„Tatort“-Vorschau mit Axel Milberg aus Kiel
Wie ist Borowskis letzter Fall?
In „Borowski und das Haupt der Medusa“ sucht der Kieler Kommissar einen Frauenmörder. Nach 22 Jahren ist es der letzte Auftritt für Axel Milberg in der Rolle des eigensinnigen Ermittlers.

© NDR//Thorsten Jander
Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) kann auch wenige Tage vor der Rente seltsame Vorkommnisse nicht auf sich beruhen lassen.
Von Andrea Kachelrieß
Vier Tage bleiben Klaus Borowski bis zur Pensionierung. In einer der ersten Szenen der neuen „Tatort“-Folge sehen wir den Kieler Kommissar, wie er sich im Reisebüro wegfantasiert. Hatte er nicht einst seiner großen Liebe, der Kriminalpsychologin Frieda Jung, eine Weltreise versprochen? „Es ist alles arrangiert, ich bin dabei“, haucht er in seinem Tagtraum.
Doch eigentlich sitzt da ein Mann, der keine unbekannten Welten entdecken will. Pensionierung? Auch das ist Terra incognita für den Kommissar, er wirkt wie einer, der auf diesen Lebensabschnitt nicht vorbereitet ist. Wie auch? Seine Arbeit ist alles für ihn. Die Ex-Frau und die Tochter, in den ersten Fällen noch präsent, hat er, wie andere Beziehungen auch, hinter sich gelassen.
Wieder mordet ein Psychopath
„Borowski und das Haupt der Medusa“ heißt das letzte Kapitel, mit dem sich der Schauspieler Axel Milberg nach 22 Jahren und 44 Folgen als Kieler Kommissar verabschiedet. Drehbuchautor Sascha Arango, der für Borowski unvergessliche Mordfälle erfand, läuft noch einmal zu Bestform auf und zeigt, wofür man den Ermittler vermissen wird. Und mit Robert Frost, beiläufig gruselig von August Diehl gespielt, mordet ein Psychopath, dessen Obsessionen an Arangos kühnsten Killer erinnern – an Kai Korthals, der sich unbemerkt Zugang zu fremden Wohnungen verschaffte.
Kieler Kommissar schrieb „Tatort“-Geschichte
Auf der Spur von Lars Eidinger, der den Post- und Todesboten Korthals spielte, schrieb der Kieler Kommissar „Tatort“-Geschichte. So war „Borowski und der stille Gast“ (2012) eine der seltenen Folgen, in denen der Täter entkommt. Dass Korthals schwer verletzt aus einem Krankenwagen flüchtet, war nicht nur Schockeffekt. Das Team hielt sich eine Fortsetzung offen. Die gab es dann 2015 erstmals in der Geschichte des „Tatorts“; und sie kam, auch das ungewöhnlich, ganz ohne Mord aus. Borowskis Abschied geizt dagegen nicht mit blutigen Momenten. Wie so oft in Kiel, schaut der Zuschauer dem Täter von Beginn an auf die Finger – und in die Seele. Robert Frost räumt in seinem Leben auf wie der scheidende Kommissar seinen Schreibtisch und wird dabei zum Serienmörder. „Keine Freundin in 40 Jahren“, triezt ihn die übergriffige Mama. „Selber schuld, du musst dieses Muttersöhnchen-Image ablegen.“ Das tut er dann mit Würgedraht und Säge ziemlich radikal. Freundschaft, spricht Axel Milberg ein Thema seiner Figur an, habe Borowski wohl vor allem auf seine Täter bezogen. „Über niemanden hat er so nachgedacht, niemanden hat er versucht, so zu verstehen wie die Täterinnen und Täter der 44 Fälle.“ Nicht das übliche Whodunit, sondern die Frage nach dem Motiv stand bei den „Tatorten“ aus Kiel oft im Vordergrund. Wie viele der von Borowski Verfolgten flüchtet Robert Frost nicht nur vor der Polizei, sondern auch vor sich selbst.
Die neue Folge geizt nicht an blutigen Momenten
Borowski führt auch an nicht so schöne Orte in Kiel
Fehlende Dienstmarke, kein Durchsuchungsbefehl? Einmal im Ermittlungsmodus, ist Borowski auch bei seinem letzten Fall nicht zu bremsen. Neben den vorm Kommissariat schwimmenden Jachten hat er dem Publikum nicht so schöne Seiten von Kiel gezeigt. Er ermittelte im Umfeld einer in Schieflage geratenen Werft, stocherte im Leben eines Ex-Seemanns, der an Land nichts in den Griff bekam, besuchte die aufmüpfigen Kinder des ehemaligen Werftarbeiter-Viertels Gaarden, das heute als sozialer Brennpunkt gilt.
Identifikationsfigur für das Land zwischen den Meeren
Ähnlich wie Götz Georges Schimanski für den Ruhrpott ist Axel Milbergs Borowski zur Identifikationsfigur für das Land zwischen den Meeren geworden. Den einsilbigen Eigenbrötler hat der Schauspieler selbst initiiert und den NDR überzeugt, Kiel und Schleswig-Holstein wieder auf die „Tatort“-Landkarte zu bringen. Sogar den Freund Henning Mankell konnte Milberg davon überzeugen, dem Columbo von der Förde Krimi-Futter zu geben. 2009 und 2015 lieferte der schwedische Bestsellerautor Vorlagen für drei Borowski-Fälle.
Neben frischer Seeluft konfrontierte Borowski immer wieder mit kritischen Themen. „Borowski und der freie Fall“ griff 2012 die Barschel-Affäre auf. Mit Klimaangst, KI oder Crystal Meth bekam es Borowski ebenso zu tun wie mit Schürfrechten und Umweltweltzerstörung auf dem Meeresgrund.
Ein Rentner wider Willen
Jetzt taucht Borowski selbst ab. Axel Milberg, Jahrgang 1956, sieht durchaus Parallelen zum Rentner wider Willen und der eigenen Situation: „Irgendwo unten im Keller läuft ratternd eine Uhr in dem Gebäude meines Lebens, aber da steige ich ja nie hinunter“, sagt der Schauspieler zum Abschied. „Und hier oben ist es licht und hell und lebendig, und ich bin weder erschöpft noch schaue ich auf ein reiches Leben zurück, sondern das Nächste fesselt und interessiert mich genauso. Und tatsächlich sage ich vollen Ernstes, der beste Film kommt noch, der nächste Film ist es.“
Tatort: Borowski und das Haupt der Medusa. Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
Info
CowboyIn Westernmanier gab Borowski seinem liegengebliebenen VW-Passat den Gnadenschuss. Die Szene in „Borowski und der stille Gast“ ging auch für den Schauspieler nicht gut aus. Ein Rußpartikel aus dem Mündungsfeuer drang in Milbergs Auge; sein Drehtag endete im Krankenhaus.
TeamDas waren die Assistenten an Borowskis Seite: Alim Zainalow (dargestellt von Mehdi Moinzadeh), 2003-2006; Psychologin Frieda Jung (Maren Eggert), 2003-2010; Kommissarin Sarah Brandt (Sibel Kekilli), 2010-2017; Kommissarin Mila Sahin (Almila Bagriacik), seit 2018. Sahin arbeitet fortan im Duo mit der neuen Polizeipsychologin Elli Krieger (Karoline Schuch).
Rocker 2023 ermittelte der Kieler Kommissar in „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ auf dem heiligen Acker des Heavy-Metal-Festivals. Festivalmacher Thomas Jensen und die Band The Halo Effect spielten sich selbst. Auch Jimi Hendrix kam zu „Tatort“-Ehren. In „Borowski und der Schatten des Mondes“ war der vorletzte Auftritt des Gitarristen beim Love-and-Peace-Festival auf Fehmarn Hintergrund für den Fall um eine 1970 verschwundene Festivalbesucherin.

