Neu im Kino: „Babygirl“
Erotikthriller mit Nicole Kidman
Machtspiele im Stundenhotel: In Halina Reijns Erotikthriller „Babygirl“ glänzt Nicole Kidman als überkontrollierte Firmenchefin, die in einer ungleichen Affäre Sicherheit gegen Freiheit und Glück tauscht.
Von Kathrin Horster
Romy ist jenseits der Fünfzig und CEO ihres eigenen Robotikunternehmens. Regelmäßig besucht sie eine Schönheitspraxis, um sich ihre Falten mit Botox unterspritzen zu lassen. Ebenso regelmäßig geht Romy (Nicole Kidman) mit ihrem Mann Jacob (Antonio Banderas) ins Bett und täuscht ihm einen Orgasmus vor. Danach schleicht sie sich mit ihrem Laptop ins Arbeitszimmer, legt sich bäuchlings auf den Teppich, startet einen Online-Porno und masturbiert, bis sie kommt.
Spannen ohne Vorwarnung
Es ist kein Vergnügen, dieser Frau in den ersten Minuten von Halina Reijns Erotikthriller „Babygirl“ beim Stöhnen und Rubbeln zuzusehen, selbst mit dem Wissen nicht, dass hier renommierte Schauspiel-Profis nur so tun, als ob. Zum Einen, weil Reijn ihr Publikum ohne Vorwarnung wie Spanner in die Szene schleust. Zum Anderen hängt das Unbehagen vielleicht mit dem inzwischen heikleren, öffentlichen Umgang mit Erotik zusammen; mit der Sorge, dass schon allein das Zuschauen jemanden verletzen könnte, der nur widerwillig beim Dreh solcher Szenen mitgewirkt hat. Immerhin regeln nun häufiger so genannte Intim-Coaches die Choreographien körperlicher Begegnungen zwischen den Akteuren am Set. Früher zog die Regiepraxis meist männlicher Filmemacher herbe Kritik nach sich, wie im Fall Abdellatif Kechiches, der während der Arbeiten am Liebesfilm „Blau ist eine warme Farbe“ (2013) explizite Handlungen von den Schauspielerinnen Adèle Exarchopoulos und Léa Seydoux einforderte, die darauf hin nie wieder mit Kechiche arbeiten wollten.
Die Niederländerin Halina Reijn kennt keine Skrupel vor auf der Leinwand explizit dargestellter Intimität und nennt gleich zwei Werke männlicher Filmemacher als Inspiration für „Babygirl“: Wer Paul Verhoevens schwülen Erotikthriller „Basic Instinct“ (1992) und Adrian Lynes erotische Romanze „Ein unmoralisches Angebot“ (1993) über Ehe und bezahlte Untreue kennt, wundert sich vielleicht, dass sich die 1975 geborene Regisseurin ausgerechnet auf die – allerdings zu Unrecht – inzwischen als lüsterne Herrenfantasien belächelten Filme beruft.
Gemein hat sie mit beiden das Thema Macht und Unterwerfung, verarbeitet in einem sexuell aufgeladenen Rollenspiel, das in seinen Grundzügen an die Sado-Maso-Schmonzette „Fifty Shades of Grey“ erinnern könnte, wäre da nicht Reijns Interesse an größeren Fragen.
Anders als in den Büchern von E.L. James verliebt sich bei Reijn keine junge Schönheit in einen finanziell und sexuell potenteren Mann. Reijns Heldin Romy ist eine souveräne, ökonomisch mächtige Firmenpatronin, die ihren Künstler-Gatten, zwei Töchter und einen eleganten Haushalt finanziert. Als Romy auf der Straße einen jungen Mann beobachtet, der mit Keksen und klarer Körpersprache einen aggressiven Hund beschwichtigt, ist sie beeindruckt. Kurz darauf sitzt der Hundeflüsterer Samuel (Harris Dickinson) als Praktikant vor ihr, der seine Chefin unverfroren aus der Reserve lockt. Aus der Begegnung entwickelt Halina Reijn eine deftige Affäre, in der Samuel sich zum Herrn der ihm eigentlich überlegenen Romy ermächtigt. Manche Szenen schrammen haarscharf am Kitsch vorbei. Etwa, wenn sich Samuel und Romy zum ersten Mal in einem schäbigen Stundenhotel treffen; Romy im Designerkostüm und Samuel in verlotterten Jogginghosen. Samuel bringt Romy dazu, sich in ihren Strumpfhosen und High Heels vor ihn zu knien und sich wie ein Hund zu gebärden. Dass Samuel Romy damit einen heimlichen Wunsch erfüllt, erscheint vor allem durch die herausragende Schauspielkunst von Nicole Kidman und Harris Dickinson plausibel.
Eine von Sehnsucht ausgezehrte Frau
Die teils sehr deutlich ausformulierte Sexualität nimmt jedoch nur einen gewissen Teil der Erzählung ein, genau das rettet den Film davor, in die seichten Gefilde einer SM-Fantasie abzudriften. Mit kühlem, nie wirklich erregten Blick beobachtet Halina Reijn ihre Protagonisten, wobei sie unnachgiebig Nicole Kidmans Alter, deren in den Nahaufnahmen fast schmerzhaft überschlanke Figur und operierten Gesichtszüge mit der im Alltag um extreme Kontrolle bemühten und gerade deshalb so verwundbaren Figur der Romy verschmilzt. Wie Kidman diese von Sehnsucht nach Jugend, Unbeschwertheit und Lust ausgezehrte Frau spielt, die ihr Leben einem so charmanten wie gefährlich arroganten Schnösel in die Hände legt, ist grandios. Damit stellt sie sich in eine Reihe mit ihrer Kollegin Demi Moore, die 2024 in der Aufsehen erregenden, feministischen Horrorfarce „The Substance“ ähnlich furchtlos die eigene Körperlichkeit und vergängliche Erotik thematisierte.
In „Babygirl“ geht es letztlich um die Frage, wie aus dem Gleichgewicht zwischen Macht und Kontrollabtritt, Sicherheitsbedürfnis und Risikolust Glück entstehen kann. Auch jenseits einer verstöhnten Rubbelpartie auf dem Fußboden.
Babygirl. USA 2024. Regie: Halina Reijn. Mit Nicole Kidman, Harris Dickinson, Antonio Banderas. 114 Minuten. Ab 16 Jahren. Start: 30. 1.
Erotikthriller: Die Vorläufer
„Basic Instinct“ Ende der 1980er bis in die 1990er verhandelte eine Reihe populärer, erotisch aufgeladener Thriller wie „Basic Instinct“ (1992), „Ein unmoralisches Angebot“ (1993), „Eine verhängnisvolle Affäre“ (1987) oder „Enthüllung“ (1994) das sich verändernde Machtgefüge zwischen Männern und Frauen – sowohl im Bett als auch im Job.
Femme Fatale Auf den ersten Blick sind diese Werke von der rein maskulinen Perspektive ihrer Macher geprägt, die Frauen bloß zur Femme Fatale, zum Objekt schlüpfrig-sexueller Begierde, zur Zerstörerin intakter Beziehungen und Arbeitsverhältnisse degradiert. Genauer betrachtet, manifestiert sich in diesen Filmen die damals virulente Verunsicherung der Männer angesichts des erstarkten Selbstbewusstseins von Frauen, die zunehmend Teilhabe in Chefetagen und mehr Freiheiten in der eigenen Sexualität forderten. kah