Gemischte Gefühle im Präsenzunterricht
Trotz steigender Infektionszahlen sind seit gestern auch die Fünft- und Sechstklässler wieder im Präsenzunterricht. Die Schulleiter freuen sich, blicken aber auch besorgt auf die Inzidenz. Ein Testkonzept für Schüler wird gerade noch erarbeitet.

© Alexander Becher
Tische auseinander, Fenster geöffnet: So sieht der Matheunterricht der 6. Klasse an der Lautereck-Realschule in der ersten Präsenzstunde seit Monaten aus. Fotos: A. Becher
Von Kristin Doberer
BACKNANG/SULZBACH AN DER MURR. Monatelang waren die Schulen fast komplett geschlossen, seit gestern ist die Unterstufe an weiterführenden Schulen wieder im Präsenzunterricht. Die Fünft- und Sechstklässler konnten wieder in voller Klassenstärke in den sogenannten eingeschränkten Regelbetrieb starten – eine Überraschung für viele Schulen.
„Wir hatten uns eher auf einen Wechselunterricht vorbereitet“, sagt Heinz Harter, geschäftsführender Schulleiter der Backnanger Schulen. „Auf der einen Seite freuen wir uns, aber der Präsenzunterricht hat auch seine Herausforderungen.“ Denn um den nötigen Abstand einzuhalten, müssen die Klassen vor Ort geteilt werden. Das sei zwar räumlich gut machbar, man brauche aber mehr Lehrkräfte. Da kein Sportunterricht stattfindet, helfen an der Max-Eyth-Realschule die Sportlehrer aus, außerdem wurden Gruppen im Fernlernen zusammengelegt. „Alles zu organisieren ist eine hochkomplexe Angelegenheit“, sagt Harter. „Die Schulen leisten im Moment einen großen Einsatz.“
Auch an der Schickhardt-Realschule in Backnang werden die Schüler im Präsenzunterricht aufgeteilt. Die Schüler der 5. und 6. Klassen kommen am Vormittag, die Schüler der Abschlussklassen, die bereits seit Längerem im Wechselunterricht sind, kommen dann am Nachmittag. „Das Ziel bei allen Planungen war, dass wir Begegnungen minimieren und die Abstandsregeln einhalten“, sagt Schulleiter Thomas Maier. Die Mutationen und die Inzidenz machen eine sehr vorsichtige Schulöffnung nötig. „Wir haben schließlich auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Schülern. Wir haben unser Möglichstes getan“, sagt der Rektor. Dazu gehören ein wieder neues Hygienekonzept, strenge Teilung der Klassen, feste Sitzplätze und Mindestabstand. Maier ist optimistisch. Er hofft, dass sich durch die vielen Vorsichtsmaßnahmen ein erneuter Fernunterricht möglichst lange hinauszögern lässt.
Denn wie lange es bei den aktuellen Regeln bleibt, kann keiner absehen. Der Inzidenzwert im Rems-Murr-Kreis liegt seit Tagen knapp unter 50, in anliegenden Landkreisen ist die Zahl schon deutlich höher. In Schwäbisch Hall liegt die Inzidenz über 200, die Schüler der weiterführenden Schulen in Crailsheim und Gaildorf bleiben bis auf Weiteres zu Hause. „Der Blick in die Nachbarkreise ist schon beängstigend“, sagt auch Sabine Gross, die Rektorin der Lautereck-Realschule in Sulzbach an der Murr. Sie bezeichnet die Entscheidung, gerade jetzt wieder ganze Klassen ins Schulhaus zu holen, als gefährlich. „Wir haben gehofft, dass es Wechselunterricht gibt. Den hätten wir organisieren können, der vorgeschriebene Abstand wäre eingehalten und es gäbe keine Probleme auf dem Schulhof“, sagt Gross.
Besonders die Situation in den Bussen sieht sie als großes Problem. Denn viele Kinder an der Lautereck-Realschule kommen aus kleinen Weilern, müssen zum Beispiel in Murrhardt umsteigen und die Busverbindungen sind auch nach einem Jahr Pandemie noch so gelegt, dass alle Schüler gleichzeitig in der Schule ankommen. „Das passt einfach nicht. Wir können zwar kontrollieren, was im Schulhaus passiert, aber wir können nicht beeinflussen, was im Bus los ist“, sagt Gross. Ein gestaffelter Unterrichtsbeginn sei in Sulzbach also gar nicht möglich. „Durch die Busse kommen doch alle gleichzeitig ins Schulhaus“, sagt sie.
