Fast 10 000 Menschen gelten in Deutschland als vermisst

Wo ist Arian? Suche nach dem Sechsjährigen wird fortgesetzt

Der sechsjährige Arian aus Bremervörde bleibt verschwunden. Aber die Ermittler möchten die Hoffnung nicht aufgeben und starten noch einmal eine Suche. Dieser Ein Vermisstenfall aus Niedersachsen sorgt bundesweit für große Anteilnahme. Doch er ist kein Einzelfall.

Ein gebasteltes Kleeblatt mit der Aufschrift „Arian komm wieder. Wir geben die Hoffnung nicht auf“ hängt an einem Zaun. Die Suche nach dem seit dem 22. April vermissten sechsjährigen Jungen Arian aus Bremervörde soll weitergehen.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Ein gebasteltes Kleeblatt mit der Aufschrift „Arian komm wieder. Wir geben die Hoffnung nicht auf“ hängt an einem Zaun. Die Suche nach dem seit dem 22. April vermissten sechsjährigen Jungen Arian aus Bremervörde soll weitergehen.

Von Markus Brauer/dpa

Seit mehr als drei Wochen fehlt jede Spur von dem sechsjährigen Arian. Nnun suchen die Ermittler erneut nach dem Jungen aus Bremervörde im Norden Niedersachsens. Die Polizei werde an diesem Mittwoch (15. Mai) Anwohner befragen und nach Aufnahmen von privaten Überwachungskameras fragen, teilte ein Sprecher der Polizei mit. "Es wird ein langer Tag werden." Am (morgigen) Donnerstag (16. Mai) soll die Suche dann am nahe gelegenen Fluss Oste fortgesetzt werden.

Polizei sucht weiter nach verschwundenem Arian

Der autistische Junge wird seit dem 22. April vermisst. Die Polizei geht davon aus, dass er sein Zuhause selbstständig verließ. Eine Woche lang hatten Hunderte Einsatzkräfte und Freiwillige Tag und Nacht an Land, aus der Luft und im Wasser nach Arian gesucht. Im Einsatz waren Suchhunde, eine Reiterstaffel, Helikopter, Drohnen, ein Tornado-Flieger, Amphibienfahrzeug, Boote und Taucher.

Ende April hatte die Polizei die flächendeckende Suche zunächst eingestellt. Eine Gruppe aus fünf Ermittlerinnen und Ermittlern sollte den Fall weiter bearbeiten und nur noch konkreten Hinweisen nachgehen. Einen solchen Hinweis gebe es nach wie vor nicht, erklärte der Polizeisprecher. Trotzdem möchten sie einen neuen Anlauf wagen.

Ermittlerteams sollen am Mittwoch gemeinsam mit der Bereitschaftspolizei von Haus zu Haus gehen und die Nachbarn befragen. Auch direkt am Fluss will die Polizei erneut suchen. Sie planen am Donnerstag, die Oste - einen Nebenfluss der Elbe - in beide Richtungen unter die Lupe zu nehmen. Die Ermittler setzen dabei Sonarboote ein, Taucher und spezielle Spürhunde sollen sie unterstützen.

Kein Einzelfall: Vermisste in Deutschland

In Deutschland gelten fast 10 000 Menschen als vermisst. Das Bundeskriminalamt (BKA) erfasste zu Monatsbeginn 9554 Frauen und Männer mit unklarem Aufenthaltsort. Das teilte eine Behördensprecherin in Wiesbaden mit.

70 Prozent der Vermissten seien Männer, männliche Jugendliche oder Jungen. Verschwunden sind den Angaben zufolge 1845 Kinder unter 13 Jahren. Unklar sei zudem gewesen, wo sich 3458 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren aufgehalten hätten.

Bis zu 300 Fahndungen täglich

„Täglich werden jeweils etwa 200 bis 300 Fahndungen neu erfasst, etwa die gleiche Anzahl wird wegen Erledigung gelöscht“, teilte die Sprecherin mit. Dem Bundeskriminalamt zufolge klärt sich etwa die Hälfte der Vermisstenfälle innerhalb der ersten Woche auf. Binnen Monatsfrist seien es 80 Prozent der Fälle. „Der Anteil der Personen, die länger als ein Jahr vermisst werden, beträgt etwa drei Prozent.“

Laut BKA schwankt bundesweit die Zahl der Vermissten. Die Polizei leite eine Vermissten-Fahndung ein, wenn eine Person ihren gewohnten Lebenskreis verlassen habe, ihr Aufenthalt unbekannt sei und eine Gefahr für Leib oder Leben angenommen werden könne. „Bei Minderjährigen, deren Aufenthalt dem Sorgeberechtigten unbekannt ist, wird grundsätzlich von einer Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit ausgegangen.“

Vermisstendatei der Polizei

Immer wieder werden Kinder von Angehörigen oder Fremden mitunter jahrelang eingesperrt und missbraucht. Nur die aufsehenerregendsten Fälle werden publik. In Deutschland werden vermisste Kinder und Jugendliche in der Vermisstenstatistik des BKA und der Kriminalämter der Länder (LKA) erfasst.

