Premiere an der Stuttgarter Oper
Wenn der Rosenkavalier Casanova heißt
Vor der Premiere: Cornelius Meister dirigiert an der Stuttgarter Oper Ralph Benatzkys Revue-Operette mit der Musik von Johann Strauss. Marco Stormans Inszenierung dreht das 20er-Jahre-Erfolgsstück weiter bis ins 21. Jahrhundert.
Von Martin Mezger
Es ist wie im Spiegelkabinett: Alles ist doppelt. Doppelte Nostalgie, doppelter Erfolg, doppelter Strauss. Nämlich Johann und Richard. Vom einen – Johann – die Musik, vom anderen die Methode. Um was es geht es? Um Casanova. Am 31. August 1928 feierte die gleichnamige Revue-Operette im Großen Schauspielhaus zu Berlin eine triumphale Premiere. Ralph Benatzky hatte dafür Musik des Wiener Walzerkönigs Johann Strauss mit aktuellen Modetänzen jazzig frisiert. Rudolph Schanzer und Ernst Welisch schrieben ein Libretto nach Episoden aus dem Leben des großen Schürzenjägers.
Blicke zurück und nach vorn
Doppelte Nostalgie? Musik aus dem 19. Jahrhundert, die eine Gestalt aus dem 18. Jahrhundert meint? Casanova, der coole Rokoko-Player? Erinnert an den „Rosenkavalier“ von Richard Strauss, der Maria Theresias Epoche Walzer tanzen lässt. Cornelius Meister, Dirigent der von Marco Storman inszenierten „Casanova“-Neuproduktion im Stuttgarter Opernhaus, sieht im zweifachen Blick zurück eher einen nach vorn. Auch dies auf Richard-Strauss-Linie, der seine Dreivierteltakte einst kühn an die Schwelle des Expressionismus modulierte.
Wenn allerdings der Rosenkavalier nun Casanova heißt, geht es um Tango, Shimmy und andere Sounds der Roaring Twenties, wie Meister anschaulich beschreibt: „Über 80 Prozent der Musik stammen zwar von Johann Strauss. Aber da gibt es zum Beispiel in einer Polka mit dieser typischen Melancholie und diesem typischen Rubato eine Temporückung, dann noch eine – und plötzlich sind wir im Berlin der 20er-Jahre oder gleich in New York, beim Swing.“ Das „Klangzeichen“ davon sei das Vibrafon, damals ein topmodernes Instrument, das bei der Premiere einiges Aufsehen erregte.
Debüt der Comedian Harmonists
Der Erfolg solcher Töne wiederholte sich just einen Tag nach der „Casanova“-Uraufführung, am 1. September 1928, im Berliner Theater am Schiffbauerdamm, wo Kurt Weills und Bert Brechts „Dreigroschenoper“ Weltpremiere hatte. Eine zufällige Koinzidenz? „Im Berlin der 20er-Jahre wurde ständig experimentiert. Da war unglaublich viel los, und dadurch kam es zu solchen Gleichzeitigkeiten, die im Nachhinein wie programmiert wirken“, sagt Meister.
Ein weiterer Triumph im „Casanova“-Spiegel zählt wohl auch dazu: Die Comedian Harmonists, für Meister „die größte Boy Group aller Zeiten“, wurden durch das Stück berühmt. In den ersten Aufführungsserien traten sie als Zwischenakt-Sänger auf – mit Bombenerfolg. Ein Glücksfall für die Stuttgarter Produktion, dass drei der Rollensänger – Kai Kluge, Moritz Kallenberg und Florian Hartmann – „in ihren eigenen Comedian-Harmonists-Gruppen singen“, erzählt Meister. Versteht sich, dass sie dann auch im Opernhaus an den Entreakts beteiligt sind.
Assoziationen zu zwei Metropolen
Anders als der „Dreigroschenoper“, den Comedian Harmonists oder Benatzkys „Im weißen Rössl“ war „Casanova“ allerdings kein dauerhafter Erfolg beschieden. Erst recht nicht in den großen Opernhäusern, die um die Operetten-Ära nach Offenbach und Strauss ohnehin einen weiten Bogen machen. Für Cornelius Meister ist das Stück interessant als musikalisches Spiel mit den Assoziationsräumen und kulturellen Eigenheiten zweier Metropolen: Wien und Berlin, K.-u.-k.-Vergangenheit und hektische Moderne. „Es ist von einem besonderen Reiz, das in den stilistischen Nuancen der Musik herauszuhören“, sagt der Dirigent.
Wiener Blut pulsiert Meister selbst in der Hauptschlagader. Er hatte ein mehrjähriges Engagement beim Sinfonieorchester des Österreichischen Rundfunks (ORF) – und eine Wiener Großmutter. An „Casanovas“ Berliner Musikschnauze fasziniert ihn der Riecher fürs Neue, Prickelnde – gar nicht so anders wie in Kurt Weills „Mahagonny“-Oper, die Meister in der vergangenen Spielzeit dirigierte. Eine systematische Beschäftigung mit der Musik der 20er-Jahre sei das zwar nicht, wohl aber „der Versuch, den Schubladen zu entkommen, in die Dirigenten gern gesteckt werden.“
Und was das Neue anbelangt: Marco Stormans Inszenierung dreht „Casanova“ einige Zacken weiter bis ins 21. Jahrhundert, berichtet Meister. Die originalen Dialoge werden ersetzt durch Texte aus Judith Schalanskys 2018 erschienenem „Verzeichnis einiger Verluste“ mit seinen Rückblenden bis zur antiken Sappho. Hinzu kommen Werbetexte aus den 20er-Jahren, darunter echte Trouvaillen, zum Beispiel Reklame für den Amor-Star, eine mechanische Erektionshilfe, „die von der Frau nahezu nicht wahrgenommen wird“. So lautet jedenfalls das werbliche Versprechen, das in die höchste ehe-erotische Verheißung mündet: „Amor-Star bringt Friede ins Haus.“ Wenn das der olle Casanova wüsste!
Eine Operette, eine Legende, ein Leben
TermineDie Premiere beginnt an diesem Sonntag, 22. Dezember, um 18 Uhr im Stuttgarter Opernhaus. Regie führt Marco Storman, die musikalische Leitung hat Cornelius Meister. Weiter Vorstellungen: 28. und 30. Dezember, 3., 7., 17. und 25. Januar, 8. Februar.
„Casanova“Die 1928 in Berliner uraufgeführte Revue-Operette war ein Coup des Intendanten Erik Charell. Nach einer Reihe jazzig aufbereiteter Operetten-Remakes setzte Charell auf eine Neukreation, für die Ralph Benatzky Musik von Johann Strauss (Sohn) arrangierte.
CasanovaGiacomo Casanova (1725 – 1798) wurde zum Inbegriff des galanten Verführers. Der echte Casanova war aber nicht nur ein Casanova, sondern ein Sexualstraftäter. Er hatte mit Minderjährigen Geschlechtsverkehr, zeugte mit einer seiner Töchter ein Kind. Berühmt wurde seine Flucht aus den Bleikammern von Venedig. Weniger bekannt ist seine Flucht aus Stuttgart, wo er 1760 wegen Spielschulden einsaß.