Kliniken und Arztpraxen vor dem Coronaherbst: Gut gerüstet trotz Personalausfällen

Verwaltung und Kliniken im Rems-Murr-Kreis haben ihre Hausaufgaben in den letzten zwei Jahren hinsichtlich der Coronapandemie gemacht. Sorgen bereitet jedoch die angespannte Personalsituation in Kliniken und Arztpraxen. Eventuell müssen Patienten mit längeren Wartezeiten rechnen.

Die nächste Coronawelle könnte erneut zu einer Belastungsprobe für das medizinische Personal werden. Archivfoto: Alexandra Palmizi

© Alexandra Palmizi

Die nächste Coronawelle könnte erneut zu einer Belastungsprobe für das medizinische Personal werden. Archivfoto: Alexandra Palmizi

Von Anja La Roche

Rems-Murr. Wenn es draußen kälter wird, werden höchstwahrscheinlich auch die Coronainfektionen in der Bevölkerung wieder zunehmen. Für den Herbst und Winter sehen sich die Verantwortlichen in den Kliniken und in der Kreisverwaltung eigentlich gut gerüstet. Seit dem Beginn der Pandemie haben sie ihre Strategien zur Eindämmung des Virus erproben und verbessern können. „Wir haben unsere Hausaufgaben in den letzten zwei Jahren gemacht“, sagt Martina Keck, Sprecherin des Landratsamts. Wäre da nicht das Personalproblem: Es droht eine Überlastung des medizinischen Personals in den Kliniken und Arztpraxen, sollten die Fallzahlen wieder explodieren.

In den Rems-Murr-Kliniken in Winnenden blicken die verantwortlichen Personen optimistisch auf die kommenden Monate. „Wir beobachten die Lage aufmerksam“, sagt eine Sprecherin, Christine Felsinger. Steigen die Infektionszahlen stark an, könne der etablierte Krisenstab schnell reagieren, zum Beispiel mit strikteren Besuchsregeln. „Dank der neu gebauten Infektionsstation, in der wir Coronapatienten vom normalen Klinikbetrieb separieren können, sind wir gut gerüstet“, so Felsinger. Die Anzahl an verfügbaren Betten zur Versorgung der Patienten habe bisher ausgereicht und werde auch weiterhin ausreichen. Die Kliniken hätten durch die gesammelten Erfahrungen die Therapie von Covid-19-Patienten verbessern können.

Erschöpfung und Optimismus in Kliniken

Kritischer betrachten die Kliniken die Personalsituation. „Phasenweise hat die Coronasommerwelle unseren Pflegekräften und Ärzten alles abverlangt“, so Felsinger. Von Juli bist Mitte August seien die Häuser voll belegt gewesen, da viele planbare Operationen nachgeholt wurden. Finanziell eine gute Nachricht für die Kliniken, aber dem Personal ist so nur wenig Zeit für Erholung geblieben. Nichtsdestotrotz sei die Belegschaft motiviert, so die Sprecherin. „Gleichzeitig beobachten wir einen sehr guten Zusammenhalt unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angesichts der Verantwortung, die Bewohner im Kreis sicher durch die Pandemie zu bringen“, teilt sie mit. „Das lässt uns positiv in den Herbst und den Winter blicken.“ Um Personalausfälle durch Coronainfektionen zu mindern, baut das Klinikum auch auf interne Impfungen mit den neu entwickelten und empfohlenen Impfstoffen.

Auch Landrat Richard Sigel sieht den Kreis mit der 2021 gebauten Infektionsstation gut aufgestellt. Zudem hätten die Rems-Murr-Kliniken Winnenden in den vergangenen Jahren als eine der wenigen die Zahl der Pflegekräfte um 40 Prozent erhöht. Trotzdem sei der Personalmangel eine besondere Herausforderung. „Die Mitarbeitenden in den Kliniken sind nach dieser langen Zeit im ‚Ausnahmezustand‘ zu Recht erschöpft“, sagt er.

„Es gab wenig Zeit, nach der Sommerwelle durchzuatmen“

Der Pandemiebeauftragte der Kreisärzteschaft, Jens Steinat, spricht von einer ebenso schwierigen Personalsituation bei den Hausärzten. Man dürfe nicht vergessen, dass 80 Prozent der Coronapatienten ambulant versorgt werden. „Es gab wenig Zeit, nach der Sommerwelle durchzuatmen“, so Steinat. Laut ihm ist Corona nur einer von mehreren Faktoren für die Überbelastung der Fachkräfte. Auch die personelle Überalterung, neue Digitalisierungsprojekte sowie eine zunehmende Überbürokratisierung würden die Arztpraxen belasten.

Der Pandemiebeauftragte der Kreisärzteschaft, Jens Steinat, spricht von einer  schwierigen Personalsituation bei den Hausärzten. Foto: Jörg Fiedler

© Jörg Fiedler

Der Pandemiebeauftragte der Kreisärzteschaft, Jens Steinat, spricht von einer schwierigen Personalsituation bei den Hausärzten. Foto: Jörg Fiedler

„Wertschätzung des medizinischen Personals gehört zu einer guten Coronapolitik dazu. Das haben die Bundespolitiker immer noch nicht verstanden“, so Steinat. Ärzte, Pflegekräfte und medizinische Fachangestellte seien „ausgebrannt“. Wenn die Infektionszahlen von Corona und Influenza im Herbst ansteigen, wird das Personal noch mehr Arbeit haben. Könnte das zu einem Problem für die Patienten werden? „Ich gehe nicht davon aus, dass es zu einer prekären Situation kommt.“ Schwerkranke könnten immer behandelt werden, so Steinat. Es könne aber sein, dass man beispielsweise länger auf seine Krankschreibung warten müsse.