© NDR/Thorsten Jander
Klaus Borowski (Axel Milberg) gibt sich vor seiner Rente in einem Reisebüro Gedanken hin und träumt von einer Weltreise mit seiner großen Liebe Frieda Jung (Maren Eggers).

© NDR/Thorsten Jander
Elenor (Corinna Kirchhoff) demütigt ihren Sohn Robert (August Diehl) bei jeder Gelegenheit.

© NDR/Thorsten Jander
Schwierige Verhältnisse: Mutter Elenor (Corinna Kirchhoff) und Sohn Robert Frost (August Diehl)

© NDR/Thorsten Jander
Immer auf Abruf für Mutti: Robert Frost (August Diehl)

© NDR/Thorsten Jander
Gibt es einen Weg aus der Abhängigkeit? Robert Frost (August Diehl) sieht nur eine sehr radikale Lösung.

© NDR/Thorsten Jander
Muttersöhnchen Robert Frost (August Diehl) heckt nagelkauend seine Befreiung aus.

© NDR/Thorsten Jander/Thorsten Jander
Außenseiter auch im Berufsleben: Robert Frost (August Diehl, 2. v. r.) ist IT-Spezialist im Bürgeramt der Stadt Kiel.

© NDR/Thorsten Jander
Trauriger Clown und Täter, der Mitleid erweckt: Einzelgänger Robert Frost (August Diehl

© NDR/Thorsten Jander
Endlich frei? Robert Frost (August Diehl)...

© NDR/Thorsten Jander
...entsorgt die Reste der Mutter.

© NDR/Thorsten Jander
Was stimmt nicht im schaurigen Haus, das Borowski (Axel Milberg) bereits seit seiner Kindheit kennt? (mit Almila Bagriacik).

© NDR/Thorsten Jander
Behördenleiter Kaczmarek (Sascha Nathan) klappt zusammen, nachdem die Computer im Bürgeramt streiken: Mila Sahin (Almila Bagriacik) ist zur Stelle (mit Klara Lange, hinten).

© NDR/Thorsten Jander
Chaos im Bürgeramt: Wie konnte es zum Blackout kommen? Kommissarin Mila Sahin (Almila Bagriacik) ermittelt.

© NDR/Thorsten Jander
Roland Schladitz (Thomas Kügel) ist nicht begeistert von Mila Sahins Alleingang im Bürgeramt.

© NDR/Thorsten Jander
Macht eine schockierende Entdeckung in Kiels Innenstadt: Frauenmörder Robert Frost (August Diehl) (mit Axel Milberg).

© NDR/Thorsten Jander
Er spannt das Netz enger: Borowski (Axel Milberg) ist fast am Ziel.