Fast normal einkaufen, aber wie lange?
Nach monatelanger Pause konnten gestern Geschäfte wieder die Türen öffnen – und zwar ganz ohne Termin. Doch wie lange bleibt es dabei? Der Kreis liegt seit Tagen knapp unter der Inzidenz von 50 und steht damit vor wieder neuen Einschränkungen.

© Alexander Becher
„Wolle muss man anfassen“, sagt Andrea Klink (links). Sie und Tochter Jessica Hagemann konnten ihr Woll- und Bastelgeschäft gestern wieder öffnen. Eine Erleichterung, wenn auch mit sehr viel Aufwand verbunden. Foto: A. Becher
Von Kristin Doberer
BACKNANG/SULZBACH AN DER MURR. Kleiderständer stehen wieder vor der Ladentür, Kisten mit reduzierten Büchern oder anderen Restposten laden zum Schnäppchenkauf ein. Hier und da finden sich sogar noch schneebedeckte Dekohäuschen und kleine Weihnachtsdekorationen, die eine allerletzte Chance bekommen. Auf mancher Schaufensterscheibe steht zum ersten mal seit Dezember wieder „Wir haben geöffnet.“ Ein ungewöhnlicher Anblick, schließlich war die Innenstadt für Monate vor allem von Leere und geschlossenen Geschäften geprägt. Seit gestern darf der Einzelhandel im Rems-Murr-Kreis wieder öffnen – und zwar ganz normal, ohne Termin.
„Heute war es noch sehr verhalten“, sagt Andrea Klink, die Eigentümerin von „Mein Wollstudio“ in Backnang. „Viele Kunden sind noch unsicher, was eigentlich gilt. Wir wussten ja selbst nicht so genau, was kommt.“ Sie habe zwar schon damit gerechnet, dass sie ihren Laden wieder öffnen darf, ob mit Terminvereinbarung oder ohne, doch die tatsächliche Verordnung des Landes kam erst am Sonntag. Ihren Laden hat sie aber bereits vorher „wieder hochgefahren“, am Montag konnten die Kunden also wieder ganz normal zum einkaufen kommen.
Doch wie lange bleibt es dabei? Seit Tagen steigt auch die Inzidenz im Rems-Murr-Kreis wieder an, zwar sehr langsam, aber doch stetig. Gestern lag der Wert bei 47. Sobald er über 50 steigt und für drei Tage in Folge über 50 bleibt, ist das fast normale Shoppen auch schon wieder vorbei. Dann haben die Händler noch zwei Werktage Zeit, um sich umzustellen, ab dem dritten Werktag müssen Kunden vorher einen Termin zum Einkaufen vereinbaren, das sogenannte „Click and Meet“.
Für Kunden sind die verschiedenen Regeln schwer zu verstehen.
Die Umstellung auf Terminvergabe sei machbar, meint Klink, wenn auch mit viel Aufwand verbunden. „Aber lieber so als gar kein Geschäft. Auch wenn der Aufwand im Vergleich zum Ertrag nicht verhältnismäßig ist. Aber das war er seit Monaten nicht mehr.“ Ihr gehe es nicht unbedingt darum, etwas zu verkaufen, sondern vielmehr darum, im Gedächtnis zu bleiben und für die Kunden da zu sein. „Wolle ist etwas, das man anfassen muss. Die Leute kommen nicht nur für die Ware in den Laden, sondern auch um Ideen zu bekommen, um sich inspirieren und beraten zu lassen“, sagt Andrea Klink. Sie habe zwar schon länger einen Online-Shop, aber für ihre Stammkundschaft sei der persönliche Besuch im Laden sehr wichtig. „Wir sind zuversichtlich, dass die Kunden mit der Zeit kommen. Selbst wenn man vorher testen müsste. Unsere Stammkunden sind da sehr verantwortungsvoll“, sagt Klink.
