Premiere im Friedrichsbau Varieté Stuttgart
Elektrobeats hämmern durch den Ballsaal
In „The Ballroom“, der neuen Show im Friedrichsbau Varieté, spielen Sounds und Beats eine tragende Rolle beim stetigen Ausloten der Schwerkraft.
Von Matthias Ring
2025 kann man im Friedrichsbau am Pragsattel auf 125 Jahre Varieté in Stuttgart zurückblicken. Deswegen ist die dritte Eigenproduktionen im 30-Jahr-Jubiläum des neuen Friedrichbauvarietés bewusst keine nostalgische, wie der Geschäftsführer Timo Steinhauer in der Pause der Premiere von „Ballroom“ sagt. Und doch spielt die aktuelle Show mit der Tradition des Metiers und der Frage, wie sich dieser Ort der Freigeister wohl darstellen würde, wenn er erst im Hier und Jetzt erfunden würde. Und vor allem: wie würde er klingen? Nun, der Ballsaal wäre wohl eher ein Dancefloor.
Die vom Hausregisseur Ralph Sun zusammengestellte elektronische Musik spielt also eine tragende Rolle. Sie pulsiert nahtlos durch das Programm, mal härter, mal weicher, mal düsterer, mal heller, und sie kommt entgegen den Gesetzen des Genres und abgesehen von „Sweet Dreams“ in einer Version des französischen Produzentenduos Trinix mutig ohne Gassenhauer aus. Viele Tracks kennt nicht einmal die Musikidentifikations-App Shazam, und doch geben die Sounds und Beats den Künstlern einen vertrauten Rahmen.
Schriftzüge unterstreichen Poesie und Pathos
Zusammenhalt gibt es auch durch die Performancekünstlerin Fanny di Favola, die durch den Abend führt. Es wird viel rezitiert und dabei, ebenso untypisch für eine Varietéshow, ganz auf Scherzhaftes oder gar Zotiges verzichtet. Stattdessen wird, gelegentlich unterstrichen durch projizierte Schriftzüge in Deutsch und Englisch, auf Poesie und Pathos gesetzt: „Einer wagt den Sprung ins Ungewisse, damit wir alle fliegen können.“ Denn ja, natürlich wird gerade in diesem Theater der Traum vom Fliegen wahr.
Cassandra May Raineri etwa lotet das Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit aus, indem sie sich am roten Tuch in die Höhe schraubt, um sich gekonnt fallen zu lassen. Romy Haupt und Aleksandar Savija winden sich nacheinander an der „Flying Pole“, machen also Pole Dance an einer Stange, die nicht im Boden verankert ist. Lisa Chudalla bietet abenteuerliche Akrobatik am Seil, nur dass sie dabei eine Maske mit langem Schlauch trägt, bis sie sich davon befreit. Rhea und Totti Baer geben sich gegenseitig Halt. Ob im Reifen in der Luft oder Hand-auf-Hand am Boden – in ihrer Paarbeziehung sind sie sehr aufeinander angewiesen.
Breakdance- und Laser-Künstler treiben Show auf die Spitze
Aus dem Rahmen der klassischen Artistik fallen zwei Darbietungen, in denen die Lichteffekte der Show auf die Spitze getrieben werden. Sören Geisler, der noch auf die Artistenschule in Berlin geht, ist schon mit seinem puren Breakdance mitreißend. Wenn er dazu aber noch im Halbdunkel leuchtende Diabolos durch die Luft wirbelt, ist das atemberaubend. Eher meditativ ist die Performance des Laser-Künstlers Nikolay Matev. Mal zieht er die Fäden, mal sitzt er im Käfig, doch die Macht scheint immer mit ihm zu sein, denn aus der Hand entspringt auch ein sehr langes Lichtschwert wie in „Star Wars“.
Es sind jedoch nicht nur solche einzelnen Leistungen bemerkenswert, denn zwischendurch entstehen Gruppenbilder mit den vier Vegas Showgirls plus einem Boy als Kerntruppe, die Einlagen zwischen R-&-B-Act, Fernsehballett und in Latex auch mal ein bisschen Burlesque bieten. Wenn sich das ganze Ensemble dazu formiert, dann ist der Ballroom manchmal ein kleines Stück Modern Dance Theatre. Den bleibendsten Eindruck hinterlässt eine Sequenz, in der man glauben mag, dass dieses Kollektiv nicht aus 14, sondern aus mehr 100 Individualisten besteht. Minutenlang wird von rechts nach links über die Bühne flaniert, was wohl nur möglich ist, wenn es hinter den Kulissen in Windeseile wieder zurück auf die andere Seite geht. Die Botschaft: Wir sind viel mehr als viele und dennoch verbunden „im gemeinsamen Takt, dem Herzschlag“.
The Ballroom, Vorstellungen im Friedrichsbau Varieté bis zum 2. März 2025