1600 Impfwillige erhalten eine Absage

Das Kreisimpfzentrum in Waiblingen ist aufgrund der Astrazeneca-Impfpause von Dienstag bis Freitag verwaist. Der Leerlauf im Impfzentrum des Rems-Murr-Kreises hält sich aufgrund von zwei Sonderimpftagen mit dem Wirkstoff Biontech noch im Rahmen.

In der Tür des Kreisimpfzentrums weist ein Aushang darauf hin, die Impfungen mit Astrazeneca sind ausgesetzt.Foto: B. Büttner

© Benjamin Büttner

In der Tür des Kreisimpfzentrums weist ein Aushang darauf hin, die Impfungen mit Astrazeneca sind ausgesetzt.Foto: B. Büttner

Von Matthias Nothstein

WAIBLINGEN. Auch wenn einige Staaten die Impfungen mit Astrazeneca schon vor Tagen ausgesetzt hatten, so kam das vorläufige Aus für den Wirkstoff in Deutschland am Montag doch überraschend. Für das Kreisimpfzentrum Waiblingen bedeutete dies: 1600 Menschen, die sich einen Termin für die Tage Dienstag bis Freitag ergattert hatten, erhielten unter dem Betreff „Impftermin Absage“ eine E-Mail vom Kreisimpfzentrum: „Sehr geehrte Damen und Herren, leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass Ihr Impftermin nicht stattfinden kann, da die Bundesregierung die Impfung mit Astrazeneca mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres ausgesetzt hat. Da wir selber keine aktuellen Informationen haben, bitten wir von Rückfragen abzusehen.“

Das Waiblinger Impfzentrum hatte bei dieser Absage sogar noch Glück, denn das bundesweite Aussetzen der Impfung sollte am Montag sofort nach der Bekanntgabe in Kraft treten und auch noch für den nächsten Montag gelten, erst dann wird es eine Entscheidung über das weitere Vorgehen geben. In Waiblingen aber wurde am vergangenen Montag und wird am nächsten Montag ausnahmsweise der Wirkstoff Biontech an über 80-Jährige verimpft. Dies geschieht in der Rundsporthalle zwar immer samstags und sonntags, zuletzt aber auch an den beiden besagten Montagen.

Gerd Holzwarth, der als Dezernent des Bereichs Verbraucherschutz und Forst im Landratsamt Rems-Murr-Kreis die Gesamtleitung des Impfzentrums inne hat, zeigte sich zumindest über diesen glücklichen Umstand erleichtert, seine Mitarbeiter mussten an diesem Sondertag niemand, der schon zur Rundsporthalle gefahren war, wieder nach Hause schicken, so wie das in den allermeisten anderen Landkreisen bundesweit der Fall war. Und all jene, die für den nächsten Montag einen Termin erhalten haben, können ebenfalls den Weg nach Waiblingen antreten, weil dann der Biontech-Wirkstoff zum Einsatz kommt. Holzwarth: „Wir haben am 15. und 22. März Sondertermine mit Biontech eingeschoben, weil wir vom Land eine Extralieferung von 1100 Dosen bekommen haben. Dazu haben wir vom Land eine Warteliste mit 4000 Namen von Menschen, die gerne geimpft werden wollen, bekommen. Diese Liste haben wir abgearbeitet und für beide Tage jeweils 560 Impftermine vergeben.“ Die Frage, was mit den 1600 Terminen passiert, die von Dienstag bis Freitag nicht gehalten werden können, kann Holzwarth derzeit noch nicht beantworten. „Wir haben von den 1600 Impfwilligen alle bis auf zwei erreicht, telefonisch oder per E-Mail.“

Nun heißt es für die Verantwortlichen abwarten, bis sie vom Land neue Instruktionen bekommen. Spätestens am Wochenende wird klar sein, „ob wir weitere Termine absagen müssen oder ob wir die Impfversprechen für die nächste Woche ab Dienstag halten können“. Ob diejenigen, die nun eine Absage erhalten haben, automatisch einen neuen Termin erhalten, ist noch nicht klar: „Wir bemühen uns aber, dass wir diese per E-Mail oder Telefon auf einen anderen Termin umbuchen können. Das ist unser Wunsch und unser Ziel, das hängt aber davon ab, ob wir noch weitere Impftage canceln müssen.“

Noch gibt es keine Bürger, die bereits ihre zweite Impfung mit Astrazeneca benötigen, da mit dem Verimpfen dieses Wirkstoffs erst recht spät begonnen wurde. Die frühesten Zweittermine liegen Mitte April, das ist derzeit noch kein Problem. Zudem hoffen alle, dass bis dahin eine Klärung über die Zukunft des Impfstoffs erzielt wurde.

