Keine Kapazitäten mehr beim Kitapersonal
In den Kindertagesstätten treffen Fachkräftemangel und Pandemie aufeinander, weshalb Engpässe, Ausfälle und Herausforderungen dort den Alltag bestimmen. In Einzelfällen werden Betreuungszeiten reduziert, Eltern gebeten, ihre Kinder zu Hause zu lassen, oder Kitas geschlossen.

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Eine von den Einrichtungsträgern händeringend gesuchte Spezies: Die Erzieherin. Es mangelt an Fachkräften, die im Kindergarten die Jüngsten betreuen – nicht erst seit Corona. Die Pandemie hat die Situation aber verschärft. Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
Von Nicola Scharpf
Rems-Murr. Die Personalsituation an den Kindergärten in Backnang und in umliegenden Gemeinden ist sehr angespannt. Hauptgrund dafür ist der Fachkräftemangel bei Erzieherinnen, die Coronapandemie kommt verschärfend hinzu. Die Folge: Einzelne Einrichtungen haben wegen fehlender Fachkräfte phasenweise Betreuungszeiten reduziert oder auch Eltern gebeten, dass sie ihre Kinder zu Hause beaufsichtigen – eine Belastung für alle Beteiligten: die Träger, die Mitarbeiter, die Eltern, die Kinder.
Mitte Oktober beispielsweise mussten in Backnang in fünf städtischen Kindertageseinrichtungen wegen Personalmangels oder positiver Coronafälle kurzfristig Schließungen oder Teilschließungen von Gruppen vorgenommen werden. Die Eltern haben mitunter mit einem Vorlauf von einem Tag erfahren, dass sie ihr Kind am nächsten Tag nicht in die Einrichtung bringen können. Auch Backnanger Kindergärten in Trägerschaft der evangelischen Kirche, Kirchenbezirk Backnang, haben in der Vergangenheit in Einzelfällen Betreuungszeiten reduziert. Anfang dieser Woche musste eine Backnanger Einrichtung komplett schließen, nachdem mehrere Fachkräfte in allen drei Gruppen des Kindergartens positive Coronaschnelltestergebnisse vorwiesen und ausfielen. Mittlerweile hat das Gesundheitsamt aufgrund des Ausbruchsgeschehens für alle nicht immunisierten Betroffenen Quarantäne angeordnet. In Aspach war die Personaldecke im Sommer so dünn, dass der Betrieb in einer Ganztagskindertagesstätte von Anfang Juli an für vier Wochen an den Randzeiten morgens und nachmittags eingeschränkt werden musste.
Schlimmer noch: Weil das Fachpersonal fehlt, können Kindergartenplätze teilweise gar nicht besetzt werden, sagt Stephanie Mayer, im Aspacher Rathaus Fachberaterin für die Kindertagesstätten. Aufgrund umfangreicher Erweiterungen in mehreren Aspacher Kindergärten wegen steigender Kinderzahlen (wir berichteten) hat sich auch der Personalbedarf erhöht. Betriebserlaubnisse bekommen die erweiterten Einrichtungen aber erst, wenn das Personal vorgewiesen wird. „Wir können noch so vorausschauend planen und ausbauen, ja. Aber woher kommen die Fachkräfte? Wir können nicht den zweiten Schritt vor dem ersten Schritt gehen“, sagt Mayer. Bisher seien die Aspacher Kindergärten personell immer gut aufgestellt gewesen. Seit Ausbruch der Coronapandemie beziehungsweise durch die Kohortenbildung, also die Trennung der Gruppen, sei das Doppelte an Personal erforderlich gewesen, das aber nicht zur Verfügung stand. „Wir sind an der Kapazitätsgrenze“, benennt es Mayer und zeigt sich gleichzeitig dennoch zufrieden, weil die Gemeinde in den zurückliegenden Wochen aufstocken konnte.
Personellen Puffer als Vorsorge leisten sich viele Gemeinden
Auch in anderen Gemeinden ist man kurz davor. In den kommunalen Kirchberger Kindergärten herrscht zwar Normalbetrieb sowohl hinsichtlich der Öffnungszeiten als auch der Anzahl der vergebenen Plätze. Aber Christine Bärwald aus der Kirchberger Gemeindeverwaltung sagt über die Personalsituation: „Mein personeller Puffer wird immer kleiner. Einen guten Puffer zu haben, das hat sich bezahlt gemacht. Aber das kostet selbstverständlich auch etwas.“ Diese Form der Vorsorge gegen personelle Engpässe leistet man sich auch in Weissach im Tal. „Wir schreiben fortlaufend aus, stellen unabhängig vom Bedarf ein und schaffen uns einen Puffer, sodass wir nicht ohne Ersatz dastehen, wenn jemand geht“, sagt Julia Mühlbach, Leiterin der Servicestelle Familien und Soziales im Weissacher Rathaus. „Wir können den Personalschlüssel halten und den Betrieb aufrechterhalten, der Umfang ist vollständig abgedeckt. Noch. Bei weiteren Ausfällen müssen wir die Betreuungszeiten einschränken.“ Zusätzlich zur generell schwierigen Personalsituation käme „dieses Jahr viel auf einmal“.