Das BKA hat in seiner Vermisstendatei („Vermisste/Unbekannte Tote“/Vermi/Utot) insgesamt 9832 vermisster Personen in Deutschland registriert (Stand 1. Januar 2024). In dieser Zahl sind sowohl Fälle vermisster Personen enthalten, die sich innerhalb weniger Tage aufklären, als auch über viele Jahre/Jahrzehnte Vermisste, deren Aufenthaltsort/Verbleib nicht festgestellt werden konnte.

Ungeklärte Fälle

Am 11. Januar 2024 waren in Deutschland laut BKA – gerechnet ab dem frühesten registrierten Vermisstendatum 1. Februar 1953 bis heute (wobei der „älteste“ registrierte Fall eines vermissten Kindes aus dem Jahr 1957 stammt) insgesamt rund 1800 ungeklärte Fälle vermisster Kinder in der Datei „Vermi/Utot“ erfasst.

Mehr als zwei Drittel dieser Kinder sind demnach unbegleitete Flüchtlinge gehören zu den sogenannten Dauerausreißern/Streunern oder wurden ihren Sorgeberechtigten entzogen.

„Dramatische Fälle, die unaufgeklärt bleiben, bewegen sich im Jahresmittel im niedrigen ein- bis zweistelligen Bereich“, heißt es seitens der Initiative Vermisste Kinder. Die allermeisten Jugendlichen tauchten binnen kürzester Zeit wieder auf. Doch in vielen Fälle tappt die Polizei im Dunkeln.

„Vermisste, unbekannte Tote, unbekannte hilflose Personen“

In der Polizeidienstvorschrift (PDV) 389 „Vermisste, unbekannte Tote, unbekannte hilflose Personen“ ist genau geregelt, wie bei Vermisstenmeldungen vorzugehen ist: Minderjährige dürfen demnach ihren Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen. Bei ihnen wird grundsätzlich von einer Gefahr für Leib und Leben ausgegangen. Wenn erforderlich, läuft eine Großfahndung an.

Reicht das Personal einer Dienststelle nicht aus, wird die Hilfe der Bereitschafts- und Bundespolizei angefordert. Hunderte Beamte durchkämmen dann die Gegend, in der ein Minderjähriger verloren gegangen ist oder vermutet wird.

„Age processing“

Mit modernsten kriminologischen Methoden wird heute nach Vermissten gefahndet. Enorm belastend für viele Familien ist das „Age processing“, ein aus den USA stammendes Fahndungsverfahren: Fotos von dauerhaft vermissten Kindern werden am Computer an das tatsächliche Alter der Verschwundenen angepasst und so ein aktualisiertes Fahndungsfoto erstellt.

Die Eltern sehen ihr vermisstes Kind auf dem Bildschirm älter werden. Sollte das verschwundene Kind nach Jahren tatsächlich noch leben, hätte sich sein Aussehen frappierend verändert.

Spuren im Nichts

In der BKA-Vermisstenstelle wird jedes Schicksal detailliert erfasst. Wenn sich die Spuren im Nichts verlieren, müssen die Ermittler davon ausgehen, dass der Minderjährige verunglückt oder einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist.

Manchmal findet man die Leiche. Dann können die Angehörigen zumindest ihr Familienmitglied beerdigen und Abschied nehmen. Einige Vermisste tauchen aber nie wieder auf, weil sie in einem Baggersee ertrunken oder in einem Steinbruch verschüttet worden sind.

Das Bundeskriminalamt schreibt: „Falls eine Vermisstensache nicht aufgeklärt wird, bleibt die Personenfahndung bis zu 30 Jahre bestehen.“ Danach bleibt nur noch die Erinnerung.

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Erstellt:
9. Mai 2024, 07:38 Uhr
Aktualisiert:
15. Mai 2024, 11:16 Uhr

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