Neu im Kino

Ohnmacht führt zu Ohnmacht

Dem griechischen Regisseur Alexandros Avranas ist mit „Quiet Life“ ein verstörendes, aber auch berührendes Flüchtlingsdrama gelungen.

Filmfamilie im Unglück: In  Russland verfolge, in  Schweden nicht gelitten.

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Filmfamilie im Unglück: In Russland verfolge, in Schweden nicht gelitten.

Von Martin Schwickert

Sergei (Grigory Dobrygin) ist mit seiner Frau Natalia (Chulpan Khamatova) und den beiden Töchtern 2018 aus Russland nach Schweden geflüchtet, um dort politisches Asyl zu beantragen. In seinem Heimatland wurde der Lehrer und Regimegegner von der Polizei verfolgt und lebensbedrohlich verletzt. Nun hofft die Familie in Schweden ein neues Leben anfangen zu können und ist schon bestens integriert.

Alle haben bereits die Landessprache erlernt. Tochter Katja (Miroslava Pashutina) singt im Chor, die ältere Alina (Naomi Lamp) ist eine begabte Turmspringerin.

In monotonem Sprachduktus trägt die Angestellte den Beschluss der Einwanderungsbehörde vor, der telefonisch über Lautsprecher ins Russische übersetzt wird. Je länger ihre Ausführungen dauern, desto tiefer sinken Eltern und Kinder in ihre Stühle. Der Asylantrag wird abgelehnt. Die Behörden sehen mangels Zeugenaussagen die polizeilichen Übergriffe auf Sergei nicht als bewiesen an. Die achtjährige Katja hat den Vorfall aus dem Auto heraus beobachtet, aber die Eltern wollten nicht, dass das Mädchen als Zeugin das erlittene Trauma noch einmal durchlebt. Ihre Aussage ist jedoch die einzige Chance, die Abschiebung noch zu verhindern. Aber das Mädchen sinkt auf dem Schulhof in sich zusammen und fällt ins Koma.

„Childs Resignation Syndrom“ – so wird das Syndrom genannt, von dem allein in Skandinavien jährlich mehr als 100 Kinder von Geflüchteten betroffen sind, die angesichts traumatische Erfahrungen und drohender Abschiebung in den Zustand vollkommener Apathie verfallen.

Seit mehr als 20 Jahren wird dieser psychische „Shut Down“ beobachtet, den der griechische Filmregisseur Alexandros Avranas nun zum Ausgangspunkt für sein berührendes Familiendrama „Quiet Life“ nimmt. Dabei siedelt Avranas seinen Film an der Grenze zum Surrealen an. Nach ihrem Zusammenbruch kommt Katja in eine Spezialklinik, wo zwei Dutzend ohnmächtige Kinder in einem Saal Bett an Bett aufgereiht sind. Die Eltern werden auf eine Schulung für den Umgang mit dem komatösen Kind verpflichtet. Hierzu gehört auch ein absurdes Coaching, bei dem die Eltern ein Dauerlächeln erlernen sollen, um dem Kind das Gefühl von Sicherheit zu geben.

Sergei und Natalia tun alles, was von ihnen verlangt wird, um ihr Kind sehen zu können. Aber als die ältere Tochter nach einer weiteren Anhörung ebenfalls ins Koma fällt, beschließen sie mit den tief schlafenden Kindern unterzutauchen.

Mit starken Stilisierung und Überzeichnungen zeigt „Quiet Life“ ein steriles, kafkaeskes Bild des schwedischen Einwanderungssystems, das aus der Sicht der Geflüchteten in all seiner unempathischen Gewalt dargestellt wird. Dabei spiegelt die Apathie, in die das Kind verfällt, auch die Apathie eines Systems, das mit Gefühllosigkeit über das Schicksal der Asylbewerber bestimmt. Dem gegenüber setzt Avranas die Bemühungen der Eltern außerhalb des Systems für ihre beiden Töchter einen geschützten Raum aus Menschlichkeit und Liebe zu erschaffen. Ein Film, der mit einem strengen ästhetischen Konzept sein Publikum gleichermaßen verstört und tief berührt.

„Quiet Life“ F/D/S u.a. 2024. 99 Min. R: Alexandros Avranas D: Chulpan Khamatova, Grigory Dobrygin, Naomi Lamo, FSK 12

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Erstellt:
23. April 2025, 15:28 Uhr

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