Einmal Tipps von einer Olympiasiegerin und Weltmeisterin zu bekommen, bleibt für viele Sportler ein Traum. Nicht so für die 28 Teilnehmer am zweitägigen Lehrgang der Pferdefreunde Obertorhöfe: Aufgeteilt in sieben Gruppen wurden sie von Sandra Auffarth, die 2012 in London mit dem deutschen Vielseitigkeitsteam im Zeichen der Ringe triumphierte, und 2014 die WM-Goldmedaillen im Einzel und auch mit der Equipe abräumte, in die hohe Kunst der Reiterei eingeweiht.
Schaute konzentriert zu, um im richtigen Moment kurze und knackige Tipps geben zu können: Weltklassereiterin Sandra Auffarth. Foto: A. Becher
Von Steffen Grün
Mit Handschuhen und Winterjacke steht Sandra Auffarth am Rande des Parcours, der in der noch so gut wie neuen Reithalle auf der Anlage der Familie Adelhelm in den zu Kirchberg gehörenden Obertorhöfen aufgebaut ist. Diese wärmenden Utensilien braucht es auch, denn es ist für Anfang Januar zwar nicht gerade bitterkalt, aber die 33-Jährige muss an beiden Tagen vom frühen Vormittag bis in den späten Nachmittag durchhalten. Es wird jeweils vier Stunden vor und drei Stunden nach der Mittagspause trainiert, in der es zum Aufwärmen sowie für eine herzhafte Stärkung in das rustikale Reiterstüble geht.
Sandra Auffarth macht einen konzentrierten Eindruck. Kurz und knackig kommen ihre Tipps und Hilfestellungen daher, die sie den jeweils nur vier Sportlern hinterherruft. Jedes Quartett ist im Laufe der beiden Tage zweimal dran, das macht insgesamt rund 120 wertvolle Minuten in den Händen der Weltklassereiterin. Am Ende wird meist ein gemeinsames Foto geschossen, um auch wirklich den Beweis zu haben, von einer Olympiasiegerin und Weltmeisterin geschult worden zu sein. „Sandra Auffarth ist für feines und präzises Reiten bekannt“, sagt Ulrich Stahl nach seiner zweiten und letzten Einheit, oftmals seien ihre Darbietungen „ein Musterbeispiel an Rittigkeit und feiner Abstimmung“. Bei ihrem WM-Triumph in Frankreich vor gut fünf Jahren habe sie „Standing Ovations für ihre Dressurvorstellung bekommen“, erinnert sich der 54-jährige Leutenbacher und ihm ist der Stolz anzuhören, mit einer solchen Könnerin arbeiten zu dürfen.
Die Dressur als dritte Teildisziplin der Vielseitigkeit spielt bei diesem Lehrgang allerdings keine Rolle, alles dreht sich um das Springen. Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer sind Vielseitigkeitsreiter: Für sie geht es deshalb über feste Hindernisse, wie sie ihnen beim Geländeritt vorgesetzt werden, und auch über abwerfbare Hindernisse, wie sie im Springparcours üblich sind. „Der Sitz des Reiters und die Einwirkung aufs Pferd spielen die Hauptrolle“, erläutert Sandra Auffarth ihre Herangehensweise und lobt ihre temporären Schützlinge: „Es sind gute Reiter, die sich trotzdem noch weiter verbessern wollen. Es macht Spaß.“ Eine Einschätzung, die auf Gegenseitigkeit beruht. „So ein Lehrgang ist einfach etwas anderes, als daheim auf dem eigenen Platz zu reiten“, betont Ulrich Stahl: „Es ist ein neuer Trainingsreiz, es sind neue Aspekte. Ähnliche Dinge werden mal wieder anders erklärt.“ Neben dem Wissen, dass die Weltklassereiterin vermittelt, lobt der selbst als Parcourschef tätige Teilnehmer auch die Bedingungen: „Das ist modernes Hindernismaterial, der Boden ist fest und griffig, wir sind nie gerutscht. Das ist State of the Art.“