Das Impfzentrum ist geschlossen, nur Mitarbeiter der Security sind vor Ort. „Wir haben ein Schild an die Eingangstüre gehängt, falls die Nachricht jemand nicht erreicht hat.“ Alle Mitarbeiter, die von der Aussetzung betroffen sind, etwa 25 bis 30 Personen, haben ebenfalls eine E-Mail erhalten. Sie müssen von Dienstag bis Freitag zu Hause bleiben, „hier läuft nichts“, so Holzwarth. Er verweist darauf, dass bislang wegen des Impfstoffmangels täglich 400 Menschen – nur die Hälfte der eigentlichen Kapazität – geimpft werden konnten. Es gab also bislang nur die Frühschicht bis 14 Uhr.

Der Pandemiebeauftragte des Kreises, der Allgemeinmediziner Jens Steinat, hält den Impfstopp für fatal und kritisiert, dass am Montag vermutlich Tausende Impfdosen im Müll gelandet sind, weil die Spritzen schon aufgezogen waren, als die Nachricht kam: „Stopp, und zwar sofort.“ Steinat stimmt zwar zu, die Zwischenfälle mit Thrombosen zu untersuchen, „das ist keine Frage“. Aber er gibt auch zu bedenken, dass es bislang bei 1,6 Millionen Impfungen mit Astrazeneca „Stand gestern nur sieben Thrombosenfälle gibt“. Sein eindeutiges Votum: „Man hätte die Impfungen weiterlaufen lassen können.“ Die Thrombosen liegen für Steinat im normalen statistischen Mittel und haben mit der Impfung nichts zu tun, „die hätten die Betroffenen auch so bekommen“. Für den Allgemeinmediziner ist das relativ überschaubare Risiko vertretbar: „Wir haben ein massiv höheres Risiko, Corona zu bekommen und daran zu sterben. Das heißt, der Nutzen überwiegt das Risiko bei Weitem. Und das selbst dann, wenn das Risiko mit der Thrombose wirklich existiert. Es ist extrem unwahrscheinlich, diese Nebenwirkung zu bekommen.“ Steinat wagt einen Vergleich: „Nach dem, was am Montag entschieden wurde, müsste man die Antibabypille sofort vom Markt nehmen. Im Fall der Pille existiert ein deutlich höheres Thromboserisiko als im Vergleich zu den jetzt bekannten Zahlen bei dem Astrazeneca-Impfstoff.“

Hat also die Regierung überreagiert? Steinat weicht zuerst aus und sagt: „Ich bin kein Politiker und möchte die Entscheidungen nicht fällen. Egal was man macht, man macht es immer falsch.“ Er glaubt, dass am Montag auch vieles auf Druck des europäischen Auslands passiert ist. Dann aber wird der Mediziner doch deutlich: „Wir an der Basis merken, die Menschen schreien nach Impfungen. In der Politik fehlt es am pragmatischen Handeln. Man hätte sagen können, die Personen werden aufgeklärt. Und wer sagt, ich möchte trotzdem geimpft werden, der bekommt seine Impfung. Diese Möglichkeit gibt es jedoch nicht, am Ende wäre die Verantwortung wieder bei den Ärzten gelegen. Es werden leider zu oft nur die Juristen gefragt. Aber diesen gehört auch einmal gesagt, wir leben in einer Pandemie. Und da hat jeder Bürger auch eine Eigenverantwortung.“

Steinat erwähnt in diesem Zusammenhang schon die erste Entscheidung, dass also der Impfstoff in Deutschland noch nicht für die über 65-Jährigen zugelassen worden ist. „Da hat man schon Vertrauen verspielt. Das hat schon zu einer Verunsicherung geführt, da war man meines Erachtens auch viel zu übervorsichtig. Und jetzt verspielt man wieder Vertrauen.“ Der Arzt geht davon aus, dass der Impfstoff demnächst wieder ganz normal zugelassen wird, „aber dann ist der Vertrauensverlust nur sehr schwer wieder wettzumachen.“

1600 Impfwillige erhalten eine Absage

© Alexander Becher

„Der Nutzen der Impfung überwiegt das Risiko, eine Thrombose zu bekommen, bei Weitem.“

Jens Steinat, Allgemeinarzt, Oppenweiler

Impfstoff lagert im Kühlschrank

Astrazeneca-Impfstoff wurde vergangene Woche noch nach Waiblingen geliefert. Gerd Holzwarth erklärt: „Er lagert im Kühlschrank und hält sich ein halbes Jahr, das ist kein Problem.“ Sobald die Freigabe wieder kommt, geht es sofort weiter, „dann haben wir halt vier Tage nicht geimpft“. Wir sind intern daran, die Kapazitäten im Kreisimpfzentrum aufzustocken von 800 Impfungen, die im Idealfall bisher geplant sind, auf 1000 Impfungen pro Tag.

Das Landesgesundheitsministerium teilt mit: „Die Impfungen mit Astrazeneca werden in Baden-Württemberg so lange ausgesetzt, bis vom Paul-Ehrlich-Institut eine neue Empfehlung zum Umgang mit Astrazeneca ergeht.“ Im Land betrifft die Absage 15000 Impfungen pro Tag. Spätere Termine bleiben zunächst bestehen.

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Erstellt:
17. März 2021, 06:00 Uhr

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