Manfred Boschatzke über Allianz MTV Stuttgart

Marketing-Experte kritisiert den „Jahrmarkt der Eitelkeiten“

Der frühere Allianz-Manager äußert sein Unverständnis über die Trennung von Sportdirektorin Kim Renkema, bringt eine Kooperation des Volleyball-Bundesligisten mit dem VfB ins Spiel und erklärt, warum Stuttgart keine Sportstadt mehr ist.

Manfred Boschatzke schmerzt, was bei Allianz MTV Stuttgart passiert ist: „Eine fast schon irre Entwicklung.“

© Baumann, Wolfgang List

Manfred Boschatzke schmerzt, was bei Allianz MTV Stuttgart passiert ist: „Eine fast schon irre Entwicklung.“

Von Jochen Klingovsky

Es gibt ein paar umtriebige Persönlichkeiten, ohne deren Engagement sich das Frauenvolleyball-Projekt in Stuttgart sicherlich nicht zur Nummer eins in Deutschland hätte entwickeln können. Manfred Boschatzke gehört zu diesem Kreis. Der Marketing-Experte und frühere Allianz-Manager sorgte dafür, dass der Konzern 2007 als Hauptsponsor und Namensgeber einstieg. Trotzdem – oder gerade deshalb – spart der Netzwerker, der auch im Vorstand des VfB-Freundeskreises sitzt, nicht mit Kritik an den aktuellen Geschehnissen bei Allianz MTV Stuttgart.

Herr Boschatzke, früher waren Sie Stammgast bei den Spielen von Allianz MTV Stuttgart. Warum blieb Ihr Platz in der Scharrena zuletzt stets leer?

Ich bin seit 2007 ein kleiner Bestandteil der Erfolgsgeschichte dieses Vereins. Und ich bin ein Fan dieser Sportart: Frauen-Volleyball gehört zu den attraktivsten Teamsportarten, die es gibt. Umso schwerer fällt es mir, mit anzusehen, was zuletzt bei Allianz MTV Stuttgart passiert ist. Deshalb nehme ich mich derzeit zurück.

Wie beurteilen Sie die jüngste Entwicklung?

Für mich hat dieser Verein in fast zwei Jahrzehnten etwas Einzigartiges geschafft. Sportlerinnen, Verantwortliche, Fans und Sponsoren wurden zu einer großen Volleyball-Familie und haben diese Erfolgsgeschichte gemeinsam geschrieben. Diese Familie ist nun zumindest in Teilen zerstritten und auseinandergefallen, das schmerzt mich sehr. Das Ziel muss jetzt sein, unbedingt zu erhalten, was miteinander erreicht wurde, und nicht wie auf einem Jahrmarkt der Eitelkeiten mit dem Finger auf andere zeigen.

Wie sehen Sie die Trennung von Sportdirektorin Kim Renkema?

Ich weiß zu wenig über die Gründe, um dies beurteilen zu können.

Aber?

Wenn es stimmt, dass die Verantwortlichen über ein Jahr lang nicht mit Kim Renkema gesprochen haben, wie in Ihren Berichten zu lesen war, und dann von ihrer Entscheidung überrascht wurden, wäre das aus meiner Sicht unprofessionell. Zudem ist eines für mich unerklärlich: Wie kann man zuerst gemeinsam das Triple gewinnen, zusammen feiern – und sich danach überwerfen? Das ist für mich nicht nur enttäuschend, sondern angesichts der Erfolge eine fast schon irre Entwicklung.

Wie sehr wird Kim Renkema dem Verein fehlen?

Sehr. Die Trennung von ihr war ein Fehler. Sie hat sehr großen Anteil an den vielen Erfolgen – und sie verkörpert alles, was diesen Verein sportlich groß gemacht hat. Sie war nicht nur die Markenbotschafterin und das Gesicht von Allianz MTV Stuttgart, sondern auch ein Glücksfall. Kim Renkema wird nicht zu ersetzen sein, und trotzdem muss und wird es weitergehen.

Wie?

Das Projekt, das auch der Stadt und der Region Stuttgart enorm viel gegeben hat, steht über allem. Kim Renkema war, auch in der Interaktion mit den Partnern und Sponsoren, eine tragende Säule dieses Projekts – das so wertvoll ist, dass alles dafür getan werden muss, um es in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Es geht nun darum, ein neues Kapitel in der Erfolgsgeschichte zu schreiben.

Noch einmal die Frage: wie?

Es muss sicherlich eine neue Struktur aufgebaut werden. Ein solcher Umbruch ist nicht einfach, er bietet aber auch Chancen. Der VfB ist dafür das beste Beispiel.

Inwiefern?

Es war doch lange Zeit fast schmerzensgeldpflichtig, ins Stadion zu gehen, die Spiele des VfB anzuschauen und die öffentlichen Streiterein der Verantwortlichen miterleben zu müssen.

Und jetzt?

Ist es ein Glücksfall, dass Führungskräfte gefunden wurden, die nicht nur perfekte Botschafter für diesen Verein sind, sondern die auch im Team arbeiten und einen super professionellen Job machen – und das vom sportlichen Kerngeschäft, dem Fußball, bis in alle anderen Bereiche dieses Mittelstandsunternehmens. Sie haben zusammen und unterstützt durch das neue Präsidium wieder Ruhe in den Club gebracht, ein echtes und erfolgreiches Vorzeigemodell geformt. Wenn man sich diese Entwicklung anschaut, hat Allianz MTV Stuttgart sogar einen großen Vorteil.

