Ausnahmegenehmigungen sind möglich
Kulturveranstaltungen dürfen auch weiterhin von über 100 Zuschauern besucht werden, wenn das Gesundheitsamt sein Okay gibt.

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Beim Konzert des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn im Backnanger Bürgerhaus Ende September: Ist das Gesundheitsamt auch künftig einverstanden mit dem Hygienekonzept, können weiterhin mehr als 100 Zuschauer an den Kulturveranstaltungen teilnehmen. Foto: T. Sellmaier
Von Ingrid Knack
BACKNANG. „Untersagt sind Veranstaltungen aller Art mit über 100 Teilnehmenden.“ So steht es in der Allgemeinverfügung des Landratsamts Rems-Murr-Kreis über infektionsschützende Maßnahmen bei einer 7-Tages-Inzidenz innerhalb des Rems-Murr-Kreises von 50 Neuinfektionen pro 100000 Einwohner (Corona AV) vom 17. Oktober. Dürfen also zu Kulturveranstaltungen beispielsweise im Backnanger Bürgerhaus oder der Gruschtelkammer in der Auenwaldhalle nicht mehr wie bis dato über 100 Menschen kommen? Nein, das stimmt so nicht. Wie die ganzen Verordnungen in jüngster Vergangenheit muss man auch bei dieser Verfügung etwas genauer hinschauen. Unter anderem heißt es dort noch: „Weitere Ausnahmen bedürfen eines mit dem Gesundheitsamt abgestimmten Hygienekonzeptes.“ Begründete Ausnahmen seien möglich, bestätigt Landratsamtssprecherin Martina Keck am Montag auf Nachfrage.
Was sich geändert hat ist, dass die Hygienekonzepte seither nur mit dem Ordnungsamt der jeweiligen Kommune abgestimmt worden sind, jetzt muss das Gesundheitsamt noch mit ins Boot geholt werden, wenn mehr als 100 Besucher erwartet werden sollen. Eine Realisierung einer Veranstaltung in dieser Größe ist mithin nur möglich, wenn das Gesundheitsamt diese aufgrund des Hygienekonzepts genehmigt. Nun muss man wissen, dass es noch keine neue Corona-Verordnung des Landes gab, als im Rems-Murr-Kreis die Coronaampel auf Rot sprang. Im Rems-Murr-Kreis sah man aber angesichts der Infektionszahlen, die besagte Grenze überschritten haben, Handlungsbedarf und verfasste eine Verfügung. Mittlerweile gibt es bekanntlich auch die neuaufgelegte Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg. In der Corona-Verordnung Studienbetrieb und Kunst vom 18. Oktober ist zu lesen: „Bei Veranstaltungen in Kunst- und Kultureinrichtungen sowie in Kinos können abweichend von der Regelung in § 10, Absatz 1, Nummer 2 der Corona-Verordnung des Landes bis zu 500 Personen teilnehmen. Dafür müssen den Teilnehmenden für die gesamte Dauer der Veranstaltung feste Sitzplätze zugewiesen werden. Sie müssen auf den Verkehrswegen, Verkehrsflächen und in allen Publikumsbereichen eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Die Veranstaltung muss einem im Vorhinein festgelegten Programm folgen. Zudem muss ein mit dem zuständigen Gesundheitsamt abgestimmtes Hygienekonzept vorliegen.“ Da hier die Zahl 500 genannt wird, an anderer Stelle aber von 100 Zuschauern die Rede ist, gab es einige Irritationen. Wobei Martina Keck vom Landratsamt Rems-Murr sagt, dass beide Verfügungen beziehungsweise Verordnungen im Grunde dasselbe besagen. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann sich inzwischen auch gut und gerne an die Landesverordnung halten. Martina Keck: „Landesverordnung sticht Kreisverordnung.“
Was sagen nun die Stadt Backnang in Bezug auf das Programm im Bürgerhaus und Charley Graf, Gruschtelkammer-Chef aus Auenwald, zu der Situation? Die in den kommenden Tagen anstehenden Veranstaltungen im Backnanger Bürgerhaus sind die nächste Ausgabe in der Reihe der Lehrerkonzerte der Jugendmusik- und Kunstschule Backnang am Freitag, 23. Oktober, und die Lesung unter dem Titel „Herbstmilch“ von Barbara Stoll und Sabine Bräuning, die vom 22. auf den 30. Oktober verschoben wurde. Zu beiden Terminen würden ohnehin nicht mehr als 100 Personen erwartet, gibt Christine Wolff, Pressereferentin bei der Stadtverwaltung Backnang, Auskunft. „Wie es bei den stärker nachgefragten Konzerten sein wird, müssen wir kurzfristig entscheiden“, erklärt Wolff außerdem.
Charley Graf: „Wir wollen unbedingt weitermachen.“
Charley Graf vom Kleinkunstförderverein Gruschtelkammer hatte sich gestern am Vormittag angesichts der veränderten Lage sogleich mit der Verwaltung in Auenwald und auch mit Landrat Richard Sigel in Verbindung gesetzt. Der nächste Künstler, der in der Gruschtelkammer auftritt, ist Hajo Heist mit seinem Programm „Noch’n Gedicht – Der große Heinz-Erhardt-Abend“. Graf hatte zu Beginn der Saison ein Konzept erarbeitet, nach dem immer rund 160 Kulturfans die Veranstaltungen in der Auenwaldhalle genießen können. Der Erhardt-Abend ist bereits ausverkauft. „Grundsätzlich is es so, dass wir unbedingt weitermachen wollen nach den riesigen Erfolgen der ersten drei Veranstaltungen“, sagt Graf. „Wir tun auch den Künstlern richtig viel Gutes“, weiß er. Diese seien begeistert über die Möglichkeit, doch vor einem etwas größeren Publikum auftreten zu können. Graf will sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass auch die weiteren Kulturabende in der Auenwaldhalle durchgezogen werden können.
Nach wie vor ist aber freilich oberstes Gebot, auf größtmögliche Sicherheit für alle Beteiligten zu setzen. Die Begrenzung der Teilnehmerzahl von Veranstaltungen aller Art dienen insbesondere der Verhinderung besonders umfangreicher Infektionsereignisse, betont das Landratsamt Rems-Murr in seiner Verfügung ausdrücklich. „Große Veranstaltungen bergen, trotz besonderer Anstrengungen im Hinblick auf Hygiene- und Infektionsschutzvorkehrungen, stets die Gefahr zahlreicher Ansteckungen und damit besonders großer Belastungen und Schwierigkeiten für eine wirksame behördliche Kontaktnachverfolgung.“ Nur soweit eine Rückverfolgbarkeit gewährleistet sei, könnten Infektionsketten wirksam unterbrochen und so das Infektionsgeschehen in einem beherrschbaren und für das Gesundheitssystem tragbaren Rahmen gehalten werden. Die Sicherstellung einer funktionsfähigen Kontaktnachverfolgung sei weiterhin das übergeordnete Ziel der behördlichen Maßnahmen, da so deutlich weiterreichende Maßnahmen wie die eines Lock-Downs verhindert werden könnten. Und: „Die Einschränkungen auf Seiten der Betroffenen stehen nicht außer Verhältnis zum Zweck der Allgemeinverfügung, das Infektionsgeschehen einzudämmen und die Gesundheitsversorgung für die Gesamtbevölkerung aufrecht zu erhalten. Die allgemeine Handlungsfreiheit wird zwar beschränkt und es gehen Eingriffe in die Grundrechte der Veranstalter einher, dem steht allerdings die hohe Ansteckungsgefahr bis hin zum tödlichen Verlauf der Krankheit gegenüber.“