Durchsichtige Kleidung

Was will das Naked Dress uns sagen?

Das Naked Dress, ein Outfit, das die Trägerin fast nackt wirken lässt, wie zuletzt die Kanye-West-Freundin Bianca Censori, ist oft Teil eines gut kalkulierten Auftritts von Prominenten. Seine Botschaft ist allerdings unterschiedlich.

Ye alias Kanye West steht wie ein Leibwächter neben der auffällig unbekleidet wirkenden Bianca Censori bei den Grammys.

© dpa/Jordan Strauss

Ye alias Kanye West steht wie ein Leibwächter neben der auffällig unbekleidet wirkenden Bianca Censori bei den Grammys.

Von Eva-Maria Manz

Auftritte auf dem roten Teppich sind kleine, wohlüberlegte Performances, und so muss auch verstanden werden, was die Designerin Bianca Censori und ihr Freund, der Rapper Ye, besser bekannt als Kanye West, am Wochenende bei der Grammy-Verleihung in Los Angeles aufgeführt haben. Unter den Zurufen der Fotografen liefen sie lässig herbei, West in schwarzer Kleidung und dunkler Sonnenbrille wie ein Leibwächter, Censori im Pelzmantel. Dann blieben sie stehen, und Censori drehte den Kameras den Rücken zu – plötzlich ließ sie ihren Mantel über die Arme zu Boden gleiten. Und allein schon das ruft natürlich Bilder hervor, die man sonst nur aus dem Film kennt: Prostituierte, die im Hotelzimmer ihren Mantel fallen lassen oder Exhibitionisten im Park. Eine plötzliche, eine erschreckende Nacktheit. Denn darunter sah man auch bei Bianca Censori auf den ersten Blick nichts als nackte Haut. Erst beim genauen Hinsehen war da doch noch ein transparentes Minikleid, unter dem scheinbar der Po, und als sich Censori dann umdrehte, auch die Genitalien und Brüste sichtbar wurden. Minimalistische Kleidung wurde hier, nun ja, auf die Spitze getrieben.

Das nackte Kleid erinnert an den Nippel-BH von Kim Kardashian

Ob die Brustwarzen und Genitalien Aufdrucke am Kleid waren oder die realen Geschlechtsteile dieser Frau preisgaben, war nicht ersichtlich, folgte also einem ganz ähnlichen Prinzip wie der im Jahr 2023 aufsehenerregende, von Kanye Wests Ex-Frau Kim Kardashian entworfene Nippel-BH – ein Büstenhalter, in dem die Formen harter Brustwarzen schon eingenäht waren. Die falsche Nacktheit sah in beiden Fällen täuschend echt aus. Und der Betrachter blieb zurück mit der Frage: Was um Himmels willen soll das Ganze?

Die politisch rechts orientierte Sippe um den Trump-Fan und Rapper Ye steht einschließlich der Designer-Freundin Bianca Censori wohl nicht im Verdacht, im Sinne der Body-Positivity-Bewegung zu handeln. In den vergangenen Jahren hatten Schauspielerinnen und Sängerinnen wie Florence Pugh oder Lizzo mit durchsichtigen Kleidern selbstbewusst darauf aufmerksam gemacht, dass es große und kleine Brüste, dicke und dünne Bäuche gibt und das auch schön sein kann und sexy und auf jeden Fall normal. Bianca Censoris Körper allerdings sieht aus wie der von Lara Croft oder wie die Silhouette eines, wie Amerikaner es sagen: Vargas Girls – eines klassischen Pin-up-Mädchens mit schlanker Taille und großen Brüsten. Es ist also nicht nur ein normschöner, sondern ein Idealkörper für den männlichen Blick und Objekt des männlichen Begehrens.

Die öffentliche Nacktheit und das sogenannte Naked Dress haben eine lange Tradition im Auftritt Prominenter, und sie werden ganz unterschiedlich genutzt und interpretiert. Interessanterweise nie zeitlos, sondern oft innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Entwicklungen. Verletzlich und ambivalent wirkte Marilyn Monroes Auftritt in ihrem berühmten durchsichtigen „Birthday Dress“, in dem sie 1962 für John F. Kennedy ein Geburtstagslied trällerte. Sie schien zu sagen: Hier habt ihr doch alles, was ihr wollt, ihr kriegt mich ganz – zufrieden? Und dann diese Traurigkeit in ihrem Auftritt! In all dem offenbart sich das ambivalente Frauenbild dieser Zeit, die Unausweichlichkeit der beschränkten Möglichkeiten und doch eine Rückeroberung des eigenen Körpers.

