„Wir sehenFerrari vorne“

Mercedes-Sportchef Toto Wolff über die Stärke der Konkurrenz

Von Dominik Ignée

Am Sonntag startet die Formel 1 in Melbourne in die neue Saison (6.10 Uhr MEZ/RTL). Vor den ersten Runden glaubt Toto Wolff, dass es mit der Dominanz vorbei sein könnte.

Frage: Herr Wolff, Sie kommen locker auf 250 Hotelnächte im Jahr. Da dürfte der Koffer routiniert in einer halben Stunde gepackt sein.

Antwort: Ich versuche in dieser Hinsicht immer effizienter zu werden. An Rennwochenenden ist es einfacher, weil wir alle die Teamkleidung tragen. Aber ich will mich dann natürlich nicht bei der Unterwäsche vertun oder zu wenig Hemden dabeihaben. Insofern ist das Packen richtig nervend – und es wird auch nicht besser. Nach zwanzig Minuten mache ich den Koffer dann aber zu.

Frage: Sie vergessen nichts?

Antwort: Natürlich bin ich einer, der auch mal was vergisst, aber dafür habe ich meine Helferlein. Bei den Rennen ist da meine bezaubernde Assistentin Julia, die mir, wenn es blöd läuft, auch mal eine Zahnbürste kauft.

Frage: Haben Sie sich nach fünf WM-Titeln in Folge im Winter auch mal was gegönnt?

Antwort: So funktioniere ich leider nicht. Ich würde mir wünschen, ich könnte mich mal zurücklehnen.

Frage: Aber den Erfolg haben Sie doch genossen.

Antwort: Es war schon ein besonderer Moment, diesen fünften Titel zu gewinnen, weil es in der Geschichte bisher nur einmal passiert ist. Wir haben nun gleichgezogen mit der Schumacher-Ära bei Ferrari. Das ist tatsächlich etwas ganz Besonderes und etwas, worauf wir stolz sind.

Frage: Also: kurz freuen, Mund abwischen, weitermachen.

Antwort: Man muss sich schon bewusst sein, dass das etwas ist, das nicht alle Tage passiert. Aber gleichzeitig kannst du dir davon im nächsten Jahr nichts mehr kaufen. Noch viel weniger in unserer schnelllebigen Welt. Da wirst du hochgejubelt, das ist toll – aber die Punkte gehen wieder zurück auf null.

Frage: Doch etwas Extrapause oder einen kleinen Bonus gab es doch wohl für die Mercedes-Mannschaft.

Antwort: Klar, wir haben für die Mitarbeiter eine Erfolgsbeteiligung. Und wir haben im Winter gesehen, dass so eine Saison an den Kräften zehrt. Das Thema Müdigkeit ist etwas, das wir sehr aktiv angehen.

Frage: Mit Sonderurlaub?

Antwort: Wir haben versucht, den Leuten, die stark unter Stress gestanden sind, Erholungsmöglichkeiten zu geben. Man darf ja nicht vergessen: Wir gehen nicht nur zu 21 Rennen und haben die Wochen dazwischen frei. Wir haben von Montag bis Mittwoch ganz normale Bürotage oder Tage an den Maschinen und am Auto. Am Wochenende gehen wir an die Rennstrecke, dann schlagen wir am Montag in der Früh wieder am Arbeitsplatz auf – und alles geht von Neuem los.

Frage: Also suggerieren nur die Fernsehbilder, dass Mitglieder des Formel-1-Trosses das schönste Leben auf Erden hätten, weil sie so oft an wunderbaren Orten verweilen?

Antwort: Dieser glamouröse Eindruck ist schon wichtig für die Formel 1. Doch im Hintergrund sind wir alle nur Soldaten.

Frage: Zum Glück nur Soldaten in der vergleichsweise harmlosen Formel 1, in der Ferrari bei den Testfahrten zuletzt oft eine halbe Sekunde schneller war als Mercedes. Ist Ihre Dominanz beendet?

Antwort: Ich glaube, dass wir schon im letzten Jahren keine Mercedes-Dominanz mehr hatten. Es war eine Saison mit Höhen und Tiefen. Am Ende der vergangenen Testtage haben wir unser Auto immer besser verstanden und im Hinblick auf unseren Speed gegenüber Ferrari vernünftig ausgesehen. Doch aufgrund unserer Kalkulationen hinsichtlich der Spritmengen in den Autos sehen wir Ferrari vorne. Red Bull können wir nicht einschätzen, weil sie keine schnellen Runden gefahren sind. Doch im Grunde ist das alles auch ein bisschen wie das Glaskugellesen. Erst Melbourne und die Rennen danach werden uns zeigen, wo wir stehen.