Ob und wie gut das „Click and meet“ funktioniert, das auch im Rems-Murr-Kreis bei steigender Inzidenz auf die Händler und Kunden zukommen könnte, muss Rainer Wiedmann zum Teil schon am Montag testen. Die Filiale in Backnang ist zwar ganz normal geöffnet, aber er betreibt auch Spielwarengeschäfte in anderen Landkreisen. Unter anderem in Schwäbisch Hall, wo der Einzelhandel noch komplett geschlossen ist, oder in Bietigheim, wo Kunden einen Termin vereinbaren müssen. Er habe sich in die verschiedenen Regeln einlesen müssen. „Für die Kunden ist es sicher schwierig, da durchzusteigen“, sagt Wiedmann. Zumindest am ersten Tag der Öffnung in Backnang sei aber eine „fast normale“ Zahl an Kunden da gewesen. „Wie gut das läuft, kann man heute noch nicht sagen“, meint er. „Wir müssen da erst schauen, wie es anläuft.“
In dem Modegeschäft von Elke Kalmbach in Sulzbach an der Murr sind am Montag schon einige Kunden im Laden gewesen. „Die Kunden sind gut drauf, sie freuen sich, dass wir wieder öffnen dürfen. Genauso wie auch wir“, sagt die Eigentümerin. Es sei bei manchen aber auch eine unterschwellige Angst zu spüren gewesen, dass doch noch mal Schließungen kommen. Die Umstellung auf das Shoppen mit Terminvergabe stellt sie sich schwierig vor. „Da müssen wir schauen, wie wir das am besten organisieren. Aber wir haben dann ja ein paar Tage Zeit, um zu überbrücken.“ Im vergangenen Jahr musste sie schließlich schon viel Neues ausprobieren. Zum Beispiel gab es einmal pro Woche eine Modenschau auf Instagram live, mit der sie Kontakt halten und sogar Neukunden gewinnen konnte. In der kommenden Woche soll es erstmals ein Videotreffen mit Sektprobe und Modenschau geben. „Vor einem Jahr hätte ich mir so was nie vorstellen können. Aber man muss jetzt eben andere Wege gehen“, sagt sie.
Der Handel ist aber nicht der einzige Bereich, der seit gestern öffnen darf. Museen, Galerien, Zoos und Gedenkstätten können wieder besucht werden. Auch sogenannte körpernahe Dienstleistungen, dazu gehören Kosmetik, Maniküre, Haarentfernung und Tätowierung, können wieder gebucht werden. Diese Bereiche hatten sogar noch länger geschlossen, als die Händler. Schon mit dem Lockdown light im November mussten alle Termine abgesagt werden. „Wir sitzen seit etwa viereinhalb Monaten zu Hause und die Mitarbeiter haben Kurzarbeit. Wir sind alle froh, dass es jetzt weitergeht“, sagt Joachim Etzel vom Backnanger Tattoostudio Vito´s.
Solange die Inzidenz unter 100 bleibt, kann sein Tattoostudio offen bleiben, mit einem Hygienekonzept versteht sich. Denn das Studio nach über vier Monaten wieder herzurichten ist mit viel Arbeit und Aufwand verbunden. Und Vorbereitungszeit gab es kaum, denn erst am Sonntag hat die Landesregierung die neue Coronaverordnung notverkündet. „Die Friseure hatten da mehr Zeit zum Vorbereiten.“ Denn nach mehreren Monaten Stillstand muss im Tattoostudio einiges erledigt werden: Material bestellen, den Laden auf Vordermann bringen und die Termine koordinieren. Vor allem letzteres ist nicht einfach. „Schon am Wochenende kamen erste Anfragen an die Tätowierer, die mit ihrem Stammkunden viel über Whatsapp in Kontakt sind“, sagt Etzel. Dazu kommen aber auch noch die verschobenen Termine, die ursprünglich für die vergangenen Monate angesetzt gewesen waren. Diese müssen nun koordiniert werden. „Erst mal sind wir aber sehr positiv gestimmt. Ich hoffe bloß, dass es dann nicht wieder zu Schließungen kommt.“
Bei einer Inzidenz unter 50 darf der Einzelhandel auch ohne Termine öffnen, dafür muss die Zahl aber für fünf Tage in Folge unter 50 liegen. Das ist im Rems-Murr-Kreis der Fall. Außerdem gelten gewisse Hygieneregeln.
Zum Beispiel darf sich in Geschäften mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern maximal ein Kunde pro 10 Quadratmeter aufhalten. Für Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche gilt eine Beschränkung auf einen Kunden pro 20 Quadratmeter. Auch besteht weiterhin die Maskenpflicht, Warteschlangen vor Geschäften sollen vermieden werden.
Steigt in einem Landkreis die 7-Tage-Inzidenz an drei aufeinander folgenden Tagen auf über 50, folgt eine Notbremse. Es treten also die Lockerungen dieser Stufe wieder außer Kraft. Allerdings nicht sofort, sondern erst nach dem zweiten Werktag nach der Bekanntgabe der Notbremse durch das Gesundheitsamt. Sollte zum Beispiel der Rems-Murr-Kreis heute zum ersten Mal über einer Inzidenz von 50 liegen, würden die schärferen Regeln für den Handel erst ab dem Sonntag gelten.
Der Einzelhandel muss dann auf „Click and Meet“ umsteigen. Das heißt: Shopping nur noch mit vorher vereinbartem Termin.
Ausgenommen von diesen Regeln sind seit gestern Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte. Diese werden dem sogenannten „Einzelhandel des täglichen Bedarfs“ zugerechnet, also zum Beispiel Supermärkten oder Bäckereien gleichgestellt. Damit dürfen sie auch bei höherer Inzidenz geöffnet bleiben.