Bevölkerung soll sich selbst schützen

Daher appelliert er eindringlich an die Bevölkerung, Masken zu tragen. „Es muss klar sein, dass ein gewisser Selbstschutz das System entlastet.“ Eine medizinische Maske sei dabei der effektivste Schutz bei gleichzeitig kleinstmöglichem Eingriff in die persönliche Freiheit. „Ich kann es nicht nachvollziehen, wenn die Leute keine Maske tragen“, so Steinat. Auch die Impfstrategie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle im Coronamanagement von Landratsamt und Landesregierung (siehe unten). Am neuen Impfplan hat Steinat im Sozialministerium mitgearbeitet. Anders als in anderen Landkreisen spielen von der Landesregierung angestrebte Modellprojekte zur Behandlung von Long-Covid-Patienten keine Rolle im Rems-Murr-Kreis. Das ist laut Steinat auch nicht unbedingt nötig, da Patienten mit Long Covid sich wie bisher beim Hausarzt behandeln lassen können. „Meiner Meinung nach ist die Behandlung dort gut aufgehoben.“ Da die Hausärzte die Vorgeschichte der Patienten besser kennen, könnten diese laut Steinat auch besser behandeln. Eine ambulante Anlaufstelle für Long-Covid-Patienten könne aber zusätzlich auch sinnvoll sein, gibt der Arzt zu bedenken. Ob das bei der knappen Personallage umsetzbar wäre ist eine andere Frage.

Die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt beim Coronamanagement empfindet Steinat als gelungen: „Man kann gut Probleme nach oben kommunizieren.“ Auch die Kreisverwaltung sieht keinerlei Verbesserungspotenzial in ihrer Covid-Strategie. „Mit unseren Buchungsportalen für Test- und Impftermine, unserer App ‚Cosima‘, unserem breit aufgestellten Netzwerk und dem Coronakrisenstab sind wir gut gewappnet“, teilt die Sprecherin Martina Keck mit.

Kritik an Regelungen im neuen Infektionsschutzgesetz

Kritik gibt es für die Politiker auf der Bundes- und Landesebene. Die Regelungen des neuen Infektionsschutzgesetzes seien wieder mal zu schwammig geraten, kritisiert Steinat. Sie würden erneut für einen Flickenteppich sorgen. „Ich wünsche mir mehr bundeseinheitliche Regeln, etwa eine Maskenpflicht in Innenräumen“, sagt er. „Da haben die Politiker in den letzten Jahren nichts gelernt.“

Landrat Richard Sigel fordert eine stärkere Unterstützung bei der Klinikfinanzierung. Foto: privat

© Alexander Becher

Landrat Richard Sigel fordert eine stärkere Unterstützung bei der Klinikfinanzierung. Foto: privat

Landrat Richard Sigel fordert eine stärkere Unterstützung in Sachen Klinikfinanzierung: „Zurück aus dem Sommerurlaub in Schweden fehlt mir in Deutschland der Blick auf das Wesentliche.“ „Die Impfkampagne und vor allem die medizinische Versorgung im Ernstfall müssen gesichert sein.“ Er bezieht das besonders auf das knappe medizinische Personal. „Wir müssen uns gar nicht vor einem „Covid-Herbst“ fürchten, wenn wir hier investieren.“

Das neue Infektionsschutzgesetz gilt ab dem 1. Oktober

Neue Regeln Am 24. August hat das Bundeskabinett die neuen Regeln des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Dazu gehört eine FFP2-Maskenpflicht in Flugzeugen und Fernzügen sowie eine Masken- und Testpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Die Länder können zudem vom 1. Oktober bis 7. April 2023 bestimmte Schutzmaßnahmen ergreifen. Diese sind je nach Infektionsgeschehen in zwei Stufen aufgeteilt.

Erste Stufe Zur ersten Stufe zählen Maskenpflichten in öffentlichen Bussen und Bahnen, in weiteren öffentlich zugänglichen Innenräumen sowie in Restaurants und Cafés. Die Landesregierungen können zudem frisch genesene und geimpfte Personen von der Maskenpflicht ausnehmen.

Zweite Stufe Bei starkem Infektionsgeschehen können die Länder Abstandsregeln, eine Maskenpflicht für Außenveranstaltungen und eine Personenobergrenze für Innenveranstaltungen verhängen. Zudem können die Länder eine Testpflicht anordnen sowie eine Maskenpflicht für Schüler ab der fünften Klasse, wenn in den Schulen der Präsenzunterricht gefährdet ist.

Mehr Freiheit Lockdowns, Ausgangssperren und Schulschließungen soll es diesen Coronawinter nicht mehr geben.

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Erstellt:
6. September 2022, 06:00 Uhr

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