Dass die Konzepte überhaupt umgesetzt werden können, liegt zu großen Teilen am Einsatz der Schulleiter und Lehrkräfte. Aber das zehrt auch an deren Kräften. „Ich habe das Gefühl, ich bin seit Januar 2020 in der Schule“, beschreibt Thomas Maier. Die Erarbeitung der ständig neuen Konzepte habe viele Wochenenden und die Ferien eingenommen, immer wieder Coronafälle und damit verbundene Quarantäneanordnungen für ganze Klassen und Lehrkräfte kamen dazu. „Und dann ist da natürlich die ständige Sorge vor neuen Infektionen. Wir hoffen zwar, dass das nicht passiert, aber es wird wohl nicht vermeidbar sein“, sagt Maier.
Testmöglichkeiten für die Schüler müssen noch organisiert werden.
Das bestätigt auch Sabine Gross von der Lautereck-Realschule. Vor allem mit Blick auf die Mutationen sei es noch mal eine andere Lage als vor Weihnachten, denn wird eine solche festgestellt, folgen viel schärfere Konsequenzen: Die Quarantänedauer wird von 10 auf 14 Tage verlängert. Außerdem wird der Personenkreis deutlich ausgeweitet. Wenn bei einer infizierten Person eine Virusmutation nachgewiesen wird, müssen zukünftig auch alle Haushaltsangehörigen der jeweiligen Kontaktpersonen in 14-tägige Quarantäne. „Die Auswirkungen sind viel weitreichender“, sagt Gross. Umso wichtiger ist es, Infektionen zu vermeiden. Gerade wenn Lehrer erkranken oder in Quarantäne müssen, fehlt schnell Personal. Dabei müssen sich die Schulen bereits jetzt personell sehr gut organisieren. Denn neben dem Präsenzunterricht in der Unterstufe und dem Wechselunterricht in den Abschlussklassen gilt es, auch noch die Kinder im Fernunterricht zu betreuen.
„Wir haben das gut durchorganisiert, dafür mussten wir die letzte Woche ganz schön rödeln. Aber jede Schule kämpft gerade damit.“ Ein Problem sei, dass die Verordnungen immer recht spät kommen, meistens Freitagnachmittag, und dann aber schon am Montag umgesetzt werden sollen. Für die Schulleiter, die dann eigene ans Schulhaus angepasste Konzepte ausarbeiten, Eltern und Schüler benachrichtigen sowie Räume vorbereiten müssen, eine enorme Arbeit. Und trotz Aufwands, Organisation und Sorgen ist die Freude in den Schulen spürbar, da sind sich die Rektoren einig: „Die Freude der Kinder sieht man schon, wenn sie zur Schule hereinkommen“, meint Harter. Selbst wenn die Schüler nur die Hälfte ihrer Klasse treffen, sei die Begeisterung groß. „Das ist zumindest wieder ein Stück Normalität.“ Nur sehr vereinzelt nutzen Eltern die ausgesetzte Präsenzpflicht. Der Großteil der Schüler der Unterstufe sei da, es seien nur Einzelfälle, die zu Hause bleiben, sagt Harter. Das bestätigen auch weitere Schulleiter. Auch die Lehrer seien froh über den Präsenzunterricht, deren Grundaufgabe sei schließlich das Unterrichten – und zwar mit Kindern vor Ort. „Wenn das wegbricht, fehlt irgendwas“, sagt Gross. Zwar habe der Fernunterricht gut funktioniert und die Klassen 7 bis 9 sind noch immer zu Hause, aber „wir freuen uns schon arg, dass wieder Kinder da sind“, sagt Gross.
Ungeklärt ist allerdings, wie die Schnellteststrategie für die Schüler in Zukunft aussehen soll. Eigentlich sollen diese auch zweimal pro Woche in der Schule getestet werden. Wer das wie durchführt, bezahlt und organisiert, steht noch nicht endgültig fest. Aber sowohl in Sulzbach an der Murr wie auch in Backnang arbeitet man gerade an einem Konzept für freiwillige Testungen in den Schulen.

© Alexander Becher
Im Unterricht und auf den Gängen lassen die Kinder und Lehrer die Masken auf.
Trotz gegenteiliger Vorgaben vom Kultusministerium wollten zwei weiterführende Schulen vorerst nicht zum Präsenzunterricht für die Unterstufe zurückkehren. Das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach am Neckar und das Gymnasium in Schönau (Kreis Lörrach) wollten für die 5. und 6. Klassen ab Montag einen tageweisen Unterricht im Wechsel anbieten. Die Vorgaben für den Präsenzunterricht mit vollen Klassen seien nicht durchführbar.
Die zuständigen Regierungspräsidien haben nun aber bestätigt, dass diese beiden Gymnasien keinen Wechselunterricht einführen dürfen und mit den 5. und 6. Klassen in den Präsenzunterricht gehen werden.