Klappermühle oder Nostalgiewagen?
Der Go-Ahead-Start auf der Murrbahn ist relativ gut verlaufen, aber die alten Ersatzfahrzeuge lösen gespaltene Reaktionen hervor
Seit Sonntag betreibt das Unternehmen Go-Ahead den Regionalexpress auf der Strecke zwischen Stuttgart und Nürnberg. Das Unternehmen ist zufrieden mit dem Start, aber ganz reibungslos verlief er nicht: Einige Verspätungen und ein Lokschaden erschwerten die ersten Tage. Auch beschwerten sich einige Fahrgäste über die in die Jahre gekommenen Ersatzfahrzeuge.
Von Kristin Doberer
BACKNANG. Nagelneu sollten sie eigentlich sein, mit einer modernen Ausstattung und im schicken gelb-weißen Design, die Flirt-Triebwägen des britischen Unternehmens Go-Ahead, das seit Sonntag den Regionalexpress RE90 zwischen Nürnberg und Stuttgart betreibt. Stattdessen müssen sich die Pendler erst mal mit etwas älteren Modellen zufrieden geben. Das Rot der Waggons ist stellenweise ausgeblichen, an anderen Stellen von Graffiti verdeckt. Auch im Inneren der Waggons ist das Alter deutlich erkennbar: die Sitze sind abgenutzt, die Türen zwischen den Waggons lassen sich nur mit viel Muskelkraft öffnen, die Türen am Einstieg fallen dafür von selbst wieder zu, wenn man nicht dagegenhält.
Bis März sollen die Ersatzzüge
auf der Murrbahn fahren
Denn schon länger steht fest, dass die die neuen Flirt-Triebwagen noch eine Weile auf sich warten lassen. Go-Ahead plant, von März 2020 an die Flirt-XL-Neufahrzeuge von Stadler Pankow auf der Murrbahn einzusetzen. Obwohl die Züge fertig sind und auch die Zulassung vom Eisenbahnbundesamt bereits vorliegt, sei keine Zeit für einen ausreichenden Probebetrieb mehr gewesen. In den nächsten zweienhalb Monaten sollen die Triebwagen erst ausgiebig von Stadler Pankow erprobt werden. Bis dahin nutzt Go-Ahead Ersatzfahrzeuge von drei verschiedenen Subunternehmen, die diese auch betreiben. Eines der Subunternehmen ist Wedler Franz Logistik, für das Stefan Hasse arbeitet.
„Wir überbrücken für Go-Ahead, solange sie noch nicht selbst fahren können“, sagt er. Mit etwa 15 Zügen seien sie auf der Murrbahn im Einsatz, der Start am Sonntag sei bei ihnen sehr gut verlaufen: „Wir hatten keine Ausfälle und nur wenig Verspätungen“, sagt Hasse. Auch gestern hätten sie mit dem Berufsverkehr keine Probleme bekommen. „Nach Stuttgart ist immer viel los, aber bisher sind wir sehr gut zurecht gekommen.“
Doch nicht bei allen Subunternehmen lief es so problemlos. So hatte ein Zug am Sonntag etwa 35 Minuten Verspätung, da es bei einer Fahrt einen Lokschaden gab. „Der konnte zügig behoben werden“, versichert Erik Bethkenhagen, der Pressesprecher von Go-Ahead. „Die ersatzweise eingesetzten Leihfahrzeuge fuhren am Sonntag insgesamt stabil, allerdings mit fünf- bis zehnminütiger Verspätung“, erklärt er weiter. Auch gestern beschwerten sich einige Bahnfahrer auf der Murrbahn über Unpünktlichkeit, so zum Beispiel das Ehepaar Vollmer: „Moderne Fahrzeuge wären uns natürlich lieber, aber solange er pünktlich ankommt, sind die alten schon auch okay. Heute sind wir aber schon einige Minuten zu spät losgefahren.“
Probleme sind dem Unternehmen nicht fremd. Schon bei der Inbetriebnahme auf der Remsbahn im Juni ist es zu einigen Pannen gekommen, die die Pendler zur Verzweiflung gebracht haben: vollgestopfte Züge, nicht funktionierende Türen, Ausfälle, Verspätungen und Züge, die mitten auf der Strecke ohne jeden Grund stehen bleiben. Selbst jetzt funktioniert der Schienenverkehr auf der Remsbahn noch nicht reibungslos. Im Vergleich dazu verlief der Start auf der Murrbahn bisher sehr gut.