Das sind einmal normale krankheitsbedingte Ausfälle im Herbst und Winter, Ausfälle durch Coronaquarantäne, Impfdurchbrüche oder wegen Impfreaktionen, die jeden Morgen flächendeckend den Tag hinsichtlich der personellen Situation zu einer Herausforderung machen. Obwohl die Personallage an den 22 Backnanger Kitas in kommunaler Trägerschaft laut Regine Wüllenweber „nicht so dramatisch ist, weil wir nicht so viele offene Stellen haben“ und die Stadt Backnang zumindest im U-3-Bereich einen höheren Personalschlüssel hat, als er sein müsste, mussten vereinzelt Angebote heruntergefahren werden. Die Leiterin des Amtes für Familie, Jugend und Bildung weiter: „Wir tun alles, um Mitarbeiter zu binden und zu finden. Die Pandemie ist eine sehr, sehr große Belastung. In den Einrichtungen leisten sie unglaublich viel, um den Kindern das Angebot bieten zu können.“
Doch Corona schränkt den Beruf der Erzieherin und das, was ihn ausmacht, zum Beispiel das offene Arbeiten mit den Kindern oder auch die Elternarbeit, permanent ein. „Das demotiviert. Das ist eine Motivationsbremse“, sagt Fachberaterin Mayer aus Aspach. „Durch Corona haben viele die Nase voll.“ Das wirkt sich aus: Manche Erzieherin geht ihrem Beruf nicht mehr nach. Oder, nachdem sich Bewerber meist zwischen mehreren Stellen entscheiden können, es wird ein neuer Arbeitsplatz angenommen. Die Konkurrenz der Träger ist groß, die Fluktuation ist es mancherorts auch. Die Teams in den Einrichtungen müssen sich häufig neu finden und die Kinder sich an neues Betreuungspersonal gewöhnen. „Zum Wohle der Kinder und der Teams wollen wir einen ständigen Wechsel vermeiden“, sagt Mayer. Aspach nutze als „Bonbonle“ das Jobfahrrad, um Werbung in eigener Sache zu machen. Von Tankgutscheinen für neue Mitarbeiter über Fitnessgutscheine bis hin zu „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“ und mehr: „Da gibt’s noch ganz andere Dinge“, berichtet Mayer von Möglichkeiten, die die Träger nutzen, um Personal zu umwerben.
Backnangs Amtsleiterin Wüllenweber richtet den Fokus auch auf die Eltern: „Sie sind unser wichtigster Partner.“ Das Verständnis, mit dem sie auf die personellen Schwierigkeiten reagieren, sei groß. Auch Eltern, deren Kinder evangelische Kindergärten in Backnang besuchen, waren in der Vergangenheit schon betroffen und gefragt, um vorübergehende, kurzfristige Engpässe in Einrichtungen zu entschärfen. Jene des aktuell geschlossenen Kindergartens mit Kindern in Quarantäne müssen komplett umorganisieren. Wenn Betreuungszeiten reduziert werden oder Kinder zu Hause betreut werden müssen, dann „reagiert keiner erfreut, das darf man auch nicht erwarten“, sagt Christhild Schenk, Fachberaterin für Backnangs evangelische Kindergärten. „Aber in der Regel gehen die Eltern mit in die Verantwortung.“
„Es ist jede Familie eh schon ein bisschen an der Grenze“
So wie Daniela Wörner, deren Tochter den kommunalen Backnanger Kindergarten Heimgarten besucht. Ihre Familie war bislang zweimal von einer personalbedingten Schließung betroffen – in einem Fall „super spontan“, so Wörner, im anderen mit einer Woche Vorlauf. Beide Male war umorganisieren, umschichten, Termine verschieben angesagt. Trotz des Ärgers ob der fehlenden Verlässlichkeit sei die Stimmung unter den Eltern gegenüber dem Kindergarten wohlwollend gewesen. „Die Mitarbeiterinnen, die es gewuppt haben, kamen eh schon auf dem Zahnfleisch daher. Aber es ist eben auch jede Familie eh schon ein bisschen an der Grenze.“ Darüber hinaus sein man als Eltern auch „immer in so einer Habachtstellung“. Der Betreuungsplan B liege quasi ausgearbeitet in der Schublade – für den Fall, dass der Kindergarten erneut unvorhergesehen geschlossen bleibt.
So hangeln sich alle Beteiligten von Tag zu Tag, nicht wissend, ob morgen noch Gültigkeit hat, was heute ist. Was Stephanie Mayer von diversen überregionalen Fachberatungstagungen an Quintessenz mitgenommen hat in Bezug auf die Fachkräftesituation, ist: „Das fliegt uns irgendwann flächendeckend um die Ohren.“