns. Er hat sich selbst vom Manager zum Ex-Manager gemacht. Enttäuscht, ein bisschen verbittert, als ob wir das nicht nachvollziehen könnten. Oder der 1. FC Nürnberg. Der Club muss sich doch nach so einem Spiel wie in Düsseldorf ernsthaft überlegen, die Sportart zu wechseln: Platzverweis in Minute eins für Matheus Pereira. Die Verzweiflung ist weit größer als die fußballerische Klasse. Trotzdem geht Nürnberg in Unterzahl in Führung, kämpft – und dann: ein wunderschönes, aber völlig unnötiges Eigentor zum Ausgleich. Und am Ende 1:2.

Das soll also dieses Spiel sein, das die Massen begeistert und verzückt? Wir gehören nicht mehr dazu. Die Party findet ohne uns statt. Und als ob die Erkenntnis nicht schon bitter genug wäre, siehst du plötzlich einen strahlenden Bruno Labbadia. Was hat dieser Trainer in Stuttgart gelitten. Die meiste Zeit verbrachte er damit, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Eigentlich um alles. Er tat einem oft leid. Jetzt in Wolfsburg (Nicht für zehn deutsche Meisterschaften wollte ich dort geboren sein!) feiert er einen Auswärtssieg nach dem anderen. „Ich bin ruhiger geworden, ich fühle mich super, mein Job macht richtig Spaß“, sagt er.

Wie kommen wir von der dunklen wieder auf die helle Seite? Nur jammern hilft dabei nicht. Nach vorne schauen, heißt die Devise. Schon der große Trainer-Philosoph Dra­goslav Stepanovic hat damit bestens gelaunt alle Hochs und Tiefs im Fußballer­leben gemeistert. Nach jeder herben Nie­derlage postulierte er die serbische Fuß­ballweisheit mit hessischem Einschlag: „Lebbe ged weider.“ Stepanovic hat unter anderem Eintracht Frankfurt trainiert. Und später die Stuttgarter Kickers. Aber das war damals, als Erwartungshaltung und Ertrag noch einigermaßen zusammenpassten.