Doch den Fahrgästen ist sofort aufgefallen, dass die vorher zweistöckigen Waggons gegen ältere Modelle ausgetauscht wurden und nicht alle sind zufrieden: „Das ist schon ein ganz schönes Klappergestell“, meint ein Fahrgast.
Einige Kunden beschweren sich über die alten Fahrzeuge
Mit solchen Beschwerden hat sich Denis Jung, die letzten Tage viel herumgeschlagen. Er ist Kontrolleur und auf dieser Fahrt Verantwortlicher für den Fahrgastservice von Go-Ahead. „Die Leute fragen schon ständig nach, warum wir mit anderen Fahrzeugen fahren“, sagt er. „Einige beschweren sich auch. Aber sobald wir erklären, warum es momentan so ist, verstehen die meisten das.“
Andere Pendler haben zwar kein Problem mit den Waggons an sich, hegen aber vor allem für den Winter Bedenken: „An sich hat sich ja nicht viel geändert“, sagt Philip Jöckel zum Beispiel, der täglich von Murrhardt nach Stuttgart fährt. „Ich bin nur gespannt, wie gut beheizt die alten Wagen sind, wenn es mal richtig kalt wird.“
Doch worin manche Fahrgäste nichts weiter als eine alte Klappermühle sehen, löst in anderen richtige Begeisterung aus. Die Eisenbahnfans Noah (14) und Sascha (13) zum Beispiel bevorzugen die momentanen Fahrzeuge: „Zum einen ist es eine tolle Abwechslung. Und die Alten haben weniger Softwareprobleme und sind nicht so störanfällig“, sagt Noah. Der 14-Jährige kennt sich aus, sein Hobby ist die Zugfotografie. Er wusste bereits, dass für einige Zeit alte Züge zum Einsatz kommen und ist deshalb begeistert. „Auch die Sitze sind gemütlicher, da hat man früher einfach mehr Wert drauf gelegt,“ findet auch sein Freund Sascha. Die beiden fahren die Strecke fast täglich, sie wollen sich über der Ersatzfahrzeuge freuen, solange sie noch auf der Murrbahn im Einsatz sind. Ihr Zug kommt heute mit nur wenigen Minuten Verspätung in Stuttgart an. Beim Aussteigen staut es sich dann aber etwas an der Tür, die Fahrgäste finden den richtigen Hebel zum Türöffnen nicht und Stefan Hasse muss etwas nachhelfen.
Go-Ahead wurde 1987 im Rahmen der Privatisierung der Busnetze in Großbritannien gegründet. Ihren Hauptsitz hat das Unternehmen in London, es ist als Bus- und Bahnbetreiber im öffentlichen Nahverkehr tätig und hat weltweit 29 000 Mitarbeiter.
Die Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland GmbH hat ihren Sitz in Berlin. Sie wurde 2014 als Tochtergesellschaft gegründet und ist seitdem als regionale Betriebsgesellschaft tätig. Go-Ahead Baden-Württemberg GmbH gibt es seit 2017 mit einer Niederlassung in Stuttgart.
Am 9. Juni 2019 nahm Go-Ahead in Baden-Württemberg den Betrieb auf, unter anderem auf der Remsbahn. Neben der Murrbahn wurden am 15. Dezember 2019 noch zwei weitere Strecken in Betrieb genommen: die Filstalbahn und die Frankenbahn.
Auf dem Murrbahn-Netz 3 a, will Go-Ahead mit elf dreiteiligen Fahrzeugen 1,38 Millionen Zugkilometer jährlich leisten. Die Züge haben 210 Sitzplätze sowie 177 Steh- und 30 Fahrradabstellplätze. Insgesamt können im Jahr 5,5 Millionen Fahrgäste transportiert werden.