Lara Adelhelm stellt Kontakt zur Olympiasiegerin beim Praktikum her
Bleibt die Frage zu klären, warum das Nordlicht einen Trip in den Süden machte. „Diese Aktion kam zustande, weil meine Tochter Lara nach ihrem Agrarwissenschaftsstudium und ihrer Lehre zur Pferdewirtin mit dem Schwerpunkt Reiten ein Praktikum im Stall von Sandra Auffarth gemacht hat“, erklärt Herbert Adelhelm, Vorsitzender der Pferdefreunde Obertorhöfe: „Für uns als Verein ist es eine gute Werbung, und die Reiter lernen eine ganze Menge.“ Lara Adelhelm habe sie gefragt, ob sie mal einen Lehrgang in ihrer Heimat leiten kann, erinnert sich die Olympiasiegerin. „Jetzt hat es geklappt.“ Zur großen Freude ihrer ehemaligen Praktikantin, die selbst beim Lehrgang mitmacht und feststellt: „Man kann viel von Sandra lernen. Es gibt noch einmal neue Anstöße, woran man arbeiten und was man besser machen kann.“ Vielleicht nimmt die 27-Jährige ja die letzten Prozentpunkte mit, um endlich ihr großes Ziel zu erreichen: „Es wäre toll, mit einem selbst ausgebildeten Pferd am Bundeschampionat für junge Pferde teilzunehmen.“ Im vergangenen Jahr verpasste sie die Qualifikation lediglich um Haaresbreite, dieses Mal soll es klappen.
Für Sandra Auffarth geht es derweil um das Ticket für die Olympischen Spiele in Tokio, die am 24. Juli 2020 eröffnet werden. In der japanischen Hauptstadt wirklich zum deutschen Vielseitigkeitsteam zu gehören, ist allerdings kein Selbstläufer, denn anders als noch in Rio de Janeiro 2016 gibt es nicht mehr vier, sondern nur noch drei Startplätze und die Konkurrenz ist stark: Michael Jung, Ingrid Klimke und Andreas Dibowski wollen ebenfalls dabei sein und dazu beitragen, die traditionell hohen Ansprüche der deutschen Buschreiter in die Tat umzusetzen. „Das Ziel ist eine Medaille“, verdeutlicht Auffarth, „am besten natürlich Gold.“ Wie 2012 in London, nachdem es in der Metropole an der Copacabana zuletzt nur zu Silber gereicht hatte. Auch in der Einzelwertung wollen die Deutschen den Sieg unter sich ausmachen, vielleicht holt sich Sandra Auffarth den Feinschliff ja beim Vielseitigkeitsturnier der Pferdefreunde Obertorhöfe am 4. und 5. April in Kirchberg. Mit Michael Jung preschte immerhin schon einmal ein Olympiasieger über die Murrauen.
1986 am 27. Dezember in Delmenhorst geboren, wächst Sandra Auffarth von Anfang an mit Pferden auf, denn ihre Eltern betreiben einen Ausbildungs- und Handelsstall in Bergedorf bei Ganderkesee.
2006 zieht sie nach ihrem Abitur und der Aufnahme in die Perspektivgruppe des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei mit ihren Pferden nach Warendorf. Auffarth macht eine Ausbildung zur Pferdewirtin (Schwerpunkt Reiten), beendet sie als Jahrgangsbeste mit der Stensbeckplakette und hängt eine weitere Ausbildung als Sport- und Fitnesskauffrau bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung dran. 2011 kehrt sie auf den Hof der Eltern zurück, um mit ihnen den Zucht- und Ausbildungsstall zu führen, den sie 2014 übernimmt.
2012 trumpft die Vielseitigkeitsreiterin bei den Olympischen Spielen in London auf: Auf Opgun Louvo holt sie Einzel-Bronze, mit der deutschen Equipe sogar Gold. Weitere Erfolge mit ihrem Paradepferd sind die Siege im Einzel und Team bei der Weltmeisterschaft in Frankreich 2014, Olympia-Silber in Rio 2016 mit der Mannschaft und je zweimal EM-Gold und EM-Silber.