Frage: Der Ferrari-Frontflügel hat eine signifikant andere Form als der von Mercedes und Red Bull. Werden Sie das Teil früher oder später von den Italienern kopieren?

Antwort: Das kann schon sein, Sie bringen es auf den Punkt. Es gibt zwei unterschiedliche aerodynamische Konzepte, mit denen die Flügel wegen der neuen Regeln interpretiert wurden. Es gibt die Gruppe Ferrari, Haas, Alfa Romeo und Toro Rosso. Dann gibt es die Fraktion, die sich in der Mitte befindet – und dann gibt es da noch Red Bull und uns mit einem relativ steil angestellten Frontflügel. Wenn sich ein Konzept als das klar bessere herausstellt, kann es sein, dass beim fünften Grand Prix in Barcelona oder kurz danach alle mit veränderten aerodynamischen Entwürfen antreten.

Frage: Man wünscht dem Schwächeren etwas mehr Glück als dem Dauersieger. Würde ein Rollenwandel dem Image von Mercedes guttun?

Antwort: Wenn man ein Hollywood-Script schreibt, müsste es heißen: Der Underdog bekommt seine Chance, er etabliert sich, er gewinnt, oder er schlägt zurück. Wir hatten schon einen großen Erfolgslauf mit den fünf Doppeltiteln nacheinander, und das entspricht sicher nicht diesem Hollywood-Script. Andererseits machen wir Sport. Die Rolle, die uns von Mercedes-Benz zugedacht ist, bedeutet, dass wir wirtschaftlich und sportlich gut aussehen. Aber es stimmt schon: Es liegt in der Natur des Menschen, für den Underdog zu sein.

Frage: Dominanz macht ja nicht nur attraktiv.

Antwort: Der Blick auf die Sieg-Phasen von Ferrari, Red Bull und Mercedes zeigt, dass Dominanz und die Vorhersehbarkeit von Erfolgen für jeden Sport schlecht sind. Es muss die Variabilität geben, dass auch andere Teams siegen können – aber das hat ja das vergangene Jahr so spannend gemacht: es war nicht ganz klar, wer gewinnt. Dadurch haben sich die Zuschauerquoten so gut entwickelt.

Frage: Die Leute schauen auch zu, weil Lewis Hamilton ein außergewöhnlicher Star ist. Haben Sie neue Tattoos an ihm entdeckt?

Antwort: Er hat sie mir gezeigt. An der Hand gibt es ein neues Tattoo, auch am Arm und am Rücken. Ein paar neue sind dazugekommen.

Frage: Macht ihm der fünfte Titel Lust auf mehr? Will er jetzt Schumachers Rekord knacken?

Antwort: Es gibt Sportler, die schaffen es nach zahlreichen Erfolgen nicht mehr, sich zu motivieren, weil sie gutes Geld verdient haben und anerkannt sind. Das ist bei Lewis anders. Er schafft es, sich immer wieder neu zu erfinden, sich neu zu motivieren. Er kann der größte Rennfahrer aller Zeiten werden, das weiß er. Doch bevor man über den Schumacher-Rekord spricht, gibt es ja noch den sechsten Titel, der dazwischensteht.

Frage: Michael Schumacher hat als Arbeitstier bei Ferrari alle mitgerissen. Motiviert Hamilton Ihre Mitarbeiter kraft seiner Aura?

Antwort: Lewis ist ein großer Arbeiter, das wird oft unterschätzt und ist nicht ganz so sichtbar. Wir tun ihm unrecht, wenn wir sagen, dass ihm alles so leichtfällt. Aber Lewis ist ein besonderer Mensch, und er polarisiert. Gerade dieses Polarisieren erzeugt Emotionen, auch bei ihm. Es strahlt für uns als Marke etwas sehr Positives aus, und wir sind froh, dass wir so einen Superstar in unserem Team ­haben. Doch hat er die Fähigkeit, sich selbst nicht als Superstar wahrzunehmen oder auch so zu benehmen, sondern sich in das Team einzugliedern. Das ist eine große Stärke von ihm. Eine, die übrigens auch Michael Schumacher hatte.

Antwort:

Frage: Eine kleine Schwäche dürfte aber wohl sein, dass Hamilton beim Kofferpacken deutlich mehr Zeit benötigt als Toto Wolff.

Antwort: Ich weiß es nicht so genau, könnte es mir aber durchaus vorstellen.