Kate Moss wiederum soll 1993 nach ihrem viel beachteten Auftritt in durchsichtigem Kleid und Flip Flops gesagt haben, ihr sei zuvor nicht klar gewesen, wie durchsichtig das Kleid war. Und das passt ganz gut zur Wurstigkeit der 90er, in denen noch nicht jedes Outfit eine Botschaft transportieren musste oder ein Statement sein sollte. In dem es reichte, nicht mehr und nicht weniger als cool und politisch eher unbehelligt zu wirken.

Beyoncé wiederum eröffnete 2023 ihre „Renaissance“-Tour in einem Bodysuit von Loewe, durchsichtig, auf dem Arme abgebildet waren, die Brüste und Genitalien verdeckten – eine große Selbstumarmung. Selbstliebe und Respekt für den eigenen Körper sollten dadurch zum Ausdruck gebracht werden. Die Schauspielerin Rose McGowan ging sogar noch weiter, als sie ihren Auftritt in einem Naked Dress 1998 rückwirkend interpretierte. Sie war eine der ersten, die ihre Vergewaltigungen durch den Produzenten Harvey Weinstein öffentlich gemacht hatten. Rückblickend sagte sie 2019 mitten im Me-too-Geist dieser Zeit, sie habe damals nicht einen Skandal auslösen, sondern sich mit dem freizügigen Auftritt ihren Körper zurückerobern wollen.

Der Anblick von Bianca Censori hat etwas Plumpes, Gewaltvolles

Tatsächlich offenbaren die absichtsvoll „nackten“ Auftritte mehr als nur nackte Haut, sie stellen ein überbordendes Selbstbewusstsein aus. Sie zeigen im Idealfall kein sexuell erregendes Objekt, denn dafür ist zu viel zu sehen. Ein nackter Fußknöchel an einem ansonsten voll bekleideten Körper kann erregender aussehen als eine komplett nackig herumspazierende Frau, die rein gar nichts mehr der Fantasie überlässt.

Der Anblick von Bianca Censori wirkt beinahe abstoßend, er hat etwas Plumpes, Gewaltvolles. Ohne damit rechnen zu können, wird dem Betrachter der nackte Körper ungewollt gezeigt, als die Frau den Mantel fallen lässt. Man könnte sagen, dass die Frau den gewaltvollen männlichen Blick, also auch den der lustvoll auf Skandale heischenden Fotografen, umkehrt und zurückweist, indem sie selbst in Aktion tritt und sich über den Willen der Betrachter nicht nur hinweg setzt, sondern ihnen das Bild ihrer Nacktheit unvorbereitet aufzwingt wie ein Exhibitionist.

Doch man wird bei all dem auch den Eindruck nicht los, dass Ye und seine Freundin schlicht begeisterte Anhänger des eher plumpen, aufsehenerregenden Auftritts sind. Sie fahren meist in einem Tesla Cybertruck vor, in jenem protzigen Auto, über das Elon Musk sagt, die Zukunft müsse eben auch aussehen wie die Zukunft. Das Magazin „New Yorker“ kam schon zur Konklusion, Auto und Aufmachung der Dame hätten die annähernd gleiche Aussage, nämlich: Du kannst schauen und begehren, aber du kannst es nicht haben. Ye und Bianca Censori, deren unnatürlich zurückgegelte Haarfrisur sie zusätzlich als eine Art Cyborg erscheinen lässt, arbeiten offenbar hart daran, als bildhafte Darsteller einer von ihnen selbst geschriebenen, neuen Art von Zukunft wahrgenommen zu werden. Und diese Zukunft darf man wohl alles andere als sophisticated nennen. Ob das, was dabei gezeigt wird, real ist oder nur ein Fake wie die Brustwarzen, ist in dieser postfaktischen Ära längst einerlei.

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Erstellt:
3. Februar 2025, 17:08 Uhr
Aktualisiert:
4. Februar 2025, 09:16 Uhr

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