Welchen?

Der VfB Stuttgart hat über Jahre hinweg viel falsch gemacht, ehe die Wende gelang. Die Volleyballerinnen sind noch die Nummer eins in Deutschland – das ist eine viel bessere Ausgangsposition. Veränderung muss nicht das Ende einer Entwicklung sein.

Auf was kommt es bei Allianz MTV Stuttgart nun besonders an?

Es kann mal was falsch laufen, aber man muss trotzdem mit- und nicht übereinander reden, nahbar sein, gemeinsam agieren – von den Fans bis zu den Verantwortlichen.

Wer muss dies in die Hand nehmen?

Viel wird von Hauptgesellschafter Rainer Scharr abhängen. Er hat in der Vergangenheit nicht nur große finanzielle Mittel, sondern auch enorme Leidenschaft und wirtschaftliche Expertise eingebracht. Er ist die starke Person bei Allianz MTV Stuttgart. Die Menschen im und rund um den Verein wieder zu verbinden, wird eine seiner Hauptaufgaben sein.

Die Volleyballerinnen spielen im Bauch der MHP-Arena, schon früher gab es immer mal wieder den Traum von einer Kooperation oder gar Fusion mit dem VfB. Sie sind in beiden Vereinen bestens vernetzt – wäre es nicht eine schöne Aufgabe für Sie, eine Zusammenarbeit zu initiieren?

Ich weiß, dass es diese Idee, die ich gut finde, immer mal wieder gab. Ob sie in die aktuelle Zeit passen würde, weiß ich nicht. Und ich weiß auch nicht, ob ich der Richtige wäre, um diese Idee voranzutreiben.

Wie eine grundsätzliche Absage hört sich das nicht an.

Natürlich könnte eine Perspektive mit dem VfB für Allianz MTV Stuttgart intern ein großartiges verbindendes Element, auch für den Sport im Neckarpark, sein. Zumal ich ohnehin davon überzeugt bin, dass Vereine viel mehr zusammenarbeiten müssten. Um etwas zu bewegen, wäre es enorm hilfreich, wenn Expertisen und Kompetenzen gebündelt werden würden – was übrigens nicht nur für den Sport gilt. Da gehören auch die Politik, die Wirtschaft und die Verwaltung dazu.

Das klingt danach, als hätten Sie in der Sportstadt Stuttgart schon die eine oder andere negative Erfahrung gemacht.

Stuttgart ist leider schon seit vielen Jahren keine Sportstadt mehr. Neben den menschlichen Eitelkeiten, die im Sport in Vereinen und Verbänden anzutreffen sind und nicht selten nachhaltige Erfolge verhindern, gibt es auch politisch motivierte Eitelkeiten. Jüngstes Beispiel ist die Entscheidung, sich nicht für die Frauenfußball-EM 2029 zu bewerben und damit eine große Chance auszulassen, Stuttgart im Wettbewerb mit anderen Städten und Regionen in Deutschland positiv darzustellen. Politisch ist das eine völlig bekloppte Botschaft.

Gibt es weitere Beispiele?

Wir haben zwei Jahre investiert und versucht, die Formel E nach Stuttgart zu bringen. 2020 haben wir dem damaligen OB und den Verantwortlichen der Stadt ein komplettes Konzept vorgelegt, mit einer Strecke durch die MHP-Arena, mit Weltfirmen wie Mercedes, Porsche oder der Allianz als Partner. Es wäre eine großartige, budgetneutrale Familienveranstaltung unter dem Motto ‚Mobilität der Zukunft’ gewesen – doch der Gemeinderat hat mit einer völlig abstrusen Erklärung abgelehnt. Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten bleiben selbst beste Ideen auf der Strecke. Das damalige Formel-E-Konzept für Stuttgart und die Automobil-Region war richtungsweisend.

Inwiefern?

Ich bin überzeugt davon, dass Sponsoring neu gedacht werden muss. Es funktioniert nicht mehr, von Firmen nur Geld zu wollen und im Gegenzug einen Rechtekatalog mit Werbemaßnahmen zu offerieren. Es muss Interaktionen geben, man muss Mehrwerte schaffen, es darf nicht mehr in Silos gedacht und agiert werden. Stattdessen gilt es, Plattformen zu entwickeln und zu aktivieren. Das gemeinsame Engagement verschiedener Unternehmen, auch unter Einbeziehung von Sport, Kunst und Kultur, wie es zum Beispiel der VfB Stuttgart und die Jazz Open machen, könnte ein Weg sein, die Metropolregion Stuttgart wieder wach zu küssen und ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Die Menschen müssen sich vernetzen, miteinander ins Gespräch kommen und gemeinsame Ideen entwickeln können.

In etwas kleinerem Rahmen funktioniert das auch beim Frauen-Volleyball. Wann werden Sie wieder Teil des Scharrena-Netzwerkes sein?

Irgendwann werde ich die zwei Dauerkarten, die ich gekauft habe, sicher wieder nutzen – ich bin ja Schwabe und überzeugter, bekennender Stuttgarter. Aber wenn ich wieder zu Spielen gehe, dann will ich das mit einem guten Gefühl tun. Dafür braucht es noch ein bisschen Zeit.

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Erstellt:
24. Februar 2025, 15:16 Uhr

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