Vergewaltigungsdrama „Bis zur Wahrheit“ mit Maria Furtwängler
Hat sie den Sex nicht doch selbst gewollt?
Noch ein Vergewaltigungsfilm? Ja – und es lohnt sich, „Bis zur Wahrheit“ anzuschauen. Die Botschaft des ausgezeichneten ARD-Dramas ist bitter. Maria Furtwängler spielt so gut wie nie.
Von Ulla Hanselmann
Martina ist eine angesehene Neurochirurgin, verheiratet, Mutter einer heranwachsenden Tochter. Selbstbewusst, klug. Wasser ist ihr Element. Familienheim wie auch Ferienhaus verfügen über einen Pool, in dem sie kraulend durchs Wasser pflügt. Martina, gespielt von Maria Furtwängler, ist eine Frau, die eine gute Beziehung zu ihrem Körper, zu ihrer Sexualität hat und auch mal mit dem Feuer spielt. Als sie mit Familie und ihrer Freundin Jutta samt deren Mann und Sohn Urlaub in ihrem Feriendomizil macht, Last und Stress des Jobs von ihr abfallen, sieht man sie beim Masturbieren im Bett. Später wird sie in diesem Bett wie ein Häuflein Elend liegen, mit geschundenem Körper, verletzter Seele.
Fatale Täter-Opfer-Umkehr
Das ARD-Drama „Bis zur Wahrheit“ ist von der Zielsetzung ähnlich wie das Gerichtsdrama „Sie sagt. Er sagt“ nach Ferdinand von Schirach oder auch „Nichts, was uns passiert“ von Julia C. Kaiser angelegt: Wie auch bei diesen unlängst in ZDF und ARD ausgestrahlten Fernsehfilmen geht es um eine Vergewaltigung im nahen sozialen Umfeld und um den schwierigen Umgang mit der Wahrheit. Saralisa Volm (Regie) und Lena Fakler (Buch) offenbaren die Vorurteile und Zweifel, die einer vergewaltigten Frau entgegenschlagen, buchstabieren in ihrem eindringlichen Film aus, was die fatale Täter-Opfer-Umkehr für das Opfer bedeutet, und legen die Mechanismen einer patriarchalen Gesellschaft frei, in der der Frau nach wie vor allzu häufig die (Mit-)Schuld an einer Vergewaltigung gegeben wird.
Lena Fakler baut ihren Plot, ihre Figuren so, dass es das Publikum möglichst einfach habe, „den Narrativen“ eben dieser „Rape Culture“ zu verfallen“, wie sie selbst formuliert: Juttas (Margarita Broich) Sohn Mischa, ein junger Beau (Damian Hardung), der nach einem USA-Aufenthalt wegen seiner fehlenden Zukunftspläne von seinem Vater Torsten (Uwe Preuss) heftig angegangen wird, findet in Martina ein Gegenüber, das ihm mit Verständnis begegnet, jemand, der nicht nur das Kind in ihm sieht. Aber nicht nur das: Bei einer Strandparty trinkt sie mit ihm, kifft mit ihm, flirtet mit ihm – und sie erwidert sogar seine Küsse, als sie sich schließlich gemeinsam im Pool wieder finden – wo dann auch die Tat geschieht.
Hat sie den Sex also doch selbst gewollt? Kann sie, die doch dem Jungspund in vielerlei Hinsicht hoch überlegen ist, kann so eine Frau wirklich Opfer sein? Und das mehrfach wiederholte Nein, das sie ihm eher hauchend statt mit Bestimmtheit entgegenhält – das ist doch viel zu wenig, um ihr Nicht-Einverständnis zu signalisieren, nicht wahr?
Die Vergewaltigung in „Bis zur Wahrheit“ ist entgegen dem Klischee kein lauter Akt voller Brutalität, sondern spielt sich in beängstigender Stille ab, ohne auch nur den leisesten Voyeurismus zu bedienen. Roland Stuprich geht mit seiner Kamera nah an die Körper heran, lässt die waltenden Kräfte, den Widerstand, die Schockstarre der Frau, die Macht des Mannes spürbar werden, vermittelt aber auch im Wirrwarr der ineinander verhakten Glieder im aufgewühlten Wasser die Uneindeutigkeit, Verschwommenheit der Situation.
Umso präziser schildern Regisseurin und Autorin die dramatischen Auswirkungen der Tat auf Martina, ihre Ehe, ihren Beruf, ihren Alltag. Sie verliert ihre Souveränität in der Klinik, igelt sich ein, trinkt zu viel, lehnt die sexuellen Annäherungsversuche ihres Mannes ab. Aus einer selbstbestimmten Frau wird eine zutiefst verunsicherte Person, der die Kontrolle entgleitet. Ihre Traumatisierung sitzt so tief, dass sie zum Schwimmen nicht mehr in der Lage ist.
Sie will aber weiter funktionieren, geht nicht zur Polizei, denkt nicht daran, sich Hilfe zu holen, sich ihrem Mann anzuvertrauen, zu groß ist die Scham. Doch Andi (Pasquale Aleardi) registriert die Veränderungen seiner Frau, verdächtigt sie, fremdgegangen zu sein – so wie sie es vor ein paar Jahren wohl schon einmal gemacht hat. Als sie ihm dann doch von der Vergewaltigung erzählt, konfrontiert er sogleich Mischas Vater mit der Ungeheuerlichkeit. Die Situation eskaliert – und Martina erlebt ein zweites Trauma, als Jutta und Torsten ihren Sohn in Schutz nehmen und ihrer Version nicht glauben wollen.
Die Anwältin sagt: „Die Sache ist aussichtslos“
Sehr glaubhaft die Szene, die offenbart, wie sehr Jutta die Wahrheit fürchtet, und wie sie sich diese gemeinsam mit Mischa so zurechtbiegt, dass sie für beide erträglich wird. Ebenso beklemmend, wie Martinas Anwältin gnadenlos und damit realistisch simuliert, womit im Falle einer Anzeige zu rechnen ist: Vorverurteilung, Unglauben. Das Fazit der Juristin: „Die Sache ist aussichtslos.“ Dass Vergewaltigungsopfer in Justiz und Polizei allzu oft keine oder zu wenig Unterstützung finden, dass Rollenklischees sich hartnäckig in allen Gesellschaftsschichten, auch den gebildeten, wohlhabenden, finden – das ist die bittere Botschaft dieses Films.
Wer Maria Furtwänglers Schauspiel mit dem als „Tatort“-Kommissarin Charlotte Lindholm vergleicht – einer Rolle, in der sie vermutlich ihr größtes Publikum hat, der erlebt eine Offenbarung: Als Hannoveraner Ermittlerin variiert sie zwei, maximal drei Gesichtsausdrücke – ich bin eine schöne Frau, ich bin eine engagierte Polizistin, ich bin eine liebende Mutter. In „Bis zur Wahrheit“ vermittelt sie hingegen überaus glaubhaft eine Vielzahl an zum Teil extremen, widersprüchlichen Gefühlszuständen und geht dabei an Grenzen – eine schauspielerische Glanzleistung.
Gefesselt schaut man ihr zu, wie sie sich ihre Deutungshoheit doch noch zurückholt, wie weit sie tatsächlich geht, um „bis zur Wahrheit“ zu kommen. Am Ende entlassen Volm und Fakler den Zuschauer mit einem versöhnlichen Bild. Doch ein unangenehmer Nachgeschmack angesichts des Versagens von Gesellschaft und Rechtssystem bleibt.
Bis zur Wahrheit: Mittwoch, 20. November, 20.15 Uhr, ARD